Deutschland in der Autokrise: "Nicht viel Hoffnung auf die Zukunft"

Stand: 12.12.2024, 10:25 Uhr

Die deutsche Automobilindustrie steckt in einer existenziellen Krise. Bei Ford, VW und Bosch sind zehntausende Arbeitsplätze in Gefahr. Am stärksten trifft das Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werken.

Es hätte der Start in eine sichere Zukunft werden sollen: Noch im vergangenen Jahr hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit Bill Ford, dem Urenkel des Firmengründers, den Beginn der Elektromobilität in den Kölner Werkshallen des Automobilherstellers eingeleitet. Damals herrschte "eine euphorische Stimmung und man hat zuversichtlich in die Zukunft geschaut", erinnert sich Hikmet Karaçay, Mitarbeiter und Gewerkschafter bei Ford in Köln.

Stillstand statt Zukunft bei Ford in Köln

Neuwagen auf dem Werksparkplatz bei Ford in Köln | Bildquelle: dpa / Oliver Berg

Heute ist von dieser Stimmung nicht viel übrig geblieben. Ein Blick auf den Werksparkplatz verrät den Grund: Die teuren Elektro-SUVs, die hier gebaut werden, will keiner kaufen. "Anfangs hat man das hier in der Produktion nicht mitbekommen", sagt Hikmet. Da habe man ganz normal die Stückzahlen produziert. "Und die stehen hier jetzt rum."

Doch nicht nur schwächelnde Absatzzahlen von Elektroautos drücken auf die Jobperspektiven der Beschäftigten. Die Herstellung von E-Autos braucht generell weniger Arbeitskräfte, und viele Handgriffe werden immer mehr von Maschinen übernommen.

"Das macht jetzt nicht viel Hoffnung auf die Zukunft." Hikmet Karaçay, Mitarbeiter bei Ford in Köln

Auswirkungen, die man nicht nur bei Ford in Köln zu spüren bekommt. Eine Studie im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zeigt: 2019 gab es 958.000 Beschäftigte in der deutschen Autobranche. So viele wie noch nie. 2023 waren es nur noch 911.000. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten laut VDA bis 2035 weitere 143.000 Arbeitsplätze wegfallen.

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Deutschlandweit geht es um tausende Arbeitsplätze

Betriebsversammlung bei Ford in Köln | Bildquelle: dpa / Christoph Reichwein

Im Kölner Ford-Werk sollen bis 2027 zunächst 2.900 Arbeitsstellen gestrichen werden - es geht um jeden vierten Arbeitsplatz. Bei der Belegschaft ist die Wut entsprechend groß. Ende November kamen 8.000 Angestellte zur Betriebsversammlung, um endlich zu erfahren, wie es konkret mit ihnen und dem Werk weitergeht.

Die Ergebnisse laut Hikmet Karaçay ernüchternd: "Wir haben bis dato eigentlich oft über Reduzierungen geredet und heute reden wir über die Schließung von ganzen Bereichen."

Als ehrenamtlicher Vertrauensmann bei der Gewerkschaft IG Metall weiß Hikmet um die Sorgen und Ängste der Mitarbeitenden. "Ich habe auch Kollegen und Kolleginnen, die alleinerziehend sind oder in der Familie ein Elternteil arbeitet und der andere Teil dann die ganze Care-Arbeit macht." Da gäbe es dann schon existenzielle Ängste.

Zukunftspläne liegen bei vielen auf Eis

Aber auch Hikmet selbst hat gerade viel Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Denn wie viele andere bei Ford, ist er aktuell in Kurzarbeit. Wenn keine Autos verkauft werden, müssen eben auch keine gebaut werden. Seit einem Jahr ist Hikmet verheiratet, doch die Zukunftspläne liegen erst mal auf Eis. "Also man macht ja einigermaßen eine Familienplanung oder man versucht irgendwie, sich nach Eigentum umzuschauen." Das sei in nächster Zeit aber nicht vorstellbar.

Dabei galt Ford, einer der größten Arbeitgeber in Köln, noch vor ein paar Jahren als sichere Anlaufstelle. Die Autoproduktion boomte. Der Ford Fiesta war ein Erfolgsauto, von dem mehr als 20 Millionen Stück gebaut wurden. "Unter den Jugendlichen war Ford eine feste Größe im Kölner Umland", erklärt Hikmet. Die ersten Bewerbungen hätte man immer direkt an Ford geschickt.

"Wenn ich mich heute so umschaue im familiären Umkreis, nehmen die Jugendlichen Ford nicht mehr als sicheren Arbeitgeber wahr." Hikmet Karaçay

"Bundesvibe" begleitet Beschäftigte in der Autobranche

Die Situation in den Kölner Ford-Werken beleuchtet nur einen Teil der Krise, in der die deutsche Autoindustrie steckt. Neben Hikmet Karaçay begleitet die aktuelle Folge von "Bundesvibe" in der ARD Mediathek vier weitere Menschen aus verschiedenen Bundesländern, deren Existenz an der Automobilindustrie hängt.

So haben Rhona und Matthis Angst vor der Zukunft - sie lernen bei VW Kfz-Mechatronik. Die Übernahmegarantie wurde gekündigt, vielleicht muss sogar das ganze Werk schließen. Softwareentwickler Sudheendhar hat wiederum vor einem Jahr mit seiner Frau ein Haus gekauft. Als er davon erfährt, dass Bosch tausende Stellen streichen will, informiert er sich bei seinem Betriebsrat. Solche Anfragen landen bei Menschen wie Carsten. Er ist der Betriebsratsvorsitzende von 17.500 VW-Beschäftigten. Seit ein paar Wochen ist er im beruflichen Ausnahmezustand, für sein Privatleben ist kaum noch Zeit.

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