"Watership Down" von Richard Adams

Stand: 01.08.2023, 18:44 Uhr

Vor 50 Jahren erschien die weltbekannte Geschichte über eine Gruppe Wildkaninchen auf der Suche nach einer neuen Heimat: "Watership Down". Eine Neuübersetzung regt zur Relektüre an. Das Fazit: erstaunlich reaktionär. Eine Rezension von Corinne Orlowski.

Richard Adams: Unten am Fluss – Watership Down
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Ullstein Verlag, 576 Seiten, 26.99 Euro

"Watership Down" von Richard Adams Lesestoff – neue Bücher 10.08.2023 05:54 Min. Verfügbar bis 09.08.2024 WDR Online Von Corinne Orlowski

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Die Message: Schützt die Natur.

Mit Musik "Bright Eyes"

Sie haben sich ins kollektive Gedächtnis gegraben: Süße Kaninchen, die vor der Zerstörung ihres Baus flüchten, um fernab ein Leben in Freiheit zu führen. Eine Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt? Die Zeichentrickfilme haben das vermittelt und trotzdem mit grausamen Bildern viele Kinder erschüttert. Die Message: Schützt die Natur. Und so formuliert es auch Art Garfunkel im lieblichen Coversong. Das Lied eroberte die Herzen im Sturm und hat sicher einen Anteil am Welterfolg von Richard Adams Romanvorlage "Watership Down", zu Deutsch "Unten am Fluss".

"And what does it mean? Oh, is it a dream? Bright eyes, burning like fire"

Watership Down ist ein Schlachtfeld

Fünfzig Jahre nach Veröffentlichung bringt der Ullstein Verlag eine Neuübersetzung auf den Markt. Nachdem man diesen Klassiker nach vielen Jahren erneut gelesen hat, muss man seine Kindheitsillusionen über Bord werfen: Watership Down ist ein Schlachtfeld, ein misogynes Heldenepos, eine Abenteuergeschichte voll schwarzer Pädagogik – die Kaninchen gleichen Soldaten zwischen gelben Schlüsselblumen und Bingelkraut. Der schmächtige Fiver hat die Vision, dass ihnen Gefahr droht. Doch sein kluger Bruder Hazel kann nur wenige Kaninchen überzeugen, den von den Menschen bedrohten Bau zu verlassen. Da wo sie leben, soll ein Neubaugebiet entstehen.

"Kaninchen, die sich im Freien aufhalten, leben in ständiger Furcht. Wenn ihre Furcht zu groß wird, trübt sich ihr Blick, dann sind sie wie gelähmt – ein Zustand, den sie als Tharn bezeichnen. Hazel und seine Gefährten befanden sich seit fast zwei Tagen in diesem angespannten Zustand. […] 'Schau nur!', sagte Fiver plötzlich. 'Das ist unser Ziel, Hazel. Hohe, einsame Hügel, auf denen uns der Wind jedes Geräusch zuträgt. Dorthin müssen wir.'"

Ein diktatorisch organisierter Kaninchenbau

Das Ziel: Watership Down. Unterwegs dorthin begegnen sie einer Menge Gefahren: heftige Gewitter, hungrige Hunde, Schrotflinten und Schlingfallen. All das ist aber nichts gegen die düstere Nachbarkolonie, ein diktatorisch organisierter Kaninchenbau um General Woundwort. Doch zum Glück treffen sie auch auf Freunde, wie die Lachmöwe Kehaar, die ihnen aus der Patsche hilft.

"Was er sah, hätte das tapferste Herz mit Schrecken erfüllt. Woundwort war aus der Unterführung gestürmt und preschte wutschnaubend auf sie zu. Im Rauschen des Regens, das die ganze Welt auszufüllen schien, ertönten heisere Schreie. 'Kriiärr!''Kriiärr!'"

Die Kaninchen haben ihre eigene Kultur und Mythologie

Die Kaninchen haben ihre eigene Kultur und Mythologie, können sprechen, teilweise ihr eigenes "Karnickelsch". Allerdings sind sie weniger vermenschlicht, als in gewöhnlichen Tiergeschichten. Sie zeigen instinktives Verhalten. Daher kann man bei "Unten am Fluss" nicht von einer Fabel sprechen. Dennoch gleichen die Kaninchenbünde menschlichen Gesellschaften. Die Annahme, der Roman sei als politische Allegorie zu lesen, hat der Autor aber immer widersprochen. Kaum zu glauben, wirkt sie doch wie ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit. Und zugleich wie ein Epos in Tradition der Odyssee, das einen unmittelbar ins Geschehen zieht. Man fiebert mit den Kaninchen. Das macht "Unten am Fluss" zu einem mitreißenden, einzigartigen Abenteuer.

"'Wir haben aber keine Zibben und keine Zibben heißt, dass es keine Jungen gibt, und das wiederum bedeutet, dass unsere Kolonie in wenigen Jahren am Ende wäre.' Andererseits ist es auch Menschen mehr als einmal so ergangen – auch sie dachten nicht gründlich genug nach, verließen sich stattdessen auf ihr Glück."

Gleichberechtigung? – Fehlanzeige.

Häsinnen werden gebraucht, also besorgt man sich welche. Gleichberechtigung? – Fehlanzeige. Heute weiß man, Adams hat mit diesem Roman seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg verarbeitet. Es besteht sogar Einigkeit in der Forschung darüber, dass im Werk dargestellt werde, was gute und schlechte Führung ausmache. Ist das alles noch zeitgemäß – vor allem für Jugendliche? Da hätte man sich bei der Neuausgabe ein Vor- oder Nachwort gewünscht. Nicht mal eine Einleitung von Adams, wie bei der englischen Jubiläumsausgabe, enthält das Buch. Und auch die Neuübersetzung von Henning Ahrens kann nicht so recht überzeugen. Sie ist knapper als die Erstübersetzung, läuft nun in schnellerem Tempo. So bekommt das Werk auch einen neuen Sound. Der ist aber nicht unbedingt leichtfüßiger oder zeitgemäßer. Vielmehr scheint die Übertragung eine Variation des Alten, eine Umformulierung. Zusammen mit dem verspäteten Erscheinungstermin beschleicht einen das Gefühl, da wurde das 50. Jubiläum wohlmöglich verschlafen. Für wahre Fans insgesamt eher eine Enttäuschung.