Assange nach Australien zurückgekehrt | sv 00:27 Min. Verfügbar bis 26.06.2026

"Wikileaks"-Gründer Julian Assange zurück in der Heimat

Stand: 26.06.2024, 15:21 Uhr

Für die einen ist er ein Verräter, für andere eine Leitfigur in Sachen Informations- und Pressefreiheit: Julian Assange ist als "freier Mann" in Australien gelandet.

Von Ingo Neumayer

Julian Assange ist frei und zurück in Australien. Der "Wikileaks"-Gründer ist von London, wo er seit Jahren inhaftiert war, über Thailand und die westpazifische Insel Saipan in der australischen Stadt Canberra gelandet. Der 52-Jährige winkte der wartenden Presse, küsste seine Frau Stella, umarmte seinen Vater und ging in Begleitung seiner Anwälte ins Flughafengebäude.

Auf Saipan hatte eine Richterin des dortigen US-Gerichts den 52-Jährigen zu einem "freien Mann" erklärt. Assange musste sich zuvor der Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe geheimer US-Dokumente schuldig bekennen. Die Strafe von knapp über fünf Jahren Haft gilt durch seinen Gefängnisaufenthalt in Großbritannien aber als verbüßt. Assanges Anwälte sprachen nach dem Urteil auf der Insel Saipan von einem "historischen Tag". Sie dankten zudem dem australischen Premierminister Albanese für seinen Einsatz zugunsten ihres Mandanten.

Wer ist Julian Assange?

Julian Assange wurde 1971 in Australien geboren. Schon als Teenager war er in Hackergruppen aktiv und beschäftigte sich intensiv mit Daten, Verschlüsselungsprogrammen und Software. 2006 war er an der Gründung der Enthüllungsplattform "Wikileaks" beteiligt. "Wikileaks" veröffentlichte im Internet geheime oder interne Dokumente aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung, die zum Teil großes Aufsehen erregten. Beispielsweise gab es auf "Wikileaks" Planungsdokumente zur Loveparade 2010, interne Berichte aus der Scientology-Sekte oder geheime Informationen, die belegten, dass mehrere Ministerien der Bundesregierung abgehört wurden.

Am meisten Aufsehen erregten die "Wikileaks"-Enthüllungen, die das US-Militär betrafen. So wurden 2010 Aktivitäten der US-Armee im Irak bekannt, bei denen Zivilisten ums Leben kamen und Gefangene misshandelt wurden. Laut Assange belegten die veröffentlichten Videos und Berichte, dass die USA dort Kriegsverbrechen begangen hätten. Die Informationen, die auf "Wikileaks" zu sehen waren, wurden der Plattform in der Regel von "Whistleblowern" wie Edward Snowden oder Chelsea Manning zugespielt.

Was wurde Assange vorgeworfen?

Die USA werteten die Enthüllungen, die die US-Armee betrafen, als Geheimnisverrat und leiteten ein Verfahren ein. Bei einer Verurteilung wegen Spionage hätte er bis zu 175 Jahre Haft in den USA verbüßen müssen. 2010 stellten schwedische Behörden zudem einen internationalen Haftbefehl wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung aus. Das Verfahren, das später eingestellt wurde, führte dazu, dass sich Assange den Behörden stellte. Er lebte unter Hausarrest und mit einer elektronischen Fußfessel in London.

Um einer Auslieferung nach Schweden und somit letztlich in die USA zu entgehen, flüchtete Assange 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort lebte er unter Umständen, die seiner Meinung nach einer Inhaftierung gleichkamen. Im April 2019 wurde Assange vom Präsident Ecuadors der Status als Asylberechtigter entzogen, worauf er in der Botschaft verhaftet wurde. Er wurde in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gebracht, wo er bis zu seiner Freilassung war.

Schlimme Haftbedingungen über mehrere Jahre | Bildquelle: Victoria Jones / dpa

Die Haftumstände dort wurden vielfach kritisiert, so sprach ein Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, der ihn dort besuchte, von "psychologischer Folter". Assanges Gesundheit habe durch die lange Haft stark gelitten, zwischenzeitlich sei er suizidgefährdet gewesen, hieß es aus seinem Umfeld. Laut "Wikileaks" war Assange 23 Stunden am Tag in Isolationshaft, seine Zelle sei nur zwei mal drei Meter groß gewesen.

Welche Bedeutung hat sein Fall?

Für viele Regierungen ist Assange ein Spion und Verräter. Journalistenverbände und Menschenrechtsorganisationen betonen dagegen immer wieder, wie wichtig die Arbeit von "Wikileaks" und anderen Enthüllungsplattformen sei. Assange habe zu einem "Umdenken in der Gesellschaft" beigetragen, sagte Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk e.V. im Februar dem WDR. Eine freie Gesellschaft brauche Informationen, um Entscheidungen fällen zu können. Da dürften relevante Informationen nicht verheimlicht werden.

Assange hat weltweit Unterstützer | Bildquelle: SAEED KHAN /AFP

Tatsächlich haben Assange und "Wikileaks" viele Diskussionen um die Informationshoheit ausgelöst und letztendlich auch einen neuen Umgang damit initiiert. So sind "Whistleblower" in der Europäischen Union unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich geschützt. In Deutschland trat das Hinweisgeberschutzgesetz 2023 in Kraft. Auch die journalistische Arbeit hat sich durch Assange und "Wikileaks" verändert. So haben die meisten Medienhäuser inzwischen digitale Briefkästen, in denen man anonym Material hinterlegen kann.

Was werfen Kritiker Assange und "Wikileaks" vor?

Als "Wikileaks" im Rahmen des US-Wahlkampfs 2016 tausende Emails veröffentlichte, die von Servern der Demokraten stammten und offenbar vom russischen Geheimdienst zugespielt wurden, geriet die Plattform unter starke Kritik. Der US-Sonderermittler und frühere FBI-Chef Robert Mueller warf "Wikileaks" vor, so die Wahlen zum Schaden der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton beeinflusst zu haben. Zudem soll Assange Kontakte zu Donald Trumps Sohn gehabt und ähnliches Material, das von republikanischen Servern stammte, zurückgehalten haben.

Der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo, der bei der Veröffentlichung geheimer Unterlagen mit "Wikileaks" zusammengearbeitet hat, berichtete am Dienstag im WDR ebenfalls von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit. Es habe von Beginn an einen "Dissens" gegeben mit "Wikileaks" in der Frage, was veröffentlicht werden dürfe, was im öffentlichen Interesse liege und was nicht. "Später hat Wikileaks einen sehr schwierigen, komplizierten, ich würde auch sagen: falschen Weg eingeschlagen“, so Mascolo im Mittagsecho von WDR5.

Tatsächlich veröffentlichte "Wikileaks" Informationen meist ohne Aufarbeitung, unkuratiert und ohne Überprüfung der Echtheit.

Wie sind die Reaktionen auf Assanges Freilassung?

Der australische Premierminister Anthony Albanese begrüßte die Freilassung von Assange, kritisierte aber, der Fall habe sich zu lange hingezogen. Der frühere US-Vizepräsident Mike Pence nannte die Abmachung einen "Justizirrtum", Assange hätte die volle Härte des Gesetzes spüren sollen, da er die nationale Sicherheit sowie die des US-Militärs gefährdet hätte.

Baerbock: Froh, dass eine Lösung gefunden wurde | Bildquelle: Gleb Garanich / REUTERS / WDR

"Wir begrüßen die Freilassung von Julian Assange aus der Haft im Vereinigten Königreich", schrieb die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros, Liz Throssell.  Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, sie sei "sehr froh, dass dieser Fall, der überall auf der Welt sehr emotional diskutiert wurde und viele Menschen bewegt hat, nun endlich eine Lösung gefunden hat".

Der Deutsche Journalisten-Verband reagierte "mit Jubel" auf die Nachricht. "Der jahrelange Kampf seiner Angehörigen und vieler internationaler Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen war erfolgreich", erklärte DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster.

Wie geht es jetzt weiter für Julian Assange?

Nach seiner Landung habe Assange mit dem australischen Regierungschef telefoniert - öffentlich möchte er sich noch nicht zu dem Urteil äußern. Seine Frau Stella sagte bei einer Pressekonferenz in Canberra: "Ich bitte Sie, uns Raum zu geben, uns Privatsphäre zu gewähren, (...) unsere Familie eine Familie sein zu lassen, bevor er zu einem Zeitpunkt seiner Wahl wieder sprechen kann".

Laut "Wikileaks" gingen dem Deal mit den US-Behörden lange Verhandlungen voraus. Die Vereinbarung sei das "Ergebnis einer weltweiten Kampagne, an der Grasswurzel-Kampagnen, Pressefreiheits-Aktivisten, Rechtsexperten und Politiker aus dem gesamten politischen Spektrum bis hin zur UN" beteiligt gewesen seien, hieß es in einem Statement auf "X" (früher "Twitter"). "Es ist klar, dass wir über anderthalb Jahrzehnte Verfolgung sehen, und offenbar hat sich auch in den USA die Erkenntnis durchgesetzt, dass dies genug ist", sagte Georg Mascolo dem WDR.

Assange gilt als gesundheitlich schwer angeschlagen. Er soll in der Haft unter Halluzinationen gelitten haben. Bei Anhörungen vor Gericht wirkte er abwesend und verwirrt. 2022 heiratete er im Gefängnis seine Anwältin, mit der er zwei Kinder hat. Wie er sein Leben in Freiheit angehen will, ist noch unbekannt. Das Wichtigste sei, dass sich ihr Mann nun gesundheitlich erhole, sagte seine Frau Stella am Dienstag gegenüber der "BBC". Seinen Zustand in den vergangenen fünf Jahren Haft beschrieb sie als schrecklich. Georg Mascolo glaubt, "dass wir noch viel von Assange hören werden". Assanges Familie sammelt nun Spenden, um die Flugkosten von 520.000 US-Dollar (etwa 486.000 Euro) für den Privat-Jet zu begleichen. Laut seiner Frau Stella wurde ihm nicht erlaubt, einen Linienflug zu nehmen.

Unsere Quellen:

  • ABC Australia
  • democracynow.org
  • Reuters
  • dpa
  • AFP
  • BBC
  • Wikileaks
  • Annegret Falter (Whistleblower Netzwerk e.V.)
  • Georg Mascolo im Interview mit dem WDR-"Mittagsecho"