Abhaken auf einer Liste

Öffentliche Lobbyarbeit

Wahlprüfsteine für die Parteien

Stand: 13.09.2013, 09:12 Uhr

Über 100 Seiten lang sind die Wahlprogramme der Parteien im Durchschnitt, und doch steht längst nicht alles drin. Finden zumindest diverse Lobbygruppen und fragen deshalb in Form von allgemein einsehbaren Wahlprüfsteinen genauer nach.

Von Ingo Neumayer

2.156 Verbände, Vereinigungen und Interessensgruppen sind aktuell in der Lobbyliste des Bundestages registriert. Und die allermeisten von ihnen versuchen, ihre Standpunkte gegenüber der Politik zu vertreten. Da ist eine anstehende Bundestagswahl ein willkommener Anlass, die Positionen der Parteien abzufragen. Oft geschieht das in Form von Wahlprüfsteinen: Ein Verband schickt detaillierte Fragen an die Parteien und veröffentlicht diese mitsamt den Antworten. So erkundigen sich die Deutschen Kriminalbeamten nach Plänen für ein mögliches Unternehmensstrafrecht. Der Tierschutzbund holt die Parteipositionen beim Thema "Schenkelbrandverbot bei Pferden" ein. Und die Arbeitsgemeinschaft der Rohholzverbraucher will wissen, wie die Rahmenbedingungen für den Transport von Rundholz international wettbewerbsfähiger gemacht werden sollen.

Das bedeutet eine Menge Arbeit für die Parteien. Die FDP zum Beispiel hat Wahlprüfsteine von 488 Vereinigungen, Verbänden und auch Unternehmen beantwortet. Von der Bundesarchitektenkammer und von Wikimedia, vom Friedensplenum Iserlohn und vom deutschen Party Service Bund, von der Edeka AG und von der Pflegepension Haus Sonnenschein in Hohberg-Hofweier. Und auch die Lobbygruppen stecken viel Arbeit und Energie hinein: Positionen wollen diskutiert und formuliert werden, Fragen müssen verschickt und die Antworten nachgehalten und präsentiert werden. Das erfordert viel Aufwand, der gerade bei kleineren Gruppen oft zu hoch ist. So hat die Deutsche Stiftung Patientenschutz im Gegensatz zu früheren Jahren dieses Mal keine Prüfsteine erstellt und verschickt. "Wir haben es personell nicht hingekriegt, es gab Kapazitätsprobleme", so Sprecherin Elke Simon.

Prüfstein als Ergänzung zum Wahlprogramm

Protestfahne von Befürwortern der gleichgeschlechtlichen Ehe in Paris

Soll die gleichgeschlechtliche Partnerschaft der Ehe gleichgestellt werden?

Andere haben da bessere Möglichkeiten - und nutzen sie. Der Lesben- und Schwulen-Verband (LSVD) versucht, zu jeder Wahl auf Landes- und Bundesebene Wahlprüfsteine zu verschicken. "Damit können wir Positionen abfragen, die im Wahlprogramm nur kurz oder überhaupt nicht erwähnt werden", sagt LSVD-Sprecher Markus Ulrich zu WDR.de. In der Tat: Der Union ist in ihrem Wahlprogramm das Thema "gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften" zwei dürre Sätze wert. Die Antworten der CDU/CSU auf die zehn Fragen des LSVD sind hingegen fast elf Seiten lang. "Durch die Wahlprüfsteine liefern wir auch einen Input an die Parteien, die dadurch zu internen Diskussionen gezwungen sind und sich auf öffentliche Positionen einigen müssen", so Ulrich.

Themen setzen für die Medien

Bei der Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" (ROG) setzt man in diesem Jahr erstmals auf Wahlprüfsteine. Dies geschehe auch aus aktuellem Anlass, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr: "In letzter Zeit ist einiges in diesem Bereich passiert, von Überwachungen bis zum 'Sachsensumpf'. Deshalb sehen wir die Prüfsteine als gute Möglichkeit, Themen zu setzen und Recherchestartpunkte für andere Journalisten zu liefern." Auch Mihr sieht die Wahlprüfsteine als brauchbares Instrument, von den Parteien Aussagen zu erhalten, die über die Wahlprogramme hinausgehen. "Manchmal kommt es dann vor, dass sich Widersprüche zwischen den Prüfsteinen und der Rhetorik von Ministern oder hohen Parteifunktionären auftun. Das ist natürlich ein guter Ansatzpunkt, um journalistisch nachzuhaken", sagt Mihr.

DGB nimmt lieber direkt Einfluss auf Wahlprogramme

Deutscher Gewerkschaftsbund, Hauptzentrale

Anders sieht es beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus. Im Gegensatz zu früheren Wahlen verzichtet man dort auf Wahlprüfsteine. "Wer im Frühsommer einen Fragenkatalog in Form von Wahlprüfsteinen verschickt, läuft Gefahr, dass er dann mit Textbausteinen aus den Wahlprogrammen 'abgespeist' wird. Wir wollten dieses Mal früher ansetzen", so ein DGB-Sprecher zu WDR.de. Deshalb wurde schon im Oktober 2012 ein Grundsatzpapier beschlossen und an die Parteien verschickt, das im April 2013 nochmals ergänzt wurde. Ein Prinzip, das sich laut des DGB-Sprechers bezahlt gemacht hat: "Wenn man seine Positionen so früh formuliert und einbringt, hat man bessere Chancen, dass die Parteien unsere Themen in ihren Wahlprogrammen aufgreifen. Das war beim Mindestlohn, bei der Leiharbeit oder bei Werkverträgen durchaus der Fall." Wobei es ein riesiger Verband wie der DGB mit seinen 6,5 Millionen Mitgliedern natürlich leichter hat, Einfluss zu nehmen, als beispielsweise der Bundesverband des Clubs klassischer Oldtimer.