Kanzler Scholz will Vertrauensfrage stellen, Neuwahlen möglich - im Statement kritisiert er Finanzminister Lindner | sv 00:23 Min. Verfügbar bis 06.11.2026

Scholz will Vertrauensfrage stellen - FDP-Minister verlassen Regierung

Stand: 06.11.2024, 22:39 Uhr

Nach dem Koalitionstreffen am Abend ist klar, dass die Ampel-Koalition nicht weitermachen wird. Bundeskanzler Scholz hat Finanzminister Lindner von der FDP entlassen. Er will im Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. 

Bei einem Pressestatement sagte Scholz, er habe den Bundespräsidenten um die Entlassung Lindners gebeten. Zu oft habe dieser sein Vertrauen gebrochen. Dem FDP-Chef gehe es um die eigene Klientel und das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Solch ein „Egoismus“ sei vollkommen unverständlich – gerade an einem Tag wie diesem. Der SPD-Politiker bezog sich dabei auf den Sieg Donald Trumps bei der US-Wahl.

"Vertrauen gebrochen": Scholz attackiert Lindner

Bundeskanzler Scholz bei seinem Statement im Kanzleramt | Bildquelle: AP, Markus Schreiber

Die Unternehmen im Land bräuchten Unterstützung, sagte er mit Blick auf die schwache Konjunktur und hohe Energiepreise. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine. Scholz ergänzte, er sei sich mit Vizekanzler Habeck von den Grünen einig, dass Deutschland schnell Klarheit über den künftigen politischen Kurs brauche. Bis Weihnachten sollen im Bundestag alle Gesetze zur Abstimmung gestellt werden, die keinerlei Aufschub bedürfen.

Scholz will Vertrauensfrage im Bundestag stellen - Neuwahlen im März möglich

In der ersten Sitzungswoche des Bundestags im neuen Jahr will Scholz dann die Vertrauensfrage stellen. Der Bundestag soll am 15. Januar darüber abstimmen. Mögliche Neuwahlen könnten dann spätestens bis Ende März stattfinden, sagte Scholz.

Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend bei den Koalitionsbesprechungen im Kanzleramt | Bildquelle: dpa, Hannes P Albert

Der Kanzler erklärte außerdem, er wolle das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz suchen. Er wolle in zwei entscheidenden Fragen konstruktiv mit der Opposition zusammenarbeiten: Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden hätten, sagte Scholz. Es brauche außerdem Klarheit über die solide Finanzierung der Sicherheit und Verteidigung.

Lindner kritisiert Scholz mit deutlichen Worten

FDP-Chef Lindner erklärte, seine Partei habe Vorschläge für eine "Wirtschaftswende" vorgebracht. SPD und Grüne hätten die aber nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert.

Christian Linder bei seinem Statement am Abend im Reichstagsgebäude | Bildquelle: dpa, Kay Nietfeld

Olaf Scholz habe lange die Notwendigkeit verkannt, dass Deutschland einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötige, kritisierte der Bundesfinanzminister. Außerdem habe er die wirtschaftlichen Sorgen der Bürger lange verharmlost. Die Gegenvorschläge des Kanzlers seien "matt und unambitioniert", so der FDP-Chef. Der Kanzler habe gezeigt, dass er nicht die Kraft habe, dem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.

Lindner warf Scholz auch vor, ihn unter Druck gesetzt zu haben, die Schuldenbremse auszusetzen. Dem habe er aber nicht zustimmen können, "weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte". Daraufhin habe Scholz die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt, so Lindner.

Lindner wirft dem Kanzler "kalkulierten Bruch der Koalition" vor

Der FDP-Chef ergänzte, er habe einen gemeinsamen Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen, "um geordnet und in Würde" eine neue Bundesregierung zu ermöglichen und um die Handlungsfähigkeit des Landes zu jedem Zeitpunkt zu garantieren. Das habe Scholz aber "brüsk" zurückgewiesen. Der Kanzler habe mit seinem "genau vorbereiteten Statement" einen "kalkulierten Bruch der Koalition" herbeiführen wollen.

Laut Lindner ist die FDP unverändert bereit, Regierungsverantwortung zu tragen. Man wolle dafür kämpfen, dies künftig in einer anderen Koalition zu tun.

FDP-Minister legen Ämter nieder

Am späten Abend teilte die außerdem mit, dass die FDP-Minister die Bundesregierung verlassen werden. Sie wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen, kündigte Fraktionschef Christian Dürr in Berlin an. Damit ist das Ampel-Bündnis auch offiziell beendet.

Dürr sagte, die Richtungsentscheidung für eine "Wirtschaftswende" sei in der Ampel-Koalition nicht möglich gewesen. Die Vorschläge des Kanzlers hätten nicht im Ansatz ausgereicht, um Deutschland wieder wirtschaftlich nach vorn zu bringen. Jetzt sei es an den Wählerinnen und Wählern, eine Richtungsentscheidung für das Land zu treffen.

Habeck: Ampel-Aus fühlt sich falsch an

Vizekanzler Habeck von den Grünen erklärte in einem gemeinsamen Statement mit Außenministerin Baerbock vor dem Kanzleramt, notwendig gewesen wäre nach dem Sieg Donald Trumps in den USA vor allem eine stärkere Unterstützung der Ukraine. Habeck pochte auch auf zusätzliche Anstrengungen für sozialen Frieden sowie die wirtschaftliche und ökonomische Erholung des Landes. Darauf habe man sich nicht verständigen können, hieß es mit Blick auf Lindner.

Der Bruch des Regierungsbündnisses mit SPD und FDP fühle sich an einem Tag wie diesem falsch und geradezu tragisch an, ergänzte Habeck. Man wolle nun zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen freimachen und aus dem Amt heraus Stabilität geben.

Die SPD hatte für 22.30 Uhr ihre Bundestagsfraktion zu einer Sitzung zusammengerufen. Bereits eine Stunde zuvor wollte die FDP zu einem Sondertreffen zusammenkommen.

Keine Einigung im Koalitions-Ausschuss

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP waren um 18 Uhr im Kanzleramt zusammengekommen. SPD und Grüne hatten im Vorfeld erklärt, eine Einigung zum Haushalt für 2025 sei möglich, wenn der Wille dazu da sei.

Lindner hatte Neuwahlen vorgeschlagen

FDP-Chef Lindner hatte dort Kanzler Scholz eine Neuwahl des Bundestags vorgeschlagen, so die Informationslage während des Treffens. Die Gespräche hätten gezeigt, dass keine ausreichende Gemeinsamkeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik herzustellen sei, zitieren Teilnehmer Lindner. Es sei im Interesse des Landes, schnell Stabilität und Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. 

Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner hatten schon in mehreren vorangegangenen Treffen beraten, ob sich die Ampel auf den Haushalt 2025 und zusätzliche Hilfen für die Wirtschaft verständigen kann.

FDP-Chef hatte "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen

Lindner hat schon vor einiger Zeit einen "Herbst der Entscheidungen" für die Koalition ausgerufen. Er meinte damit unter anderem eine Strategie, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise geführt werden soll.

In seinem Konzept für eine "Wirtschaftswende" forderte Lindner unter anderem die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Gutverdiener und einen Kurswechsel in der Klimapolitik. Gegen solche Ideen gab es erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen.

Unsere Quellen:

  • Statements von Bundeskanzler Scholz (SPD), Finanzminister Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Habeck mit Außenministerin Baerbock (Grüne)
  • Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
  • ARD-Brennpunkt

Über dieses Thema berichtet der WDR am 06.11.2024 auch im Fernsehen: WDR aktuell ab 21:45 Uhr.