Eigentlich sollte das Projekt längst abgeschlossen sein. Doch auf der Baustelle in Köln-Sülz, wo derzeit 48 Wohnungen entstehen, hängen hier und da noch Kabel aus der Wand. Wer nicht aufpasst, verläuft sich leicht in den kahlen, betongrauen Fluren. Die Corona-Pandemie, Materialengpässe und nicht zuletzt der Fachkräftemangel sorgen hier immer wieder für Verzögerungen. Auch bei der Kölner Heizungsbau-Firma Lohmar.
"Wir sind ständig auf der Suche nach geeigneten Mitarbeitern, aber es kommen kaum Bewerbungen rein", sagt Patrick Lohmar, Heizungsbauer und Chef eines 80-köpfigen Teams. "Die Monteure gehen teilweise auf dem Zahnfleisch. Wenn dann noch Ausfälle dazukommen, müssen wir auch mal Aufträge verschieben oder sogar ganz ablehnen."
Ohne Handwerk keine Energiewende
So wie Lohmar geht es vielen Handwerksbetrieben. Die Auftragsbücher sind voll, doch es fehlt an Personal. Und das könnte zum Flaschenhals der Energiewende werden. Denn das Handwerk, allen voran die Elektrik- und die Heizungsbranche, spielt dabei eine zentrale Rolle.
Rund ein Drittel des Energieverbrauchs in Deutschland entfällt zum Beispiel auf den Gebäudebereich. Soll die Energiewende gelingen, müssen viele Tausend Wohnungen und Häuser deutlich energieeffizienter werden. Alte Gasheizungen müssen durch moderne Wärmepumpen ersetzt werden. Laut der Deutschen Energie-Agentur (dena) wäre eine Verdopplung der Sanierungsrate notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.
Für die E-Mobilität sollen die derzeit rund 70.000 installierten Ladesäulen bis 2030 auf mindestens eine Million ausgebaut werden. Auch dafür braucht es Handwerker.
Und vor allem: Bis 2030 soll 80 Prozent der elektrischen Energie in Deutschland aus erneuerbaren Quellen stammen. Ihr Anteil soll sich also verdoppeln. Wind- und Solarenergie sollen laut Bundesregierung dreimal schneller ausgebaut werden als bisher. Auch Nordrhein-Westfalen hinke seinen Zielen hinterher, kritisiert der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE) am Dienstag. So seien die selbst gesteckten Ziele für Windkraft im vergangenen Jahr deutlich verfehlt worden.
IW-Studie: 216.000 Fachkräfte gesucht
Bundesweit würden für den Ausbau der Solar- und Windenergie laut dem Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) rund 216.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, vor allem aus den Handwerksbereichen Bauelektrik sowie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. "Um die Energiewende nicht zu gefährden, muss die Fachkräftesicherung für alle Beteiligten von höchster Priorität sein", sagt Studienautorin Anika Jansen.
Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) sind schon heute bis zu 250.000 Stellen unbesetzt, ein erheblicher Teil davon in den "energierelevanten" Branchen. Der demografische Wandel wird das Problem weiter verschärfen. In den nächsten 15 Jahren werden knapp 30 Prozent der auf dem Arbeitsmarkt verfügbaren Erwerbspersonen das Renteneintrittsalter überschritten haben.
Es ist der Blick in die Zukunft, der Andreas Oehme, Geschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags (WHKT), Sorge bereitet. "Unbesetzte Stellen gab es auch schon vor zehn Jahren. Und die üblichen Marktmechanismen funktionieren: Bereiche wie Elektro oder Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, in denen mehr Fachkräfte benötigt werden, verzeichnen steigende Ausbildungszahlen. Aber uns erschrecken die hohen Bedarfsprognosen für die nächsten Jahre."
Bundesregierung will mit Fachkräftestrategie gegensteuern
"Der Handlungsdruck ist hoch", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Herbst. Die Bundesregierung will mit einer neuen Fachkräftestrategie gegensteuern. So soll eine Ausbildungsgarantie geschaffen und die Weiterbildung gestärkt werden, etwa durch die Einführung eines Qualifizierungsgeldes – eine staatliche Förderung für Unternehmen, die ihren Mitarbeitern entsprechende Fortbildungen ermöglichen. Ein attraktiveres Einwanderungsrecht soll außerdem mehr Fachkräfte aus dem Ausland anlocken.
Doch das werde das Problem nicht lösen, hält Andreas Oehme dagegen. Die EU-Nachbarländer stünden vor denselben Problemen und in Drittstaaten seien die Branchen so anders geschnitten, dass die Berufsfelder nicht zu unseren passten. "Von weiteren Herausforderungen wie Anwerbung, Anerkennung der Qualifizierung und Sprachförderung ganz abgesehen", sagt Oehme.
Oehme: "In NRW ist das Gymnasium die neue Hauptschule"
Der WHKT-Geschäftsführer sieht insbesondere die Bildungspolitik in der Pflicht. Das Schulsystem sei zu sehr auf das Erreichen der Hochschulreife ausgerichtet. Dabei sei längst bekannt, dass ein Teil der Schulabgänger nicht studierfähig sei oder nicht studieren möchte. "In NRW ist das Gymnasium die neue Hauptschule. Dabei sind die Jugendlichen nicht schlauer geworden, sie haben jetzt nur andere Abschlüsse und merken oft erst während des Studiums oder danach, dass sie damit gar nichts anfangen können", sagt Oehme. "Hier brauchen wir eine Umkehr."
Um das Interesse für handwerkliche Tätigkeiten zu wecken, schlägt er vor, Kinder wieder mehr "bauen und basteln" zu lassen. "Das geht völlig verloren. Schon in der Grundschule ist es ein reines Theoriesystem. Das muss sich ändern."
Schulministerium: berufliche und akademische Bildung gleichwertig
Die NRW-Landesregierung verweist vor allem auf die sogenannten Berufskollegs als "wesentliche Säule des Bildungssystems in Nordrhein-Westfalen". Durch viele verschiedene Bildungsgänge würden Berufskollegs erheblich zur Deckung des Bedarfs an qualifizierten Fachkräften in NRW beitragen, heißt es aus dem Schulministerium.
Man wolle zwar die duale Ausbildung und die Berufsschulen stärken. Berufliche und akademische Bildung würden aber als gleichwertig betrachtet. "Handwerkern kommt in Zeiten des Fachkräftemangels und bei der Bewältigung der Bauaufgaben auch im Kontext der Energiewende eine große Bedeutung zu", sagt ein Ministeriumssprecher. Das gelte aber ebenso für Architekten oder Ingenieure.
Ausbildungsbotschafter in Schulen
Auf den Erfolg politischer Maßnahmen will die Firma Lohmar nicht warten. Die Strategie des Familienbetriebs: Ausbildungsbotschafter. Vier Mitarbeiter besuchen regelmäßig Schulklassen. Weniger, um für das eigene Unternehmen als vielmehr für den Beruf als solches zu werben.
Einer davon ist Lucas Prominski. "Das Interesse ist groß und wir bekommen gute Resonanz über alle Schulformen hinweg. Viele haben Klischees oder falsche Vorstellungen im Kopf und es ist schön, aufklären zu können", sagt der 24-Jährige. "Ich versuche nicht, etwas zu verkaufen, sondern Einblicke in meinen Arbeitsalltag zu geben. Am Ende ist es auch etwas wert, wenn jemand feststellt, das ist nichts für mich. Ich hätte mir so etwas in meiner eigenen Schulzeit gewünscht."
Doch reichen die Maßnahmen aus und vor allem: Greifen sie rechtzeitig? Oder scheitert die Energiewende am Ende tatsächlich an fehlenden Fachkräften - vor allem im Handwerk? Das sei schwer abzusehen, sagt Andreas Oehme. Letztlich müsse das ganze System funktionieren. "Es bringt auch nichts, wenn wir lauter Installateure im Handwerk haben, aber niemanden, der beispielsweise die Wärmepumpen oder die notwendigen Materialien herstellt."
Über dieses Thema berichtete das WDR-Fernsehen in der "Aktuellen Stunde" am 17.01.2023.