Klar statt vage
Wahlprogramme in leichter Sprache
Stand: 07.09.2013, 09:00 Uhr
Wahlprogramme sind schon mal schwere Kost, zu lang und unkonkret. Doch die großen Parteien bieten auch kurze Versionen in leichter Sprache an. Die seien für alle Wähler gut, meint Gisela Holtz vom Verein "Netzwerk Leichte Sprache".
Gisela Holtz ist Vorstandsmitglied in dem Verein in Münster. Die 65-Jährige hat schon Wahlprogramme in leichte Sprache übersetzt. Wichtig dabei sind kurze Sätze und konkrete Aussagen. Diese einfachen Versionen sind für Erwachsene gedacht, die zum Beispiel eine Lernschwäche haben oder vergesslich sind. Und für alle, die nicht so gut lesen können. Aber auch jeder andere bekommt einen besseren Eindruck von dem, was die Parteien wollen, meint die Übersetzerin Holtz. Außerdem ließen sich die 30, 40 Seiten der einfachen Versionen in großer Schrift gut zwischendurch lesen.
WDR.de: Wenn Sie ein ganz gewöhnliches Wahlprogramm von 150 oder 200 Seiten vor sich haben, verstehen Sie sofort, was da drin steht?
Gisela Holtz: Auf keinen Fall. Denn die Inhalte sind teilweise viel zu allgemein gehalten. Verwässerte Begriffe können und sollen schließlich niemandem wehtun. Wovon man als Wähler natürlich nicht viel hat. Denn was gemeint ist, bleibt viel zu vage. Man kann sich zu wenig vorstellen, was die Parteien wirklich wollen. Das geht auch mir so.
WDR.de: Haben Sie eine Erklärung für die bewusst allgemein gehaltenen Formulierungen?
Holtz: Zum einen wollen Politiker sich nicht festlegen. Das kann man sogar ein wenig nachvollziehen. Denn sie wissen nicht, mit wem sie nach der Wahl zusammenarbeiten werden, ob genug Geld da sein wird für das, was ihnen vorschwebt. Andererseits wollen sie in einem Wahlprogramm alles, aber wirklich alles sagen. Deshalb stehen da am Ende Allgemeinplätze und ein Wust von Informationen, aus denen niemand schlau wird.
WDR.de: Ist das Übersetzen von Wahlprogrammen in leicht verständliche Sprache eine angenehme Arbeit?
Holtz: Die blumigen Formulierungen in konkrete Aussagen aufzulösen, ist teilweise sehr schwer. Ich muss häufig bei den Autoren nachfragen, was gemeint ist. Ich mache auch Vorschläge für Beispiele. Das ist mühsam, deshalb übersetze ich Wahlprogramme nur sehr ungern von schwerer in leichte Sprache. Es ist viel einfacher, aus einer Fremdsprache eins zu eins zu übersetzen, als in Wahlprogrammen nach konkreten Aussagen zu suchen.
WDR.de: Wie lange dauert es, ein Wahlprogramm in leichte Sprache zu übersetzen?
Die erste Seite des leichten Unions-Programms
Holtz: Mindestens eine Woche. Das hängt davon ab, wie lang es ist und wie häufig ich nachfragen muss. Das Ergebnis ist dann jedoch gut für alle. Denn nicht nur Menschen, die lernbehindert sind oder schlecht lesen können, sondern alle Wähler können davon profitieren. Ich habe die leichten Versionen schon mal Kindern gegeben, die in weiterführenden Schulen über Politik diskutiert haben. Denn die Formulierungen darin sind wirklich einfach. Im aktuellen CDU/CSU-Programm steht zum Beispiel übers Wohnen: "Wohnungen sollen nicht teuer sein. Wir wollen Leuten helfen, die Wohnungen bauen. In einem Dorf soll man genauso gut leben wie in der Stadt." Oder bei der SPD über die Bürgerversicherung: "Das ist eine Kranken-Versicherung und eine Pflege-Versicherung. Wer mehr verdient, zahlt mehr in die Versicherung ein. Wer weniger verdient, zahlt weniger ein."
WDR.de: Fänden Sie es besser, wenn die Parteien ihre Programme direkt und nur in einfacher Sprache veröffentlichen würden?
Die erste Seite des leichten SPD-Programms
Holtz: Das wäre wunderbar, weil sich Politiker viel genauer überlegen müssten, was sie tun wollen. Es würde nicht reichen, etwa "Wohlstand für alle" zu fordern. In leichter Sprache müsste es ganz konkret sein. Mal ganz plakativ gesagt: "Wir von der Partei XY wollen den Reichen Geld wegnehmen und den Armen 500 Euro im Jahr geben." Wenn die Politiker nämlich genauer überlegen würden, würden sie vielleicht weniger versprechen und die Wähler weniger enttäuschen.
WDR.de: Wahlprogramme nur in leichter Sprache und Kurzversionen? Könnten da nicht doch Informationen verloren gehen?
Holtz: Nehme ich nicht an. Wenn ich etwas in einem Wust von Informationen nicht finde, ist die Information auch verloren. Dann ist es besser weniger reinzuschreiben, sodass es alle verstehen. Wenn das so wäre, würden auch mehr Menschen die Programme der Parteien tatsächlich in die Hand nehmen und lesen.
WDR.de: Wer sagt Ihnen, ob Ihre Übersetzungen wirklich verständlich sind?
Holtz: Da habe ich eine ganze Gruppe von lernschwachen Menschen. Die sagen sofort, was sie nicht verstehen. Oder ich merke, wenn sie beim Lesen eines Wortes ins Stocken geraten oder stottern. Das war kürzlich bei dem Wort "Seminar" so. Also habe ich es durch "Kurs" ersetzt. Auf vieles kommt man selbst gar nicht, deshalb ist es wichtig, das vor einer Veröffentlichung prüfen zu lassen.
Das Gespräch führte Lisa von Prondzinski.