Taleb A.: Viele Hinweise, warum kein Vollzug? Aktuelle Stunde 23.12.2024 39:14 Min. UT Verfügbar bis 23.12.2026 WDR Von Alexander Roettig

Täter von Magdeburg: Warum fiel er den NRW-Behörden nicht auf?

Stand: 23.12.2024, 17:21 Uhr

Die Spur des Täters von Magdeburg führt auch nach NRW. Mit wütenden Auftritten vor allem im Netz hätte er den Behörden womöglich schon früher auffallen können.

Von Nina Magoley und Rainer Striewski

Als eine Lehre nach dem Attentat in Magdeburg hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine bessere Überwachung des Internets gefordert. "Es kann nicht sein, dass da jeder machen kann, was er will", betonte Reul am Montag. Auch wenn eine Überwachung in diesem Fall wenig gebracht hätte, sei das nun eine der zentralen Fragen: "Haben wir den Mut, kriegen wir den Konsens in der Gesellschaft hin, dass wir uns auch in der digitalen Welt Regeln einfallen lassen?" so Reul.

Gemeldet in Düsseldorf und Bochum

Unterdessen wurde bekannt, dass sich der Attentäter von Magdeburg in den Jahren 2009 und 2010 auch in NRW aufgehalten hat. Das bestätigte eine Sprecherin des Flüchtlingsministeriums dem WDR. "Er war aber nicht über NRW nach Deutschland eingereist", betonte die Sprecherin.

Laut seinen Einträgen im Ausländerzentralregister wohnte Taleb A. von Mitte Mai 2009 bis Ende Februar 2010 zunächst in Düsseldorf und dann in Bochum. Am 03.08.2009 wurde ihm durch die Stadt Bochum auf seinen Antrag hin eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Laut NRW-Flüchtlingsministerium diente sie dem "Zweck der betrieblichen Aus- und Weiterbildung". Vorher war er im Besitz einer Duldung. "Danach hat er sich nach unseren Erkenntnissen aus dem Ausländerzentralregister nicht mehr in Nordrhein-Westfalen aufgehalten", so die Sprecherin.

Anzeigen und Ermittlungen in NRW

Keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft | Bildquelle: picture alliance/dpa

Nicht nur im Ausländerzentralregister, auch in den polizeilichen Ermittlungsakten finden sich Spuren von Taleb A. in NRW. Laut Staatsanwaltschaft Köln hatte er vor einigen Jahren vergeblich strafrechtliche Ermittlungen gegen eine Flüchtlingshelferin verlangt, die im Vorstand des Vereins Säkulare Flüchtlingshilfe sitzt. Der Verein setzt sich für religiös Verfolgte und religionsfreie Flüchtlinge ein.

Am 30. März 2023 teilte die Kölner Staatsanwaltschaft Taleb A. mit, keine Ermittlungen einzuleiten. Über den Hintergrund der Anzeige wisse man nichts, erklärte ein Sprecher Staatsanwaltschaft.

Wochen später bekam die Kölner Behörde dann offenbar Post von Taleb A. Das geht aus der schriftlichen Gefährderansprache hervor, die ihm Monate vor dem Anschlag zugestellt wurde. Darin wird aus einer E-Mail von Taleb A. an die Kölner Staatsanwaltschaft zitiert, in der es heißt: "Daher habe ich kein schlechtes Gewissen für die Ereignisse die in den nächsten Tagen passieren werden." Durch die Behörden waren die Worte offenbar als abstrakte Drohung gewertet worden.

Zuvor hatte es laut einem des Nachrichtenmagazins "Spiegel" ebenfalls Streit mit dem in Köln ansässigen "Zentralrat der Ex-Muslime" gegeben. Demnach hatte Taleb A. eine Spende in Höhe von 500 Euro geleistet, das Geld aber bereits zwei Tage später wieder zurückgefordert. Der Zentralrat kam der Aufforderung nach und wurde laut "Spiegel" in der Folge per Mail übelst beschimpft und terrorisiert. 

Warum griff das Präventionsprogramm nicht?

Hätten die Sicherheitsbehörden in NRW Taleb A. bereits auf dem Schirm haben können? In den sozialen Medien, besonders in seinem X-Account, hatte Taleb A. immer wieder seine Wut zum Ausdruck gebracht und auch Gewalt angedroht. Demnach fühlte er sich als bekennender Islamgegner von saudi-arabischen Kräften verfolgt und dabei zunehmend vom deutschen Staat allein gelassen.

Genau für solche Fälle - potentielle Straftäter, die sich über längere Zeit auffällig verhalten, aber nicht straffällig werden - setzt NRW seit 2022 das Früherkennungsprogramm "PeRiskoP" ein. Es steht für "Personen mit Risikopotenzial" und soll helfen, Amoktaten, Stalking, häusliche Gewalt und ähnliche Delikte zu verhindern.

Reul: "Dann haben wir einen Polizeistaat"

"PeRiskoP ist der Versuch, Leute, die psychisch auffällig werden, frühzeitiger zu erkennen", erklärte Reul am Montag. Wenn sich jemand beispielsweise gewaltbereit in Verbindung mit psychisch auffälligem Verhalten zeigt, soll sich die Polizei über PeRiskoP mit weiteren Behörden wie Schulen, Gesundheitsämtern oder psychiatrischen Einrichtungen austauschen. In gemeinsamen Konferenzen soll dann eine Risikobewertung entstehen.

"Wir sind da ganz gut vorangekommen, aber wenn man ehrlich ist, auch da werden Lücken bleiben", so Reul. Es sei nicht auszuschließen, dass jemand aus dem Programm straffällig werde. "Wenn wir das verhindern wollen, müssten wir diesen Menschen rund um die Uhr 24 Stunden mit Polizisten begleiten. Wenn wir das wollen, haben wir einen Polizeistaat."

BDK beklagt fehlende Ressourcen und Rechtsrahmen

"PeRiskoP ist ein Instrument, um Sachverhalte zu Personen zusammenzutragen, ein Gesamtbild zu erstellen, damit die zuständigen Behörden dann auch exekutiv agieren können", erklärt Oliver Huth, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Bei diesen Behörden handele es sich nicht zentral um die Polizei, sondern etwa das Gesundheitsamt und andere Dienststellen. "Wir können die Leute nicht prophylaktisch einfach einsperren", so Huth.

Huth: "Es fehlen Ressourcen." | Bildquelle: WDR

Zudem könne der Staat "nicht wirklich hinter jeder Hassbotschaft hinterher sein und dann auch noch eine Prognose aussprechen, wie die Person sich in Zukunft verhält", erklärt Huth weiter. Dafür fehlten Ressourcen und auch der Rechtsrahmen. "Ich glaube, das steht einem Rechtsstaat nicht zu Gesicht, Leute entsprechend einzusperren, nur weil sie im Internet etwas verlautbaren lassen."

Alle aktuellen Entwicklungen zur Lage in Magdeburg gibt es auch im MDR-Ticker:

Unsere Quellen:

  • WDR-Interview mit Innenminister Herbert Reul
  • WDR-Interview mit BDK-Landesvorsitzendem Oliver Huth
  • Sprecherin des Flüchtlingsministeriums NRW
  • Sprecher der Kölner Staatswanwaltschaft
  • Pressemitteilung Polizei NRW zum Programm "PeRiskoP"

Hinweis der Redaktion: Wir schreiben von Taleb A. als Täter, da wir dies durch den Pressekodex gedeckt sehen. Wir beziehen uns dabei auf Ziffer 13.1: "Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat."

Über das Thema berichten wir am 23.12. in den Hörfunknachrichten und im WDR Fernsehen um 18:45 Uhr in der Aktuellen Stunde.