Wo PFAS-Chemikalien die Umwelt vergiften – und wie sie bekämpft werden

Stand: 16.01.2025, 06:00 Uhr

Vielerorts sind gefährliche Gifte in Boden und Grundwasser gelangt: Die Umwelt zu reinigen ist aufwendig und kostet viel Geld.

Von Julian Budjan und Ingo Redenius

Sie finden sich in Alltagsgegenständen wie Outdoor-Kleidung, Teflon-Pfannen und Kosmetika. Auch Windräder und Solarzellen nutzen ihre wasser- und fettabweisenden Eigenschaften: Die Gruppe der per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS.

Debatte über PFAS-Chemikalien: "Sollte Fakten folgen" WDR 5 Morgenecho - Interview 16.01.2025 05:30 Min. Verfügbar bis 16.01.2026 WDR 5

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Zur Gefahr für uns Menschen können die Chemikalien dann werden, wenn sie – etwa bei der Herstellung oder Entsorgung – in die Umwelt und damit in unser Trinkwasser und unsere Nahrung gelangen. Einige PFAS hat die WHO mittlerweile als krebserregend oder potentiell krebserregend eingestuft.  Manche PFAS sollen das Immunsystem schädigen können.

Unter anderem im Umkreis von alten Industriestandorten und früheren Brandorten, wo PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde, haben sich die sogenannten Ewigkeitschemikalien in der Umwelt angesammelt – auch an vielen Orten in NRW.

Das zeigt eine Umfrage unter allen 400 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung (SZ) mit der deutschen MIT Technology Review (MIT TR) durchgeführt haben. Allein in Nordrhein-Westfalen sind von den teilnehmenden Regionen 155 PFAS-Fundstellen ausgewiesen worden. 

Internationale Recherche zu Vorkommen, Maßnahmen und Kosten

Die Umfrage ist Teil einer großangelegten internationalen Recherche des "Forever Lobbying Project", mit Redaktionen aus 16 Ländern, zu denen auch NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung gehören.

Für das Rechercheprojekt haben die Wissenschaftler Ali Ling von der University of St. Thomas in Minnesota und Hans-Peter Arp von der Norwegian University of Science and Technology für 31 europäische Länder berechnet, wie teuer es werden könnte, die Umwelt von PFAS zu reinigen. Das Ergebnis ihrer Schätzung: Sollte die Verschmutzung mit PFAS so weitergehen und gibt es keine wirksamen Beschränkungen, könnte die Reinigung in diesen Ländern in den kommenden 20 Jahren etwa zwei Billionen Euro kosten.

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Wie aufwendig und kostenintensiv eine Reinigung kontaminierter Areale ist, wird am Beispiel von Düsseldorf deutlich – der Stadt, die in der Umfrage die meisten PFAS-Fundstellen in NRW angegeben hat. An 24 Stellen im Stadtgebiet konnten die Chemikalien im Boden oder Grundwasser festgestellt werden, teilweise sind auch Trinkwasserschutzgebiete betroffen. 

In Düsseldorf befassen sich mehrere Mitarbeitende auf 3,5 Vollzeitstellen nur mit dem Thema PFAS. Schon seit rund 20 Jahren beschäftige man sich damit, dennoch sei man an manchen Stellen "immer noch dabei, eigentlich erste Schritte zu ergreifen", heißt es vom städtischen Umweltamt. 

Die großflächigsten Verschmutzungen finden sich im Düsseldorfer Norden rund um den Flughafen, wo die Flughafenfeuerwehr früher regelmäßig mit PFAS-haltigem Löschschaum trainierte. Oder im südlichen Benrath, möglicherweise ausgelöst durch eine alte Industrieanlage. Wird ein Verursacher ermittelt, wird er – soweit möglich – für die Reinigung zur Verantwortung gezogen.

22 Millionen Euro künftige Sanierungskosten für kontaminiertes Gebiet

Bei anderen Verunreinigungen im Düsseldorfer Osten, wo PFAS über das Löschen eines Großbrandes in den Boden gelang, muss die Stadt selbst für alle Kosten aufkommen. Dort, unter dem Stadtgebiet Gerresheim, hat sich die Verschmutzung über eine Länge von etwa drei Kilometern im Grundwasser in Richtung Rhein ausgebreitet. Insgesamt hat Düsseldorf für die Suche nach und Sanierung von PFAS-Verunreinigungen schon mehr als zehn Millionen Euro ausgegeben. 

Unter anderem für eine Reinigungsanlage, die noch Jahrzehnte damit beschäftigt sein wird, kontaminiertes Wasser in Gerresheim zu säubern. Das Wasser wird in mühsamer Kleinarbeit aus dem Boden gepumpt, in der Anlage über Aktivkohlefilter gereinigt und zurück in den Boden gegeben. Mit hunderten Bodenproben wird überwacht, wie stark sich die Verschmutzung aufgrund der Grundwasserströmung bewegt, alle paar Jahre müssen die Pumpstationen daher versetzt werden. 

Sechs solcher Anlagen sind in Düsseldorf aktiv. Allein für die Sanierung im Gebiet Gerresheim kalkuliert die Stadt für die nächsten 15 Jahre mit anfallenden Kosten von rund 22 Millionen Euro. 

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Während Düsseldorf aktiv sein PFAS-Problem angeht, auch verschiedene präventive und überwachende Maßnahmen unternimmt, können das nicht alle Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein- Westfalen von sich behaupten. Knapp jeder vierte an der Umfrage teilnehmende Kreis gab an, nicht aktiv Boden und Grundwasser im Kreisgebiet auf PFAS zu untersuchen. 

Einerseits könnte das mit einem fehlenden Problembewusstsein zu tun haben. In der Umfrage unter den Kreisen geben nur ein Drittel aller Teilnehmenden aus NRW an, eine aktuelle oder künftige Gefährdung zu sehen. Viele andere sind sich unsicher oder wollen sich nicht äußern. Dabei haben wissenschaftliche Studien die Risiken vielfach belegt, EU-Behörden haben deshalb neue Grenzwerte für Vorkommen in Trinkwasser (20 Stoffe ab 2026) und Lebensmitteln (vier Stoffe seit 2023) festgelegt, die auch in Deutschland umgesetzt werden müssen.

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Wer sich mit der Situation gerade in ländlichen Kreisen auseinandersetzt, kommt schnell auch auf andere mögliche Gründe: Es sind gerade die unteren Verwaltungsebenen Deutschlands, die mit Verkehrs- und Energiewende, Digitalisierung oder demografischem Wandel am meisten zu tun haben. Das Geld fehlt vielerorts – und Fachpersonal sowieso. 

Spricht man mit den Verantwortlichen einzelner Kreise, wird deutlich, wie viel Arbeit der Kampf gegen PFAS wirklich macht. "Unser Aufgabenbestand im Bereich Umwelt wächst stetig", sagt Jörg Bambeck, der Leiter des Umweltamtes im Rhein-Sieg-Kreis und sein Sachgebietsleiter Gewässer und Bodenschutz, Bernhard Schubert, erklärt: "Wenn ein akuter Fall aufploppt, bindet das Arbeitskraft, beschäftigt uns Wochen und Monate. Das kommt dann obendrauf, teilweise müssen andere Aufgaben erstmal liegen bleiben."

Zahlreiche Behörden für Schutz vor PFAS verantwortlich

Zudem sind da die unübersichtlichen Zuständigkeiten. Alleine in einer Kreisverwaltung sind mehrere Stellen mit PFAS beschäftigt. Wasser- und Bodenschutzbehörden kümmern sich unter Mithilfe der Städte um PFAS-Vorkommen in Grundwasser und Böden, teilweise auch im Umkreis von Unternehmen, für größere Industrieanlagen sind die Bezirksregierungen zuständig. Das erfordere regelmäßigen Austausch und gute Kommunikation zwischen den Behörden, heißt es vom Rhein-Sieg-Kreis.

Das Kreis-Gesundheitsamt ist in Abstimmung mit den Wasserversorgern für die Überwachung des Trinkwassers, aber auch des Wassers verantwortlich, das von landwirtschaftlichen Betrieben genutzt wird. Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) wiederum untersucht Seen und Flüsse auf PFAS-Konzentrationen, führt teilweise auch selbst Bodenbeprobungen in verschiedenen Kreisen durch. 

Da die Zuständigkeit für PFAS nicht allein auf Kreisebene liegt und sich nicht alle angefragten Kommunen an der Umfrage beteiligt haben, sind die in der Umfrage ermittelten 155 Fundstellen ein Teil der tatsächlichen Fundstellen von PFAS in NRW.

Noch mehr Verschmutzung in Flüssen und Seen

An über 300 Messstellen hat das LANUV zuletzt PFAS gemessen, an 27 Stellen sogar Werte, die über dem ab 2026 für Trinkwasser geltenden EU-Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter liegen.

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Aber warum gibt es überhaupt so viele Fundstellen in NRW? Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) führt auf Nachfrage an, dass man seit der großflächigen Verunreinigung des Möhnesees im Jahr 2006 sensibel mit dem Thema umgehe und aktiv nach PFAS-Vorkommen suche, deshalb mehr finde.

Kosten erfassen scheint schwierig

Mehr als zwei Drittel aller Kreise in NRW äußerten sich auf die Frage, ob sie künftig mit steigenden Kosten bei der PFAS-Bekämpfung rechnen, zurückhaltend oder gar nicht.

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Mögliche Gründe dafür skizziert ein Sprecher des Kreises Borken. Lediglich drei PFAS-Funde sind im Kreisgebiet dokumentiert, der älteste von 2015. Infolge der Neubewertung über die Gefahr von PFAS durch die EU-Kommission im Jahr 2020 hätten Wasserversorger das Grundwasser in ihrem Einzugsgebiet untersucht und in Rhede sowie Bocholt an zwei neuen Stellen höhere PFAS-Konzentrationen gefunden. 

Diese aber ganzheitlich zu erfassen, sei kompliziert: "Weiterhin sind Ursache und Ausdehnung der PFAS-Kontamination unklar", man habe ein Sachverständigenbüro zurate gezogen, plane, mit mehr als 300 Proben Klarheit zu schaffen, aber dazu müsse der Förderantrag beim Land NRW bewilligt werden. "Bekannte Fundstellen können nur im bisher sehr komplexen, unklaren Umfeld bewertet werden", betont der Sprecher. 

Hälfte aller Kreise mit PFAS-Funden bisher untätig 

Wie viel Geld es kosten wird, die PFAS in Bocholt und Rhede aus dem Boden zu kriegen und wer wie viel übernimmt, bleibt offen. Verursacher zu identifizieren und zur Kasse zu bitten, ist offenbar auch deshalb schwer, weil sich die Chemikalien vielerorts über einen langen Zeitraum unbemerkt ansammeln können. Die höchsten PFAS-Konzentrationen habe man in unteren Bodenschichten gefunden, heißt es vom Kreis Borken

Im Moment versucht man sich damit zu behelfen, die Wasseraufbereitungsanlagen der Versorger mit besseren Filtern aufzurüsten, um künftig die neuen Trinkwasser-Grenzwerte für PFAS einzuhalten. Aber hier, sagt ein Sprecher, fehle es bisher an Vorgaben, wie alte Filter zu entsorgen seien oder ob PFAS-haltiges Grundwasser künftig überhaupt genutzt werden dürfe, etwa zur Bewässerung. 

30 Kreise und kreisfreie Städte aus NRW haben in der Umfrage von WDR, NDR, SZ und MIT Technology Review Verunreinigungen mit PFAS gemeldet. Nur 15 haben angegeben, überhaupt schon eine Maßnahme zur Sanierung des Bodens an einer der Fundstellen beschlossen oder ergriffen zu haben.

Präventive Maßnahmen zahlen sich aus

Im Rhein-Kreis-Sieg ist man schon seit rund zehn Jahren für die Gefahr durch PFAS sensibilisiert. Damals wurden nach einem Brand in Hennef Rückstände gefunden, die verseuchte Erde folglich großräumig ausgetauscht. Mithilfe von Gutachtern hat man seitdem aktiv nach PFAS in der Nähe von alten Industriestandorten gesucht und das bestehende Grundwassermonitoring erweitert.

13 Fundstellen haben die Behörden im Kreis mittlerweile durch diese aktive Suche ausgemacht, neun im Umkreis von Brandorten, einer in der Nähe einer ehemaligen Fabrik, drei im Grundwasser-Gebiet eines Wasserversorgers. Wie auch andernorts nutzen die örtlichen Feuerwehren mittlerweile PFAS-freien Löschschaum.

Sanierungskosten sind bisher für den Kreis nicht angefallen, da es andere Sanierungspflichtige gab - oft sind das die Eigentümer der betroffenen Grundstücke.

Der Kreis investiert allerdings in die Prävention: Gerade haben Gutachter das Kreisgebiet auf drei bestimmte PFAS-Stoffe untersucht und diese vielfach festgestellt. Entstanden ist eine Bodenbelastungskarte, die als Datengrundlage für die Arbeit des Umweltamts dient und außerdem öffentlich zugänglich gemacht werden soll. 

Obwohl das Land NRW diese Untersuchungen mit 400.000 Euro gefördert hat, kostete diese Maßnahme den Kreis mehr als 100.000 Euro. "Wir haben die Aufgabe, die Bevölkerung vor PFAS zu schützen. Natürlich müssen wir bereit sein, Geld dafür auszugeben", sagt Fachmann Schubert, zudem zahle sich Früherkennung aus: "Es dauert, bis Stoffe ins Grundwasser gelangen. Am Anfang reicht es, die oberen Bodenschichten auszutauschen."

Über die Recherche:

Die internationale Recherche „Forever Lobbying Project“ wurde von Le Monde koordiniert und umfasst 28 Medienpartner aus 16 Ländern: RTBF und De Tijd (Belgien); Denik Referendum (Tschechische Republik); Investigative Reporting Denmark (Dänemark); YLE (Finnland); Le Monde und France Télévisions (Frankreich); MIT Technology Review Germany, NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, (Deutschland); Reporters United (Griechenland); Radar Magazine, Facta. eu und La Via Libera (Italien); Investico, De Groene Amsterdammer und Financieele Dagblad (Niederlande); Klassekampen (Norwegen); Oštro (Slowenien); Datadista (Spanien); Sveriges Radio und Dagens ETC (Schweden); SRF (Schweiz); The Black Sea (Türkei); Watershed Investigations / The Guardian (Vereinigtes Königreich). Publikationspartner ist Arena for Journalism in Europe und im Austausch mit der NGO Corporate Europe Observatory. Die Projektpartner erhielten finanzielle Unterstützung vom Pulitzer Center, der Broad Reach Foundation, Journalismfund Europe und IJ4EU.

Unsere Quellen:

  • Umweltamt Düsseldorf 
  • Landesumweltministerium NRW 
  • Jörg Bambeck, Leiter des Umweltamts, und Bernhard Schubert, Leiter Boden- und Gewässerschutz, im Rhein-Sieg-Kreis 
  • Umweltamt und Gesundheitsamt Kreis Borken 
  • Recherche WDR, NDR, SZ, MIT Technology Review
  • Forever Lobbying Projekt

Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Hörfunk: Morgenecho auf WDR 5 ab 6.05 Uhr.