Droht ein wochenlanger Bahnstreik? "Rasche Lösung sehe ich nicht"

Stand: 28.04.2023, 18:32 Uhr

Der Tarifstreit zwischen EVG und Deutscher Bahn ist erneut unterbrochen. Eine einfache Lösung sei nicht in Sicht, sagt WDR-Wirtschaftsexperte Frank-Christian Starke. Nun droht neuer Streik.

Die Eisenbahn-Gewerkschaft berät über weitere Warnstreiks im Bahnverkehr. Am Mittwoch war die dritte Tarifrunde mit der Deutschen Bahn gescheitert. "Wir könnten die Bahn wochenlang lahmlegen", sagte EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay am Freitag in der "Süddeutschen Zeitung". Eine Drohung?

Nicht wirklich, sagt WDR-Wirtschaftsredakteur Frank-Christian Starke im Interview. Neue Warnstreiks hält er aber für "sehr wahrscheinlich" - und sogar auch in verschärfter Weise.

WDR: Im Tarifstreit zwischen Bahn und EVG ist keine Einigung in Sicht. Drohen nun wochenlange Streiks im Bahnverkehr?

Frank-Christian Starke, WDR-Wirtschaftsredakteur | Bildquelle: wdr

Frank Christian Starke: Aufrufe zu womöglich wochenlangen Streiks in der nächsten Zeit halte ich für extrem unwahrscheinlich. Solche Ankündigungen würden von den Arbeitsgerichten umgehend überprüft werden. Denn Streikaktionen - auch Warnstreiks - müssen verhältnismäßig sein. Das wären sehr lange andauernde Streiks zum jetzigen Zeitpunkt sicher nicht. Denn: Noch sind die Verhandlungen ja nur unterbrochen und nicht abgebrochen.

WDR: Das bisherige Angebot der Bahn orientiert sich am Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst. Ist das wirklich unannehmbar?

Starke: Die EVG sagt ja: Nicht verhandlungsfähig! Und begründet diese Haltung damit, dass das Angebot nicht "bahnspezifisch" genug sei. Ein Knackpunkt in den Verhandlungen ist der Mindestlohn, der aber nur für wenige Tausend Beschäftigte eine Rolle spielt. Bisher zahlt die Bahn den gesetzlichen Mindestlohn nur in Form von Zulagen. Die Gewerkschaft will erreichen, dass der sofort in der Gehaltstabelle verankert wird. Die Bahn will das erst zu einem späteren Zeitpunkt machen.

WDR: Klingt eigentlich nicht nach unüberwindbaren Gegensätzen.

Starke: Es ist auch nicht das einzige Problem. Die Beziehungen zwischen den Tarifparteien sind hochgradig angespannt - und das ist noch höflich ausgedrückt.

WDR: Die EVG begründet ihre harte Haltung auch damit, dass ohne einen guten Abschluss sich der Personalmangel bei der Bahn noch verschärfen könnte. Zu Recht?

Starke: Die Bahn hat tatsächlich Schwierigkeiten, Personal zu gewinnen. Höhere Löhne sind für gut qualifizierte Leute immer ein gutes Argument.

WDR: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Starke: Eine einfache und rasche Lösung dieses Tarifstreits sehe ich nicht. Dafür sind die Positionen einfach zu verhakt. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es bald wieder zu Warnstreiks kommt.

Dabei dürfte die EVG die Gangart verschärfen und ihre Mitglieder zum Beispiel zeitlich gestaffelt in unterschiedlichen Regionen zu Warnstreiks aufrufen - vielleicht auch länger als wie zuletzt nur einen Tag.

Denkbar auch, dass verschiedene Berufsgruppen an unterschiedlichen Tagen die Arbeit niederlegen, mal die Beschäftigten in den Stellwerken, mal in den Werkstätten, mal das Personal im Zug.

WDR: In wenigen Tagen ist der Start des neuen Deutschland-Tickets. Könnten die vielen Neukunden durch Streiks wieder vertrieben werden?

Starke: Ich denke nicht, dass einige mögliche Warnstreiks wirklich viele Menschen davon abhalten werden, sich das Deutschland-Ticket zu kaufen. 

Das Interview führte Andreas Poulakos.

Über dieses Thema berichten wir am 28.04.2023 auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.