Expertenblick auf die Protokolle des Parlamentarischen Rates

Stand: 18.04.2019, 18:30 Uhr

Der Historiker Michael F. Feldkamp hat das Team bei der Bearbeitung der Rats-Protokolle und im gesamten Prozess beraten. Er kennt das Material wie kaum ein anderer.

Michael F. Feldkamp

Michael F. Feldkamp, geboren 1962, ist Historiker in Berlin. Neben seinen Forschungen zur Kirchen- und Papstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts hat er seit 1995 zahlreiche Bücher und Detailstudien zur Geschichte der Entstehung des Grundgesetzes publiziert.

WDR: Warum ist es heute noch/wieder interessant, sich mit den Debatten und Beratungen im Parlamentarischen Rat zu beschäftigen?

Feldkamp: Die Debatten sind und bleiben für eine authentische Interpretation des Grundgesetzes von zentraler Bedeutung. Nicht nur für Juristen, sondern auch für Politiker kann es hilfreich sein, zu wissen, warum die Mütter und Väter des Grundgesetzes manches in das Grundgesetz aufgenommen haben und umgekehrt auf anderes verzichteten. Die Debatten, auch jene, die in der Hörfunkreihe berücksichtigt wurden, sind Beleg dafür, mit welcher Ernsthaftigkeit die Mitglieder des Parlamentarischen Rates ihre Sachargumente austauschten.

WDR: Wer waren die Mütter und Väter des Grundgesetzes?

Feldkamp: Hinsichtlich der Biografien der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates mögen an dieser Stelle nur wenige Zahlen reichen: Von den 65 Mitgliedern waren nur vier Frauen im parlamentarischen Rat vertreten. Alleine 15 Abgeordnete waren während der Nazizeit in Haft. Viele weitere waren zur politischen Untätigkeit gezwungen worden oder wurden mit Berufsverbot belegt. Drei Abgeordnete waren schon Mitglied der Weimarer Nationalversammlung 1919 gewesen. Elf Abgeordnete gehörten vor 1933 dem Reichstag an. Zwölf Mitglieder waren nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Ländern als Minister tätig. Und 37 Mitglieder werden später als Abgeordnete in den ersten Deutschen Bundestag gewählt.

WDR: Unter welchen politischen Rahmenbedingungen entstand das Grundgesetz?

Feldkamp: Unmittelbar nach der Einführung der D-Mark im Sommer 1948 kam es zur Berlin-Blockade. Sie dauerte ein Jahr und war der Auftakt für jene Epoche in der Weltgeschichte, die auch als Zeit des kalten Krieges bezeichnet wird. Der Parlamentarische Rat wurde schließlich auf Anweisung der westalliierten Siegermächte einberufen. Sie behielten sich auch die Genehmigung des Grundgesetzes vor. Die Verfassungsschöpfung fand also unter Besatzungsherrschaft statt!

WDR: Empfinden Sie Haltung und Sprache der Politiker im Parlamentarischen Rat anders als die heutiger Abgeordneter?

Feldkamp: Selbstverständlich ist die Sprache der Politiker vor 70 Jahren eine andere gewesen als heute. In den Ausschüssen, deren Protokolle zeitgenössisch nicht publiziert wurden, hat man in einer sehr klaren Sprache und offen argumentiert. Hingegen fällt bei den öffentlichen Plenarsitzungen die oftmals sehr pathetische und auch gravitätisch, um nicht zu sagen vornehme Ausdrucksweise der durchweg hoch gebildeten Parlamentarier auf.

WDR: Worin besteht/bestand Ihre Arbeit als Historiker im Zusammenhang mit Grundgesetz und Parlamentarischem Rat?

Feldkamp: Der Deutsche Bundestag und das Bundesarchiv hatten schon in den 1970er-Jahren mit der Veröffentlichung der Protokolle und Akten des Parlamentarischen Rates begonnen. Nach vielen Jahren der Unterbrechung bekam ich 1993 die Chance, die Edition mit einigen Kollegen seitens des Deutschen Bundestages abzuschließen. Wir haben die zentralen Aktenstücke und Protokolle nicht nur veröffentlicht, sondern auch kommentiert, wenn unverständliche Sachverhalte einer Erläuterung bedurften.

WDR: Was können wir lernen? An was sollten wir uns wieder erinnern?

Feldkamp: Der Streit zwischen liberalen Kräften, konservativen Katholiken und von Moskau gesteuerten Kommunisten um die Frage, wie das Grundgesetz auszusehen hat, zeigt vorbildlich, dass man als Politiker in der Sache hart kämpfen muss, schließlich aber immer so versöhnlich  bleiben sollte, dass ein Kompromiss möglich bleibt. Aufgrund der parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse konnten Mindermeinungen nicht einfach überstimmt werden.

WDR: Was hat Sie interessiert an dieser Arbeit für die ARD?

Feldkamp: Als ich 1993 mit der Veröffentlichung der Protokolle des Parlamentarischen Rates beauftragt wurde, hielt ich weite Teile der Debatten für derartig spannend, dass ich damals schon der Überzeugung war, dass man die Geschichte des Parlamentarischen Rates auch als Fernsehdokumentation oder als Hörspiel aufbereiten könnte. Als mich im Herbst 2018 der WDR nach meiner Meinung zu diesem Vorhaben fragte, war ich sofort begeistert. Und so habe ich sehr gerne die Inszenierung der Themen durch die Redaktion und die Autoren begleitet.

Die Fragen stellte Martina Müller-Wallraf.