Hörbuchcover: "Buchenleben" von Peter Wohlleben

"Buchenleben" von Peter Wohlleben

Stand: 12.09.2024, 07:00 Uhr

Was, wenn ein Baum uns seine Geschichte erzählen könnte? Peter Wohlleben zeichnet die Biographie einer 250 Jahre alten Buche nach. Julia Nachtmann und Peter Kaempfe geben dem Baum ihre Stimme. Eine Rezension von Christoph Vratz.

Peter Wohlleben: Buchenleben. Ein Baum erzählt seine erstaunliche Geschichte (Hörbuch)
Gelesen von Julia Nachtmann und Peter Kaempfe.
Der Hörverlag, 2024.
1 CD (Laufzeit 7 Stunden und 9 Minuten), 23 Euro.

"Buchenleben" von Peter Wohlleben

Lesestoff – neue Bücher 12.09.2024 05:12 Min. Verfügbar bis 12.09.2025 WDR Online Von Cgristoph Vratz


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In einer eng getakteten, oft hektischen Zeit kann uns ein Baum wie mit einer Super-Zeitlupe den Spiegel vorhalten:

"Bäume sind rund 1000-mal langsamer als wir."

Bäume: die bekannten Wesen in ihrer Rolle für unser Klima. Bäume: die unbekannten Wesen in ihrer individuellen Lebensgeschichte. Genau eine dieser Lebensgeschichten erzählt Peter Wohlleben in seinem neuen Buch "Buchenleben".

"Die alte Buche gibt es wirklich: Sie wächst in einem Schutzgebiet direkt hinter unserem Forsthaus."

Die Buchausgabe besteht aus zwei Teilen: einem erzählenden ersten und einem wissenschaftlichen zweiten, in dem auch die Rahmenbedingungen für das Leben der Bäume erklärt werden. Diese Ausführungen zum "Setting", wie Wohlleben es nennt, sind für das vorliegende Hörbuch gekürzt und an den Anfang gestellt worden - oder werden zwischendurch eingeflochten. Denn neben diesen Verständnis-Hilfen steht natürlich die Geschichte vom Leben einer Buche im Mittelpunkt.

"An die ersten Tage meines Lebens kann ich mich noch recht gut erinnern. Am Anfang war alles schwarz. Ein weiches, wohliges Schwarz, angenehm feucht, durch das ich mich mit der Spitze meiner frisch geschlüpften Wurzel hindurchtastete. Es hätte gemütlich sein können, wenn es nicht so laut gewesen wäre. Heute weiß ich, dass die Geräusche von Wasser, vor allem aber von den vielen winzigen Wuselern im Boden herrühren, die dort jeden Krümel bevölkern und rastlos mit hoher Geschwindigkeit alles fressen, dann wieder ausscheiden, umbauen, mit Schleim überziehen oder auch Wurzeln von kleinen Baumkindern attackieren."

Bei Bäumen ist es umgekehrt wie bei uns Menschen: Das Gehirn sitzt nicht oben, sondern unten, in der Wurzel. Und so arbeitet sich die Buche in die Tiefe, dann mit den ersten Blättchen nach oben. Der junge Baum lernt den Umgang mit Licht, mit Wasser – und mit Widerständen.

"Ein Knistern im trockenen, alten Laub, und schon fiel ein langer Schatten auf mich und meine Geschwister. Ein großes braunes Geschöpf auf vier Beinen stand einen kurzen Moment über uns, und ehe ich mich versehen hatte, schienen viele meiner Geschwister zusammen mit dem Wesen verschwunden. Doch sie waren nicht weg, nein, ihr Klagen war noch lange zu riechen, denn sie waren nur ihrer Blätter beraubt worden."

 Durch Wurzeln nehmen die Bäume Kontakt zueinander auf. Auch über die Luft erreichen sie Botschaften, ob Hilferufe, Liebesgrüße oder auch ödes Geschwätz.

"Mit der Zeit lernte ich, dass es nicht nur ein, sondern viele verschiedene Haarwesen gab, von denen manche gefährlich, viele aber überaus hilfreich für uns sind. So fasste ich wieder Vertrauen in diejenigen, die gleich nach der Geburt in meine Wurzeln hineingewachsen waren. Andere Pilzarten umhüllten meine zarten unterirdischen Spitzen und schützten diese vor ihrer gefräßigen Verwandtschaft, die unsere Rindenhaut oder unsere Knochen auf dem Speiseplan hatten."

Viele Jahre später lernt die Buche, die Jahreszeiten zu erkennen und andere Düfte und Signale zu deuten. Schließlich kommt sie in Kontakt mit völlig anderen Wesen: Zweibeinern. Der Mensch wird (auch) zur Gefahrenquelle für das Leben der Bäume.

Die Erzählung aus der Ich-Perspektive eines Baumes birgt durchaus ihre Reize, und Julia Nachtmann vermittelt sie in diesem Hörbuch auf geschickte Weise: nie triefend pädagogisch oder seicht, sondern eben erzählerisch. Die sachlichen Zwischenabschnitte liest Peter Kaempfe behutsam und gut verständlich.

"Wie sensibel Pflanzen Bewegungen […] spüren können, zeigen verschiedene Studien. So können Pflanzen etwa Berührungen von Nachbarpflanzen erkennen, also mechanische Reize einordnen."

Während die Erzählung des Buchenlebens und der kommentierende Sachteil in Peter Wohllebens Buchausgabe strikt voneinander getrennt sind, ergibt sich im Hörbuch eine kluge Verzahnung, die ganz eigene Reize hat – auch weil mit Julia Nachtmann und Peter Kaempfe zwei zwar sehr unterschiedliche Stimmen ausgewählt worden sind, die einander aber sehr gut ergänzen.