"Geheimnis der Rückkehr" von Stephan Wackwitz

Stand: 27.02.2024, 12:00 Uhr

Stephan Wackwitz hat lange Jahre im Ausland gelebt. In seinem Essay erzählt er davon, wie die Erfahrung der Fremde ihn geprägt hat. Er entwirft unvergessliche Städtebilder sowie bestechende Porträts von Politikern und Schriftstellern. Ein großes Buch vom Aufbrechen und Ankommen. Eine Rezension von Holger Heimann.

Stephan Wackwitz: Geheimnis der Rückkehr. Sieben Weltreisen
S. Fischer Verlag, 2024.
368 Seiten, 25 Euro.

"Geheimnis der Rückkehr" von Stephan Wackwitz Lesestoff – neue Bücher 27.02.2024 05:19 Min. Verfügbar bis 26.02.2025 WDR Online Von Holger Heimann

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Die Welt bildet. Die Begegnung mit fremden Gewohnheiten und Ansichten verändert nicht nur den Blick auf das eigene Land und die eigene Kultur, sie verändert einen selbst. Der Schriftsteller Stephan Wackwitz hat lange im Ausland gelebt: in London, Tokio, Krakau, Bratislava, New York, Tiflis und Minsk.

Die Fremde wurde für ihn zu einer Schule des Lebens. Sie hat sein Bewusstsein dafür geschärft, dass neben der eigenen Weltsicht unzählige andere Perspektiven existieren, "dass es so viele Wahrheiten über die Welt gibt, wie sich Menschen auf ihr befinden". So jedenfalls beschreibt es Stefan Wackwitz in seinem neuen Buch.

"Das Geheimnis der Rückkehr liegt darin, dass niemand als derselbe oder dieselbe irgendwohin zurückkehrt. Aber auch darin, dass alle Ursprünge, kaum hat man eine Weile nicht hingesehen, sich unwiederbringlich entfernt haben von ihrer Ursprünglichkeit. Weggang und Rückkehr machen die Welt unberechenbar."

In seinem großen "personal essay" blickt Wackwitz zurück auf ein Leben, das sich zunächst in ganz anderen Bahnen bewegt. Als pietistischer Klosterschüler in der schwäbischen Provinz und später als überzeugter Jung-Marxist hängt er absoluten Glaubenssätzen an.

Es ist die Lektüre des amerikanischen Philosophen Richard Rorty, die für Wackwitz einen Wendepunkt markiert und ihn von der Suche nach immer gültigen, umfassenden Welterklärungen befreit. Der pragmatische liberale Ironiker, als den er sich fortan sieht, ist gerade nicht mehr auf der Suche nach Letztbegründungen, ihm geht es im Gegenteil darum, "ein immer größeres Repertoire alternativer Beschreibungen anzusammeln".

Neben Lektüren werden für Wackwitz die Zusammentreffen mit anderen Menschen zu prägenden Erfahrungen. Die präzisen Porträts von Schriftstellern und Politikern, denen Wackwitz begegnet ist, gehören zu den Höhepunkten des Buches.

Dem Essayisten imponieren Figuren, die vor allem durch ihre physische Präsenz wirken. Großartig, wie Wackwitz eine Begegnung mit Helmut Kohl schildert, die ganz anders verläuft als erwartet. Bestechend das Porträt des Polen Adam Michnik.

"Dieses Gesicht erwies sich für mich als weltbildend. Seine nach unten gebogenen Mundwinkel hatten nichts Depressives, sondern schienen durch lebenslang andauerndes Argumentieren gebildet. Das wurde nur beiläufig (und deshalb eigentlich gar nicht) gestört durch jenes unvermeidlich mitlaufende Sprechstocken, Lautedehnen, Summen, Gurgeln, Explodieren und Poltern. Die Augen hinter der ungeputzten Normcore-Drahtbrille gewannen ihre Energie und Intensität durch Dauerkontakt mit der Wirklichkeit, der Gegenwart und dem jeweiligen Gegenüber. (...) Michniks Körperpräsenz schien von seinen inneren Regungen ganz ausgefüllt, seine Anwesenheit mit seinem Gefühlsleben kongruent. Man hätte seine Art der Geistesgegenwart mit einem altmodischen Wort als "seelenvoll" bezeichnen können."

Stephan Wackwitz ist ein glänzender Beobachter. Diese Begabung gepaart mit Beschreibungskunst kommt auch seinen Städtebildern zugute und macht diese unvergesslich. Wackwitz gelingt es in wenigen Sätzen, die Essenz eines Ortes und die Eigenheiten eines Menschen einzufangen. Die Stadtlandschaft von Tokio erzeugt im Autor eine regelrechte Beschreibungsgier.

"Schon die ersten Spaziergänge durch das dreidimensionale Labyrinth von Tokio setzten uns unter einen Beschleunigungsschock. Das ineinander Verschachteltsein von mittelalterlich engen Gassen und hypermodernen Stahl-Glas-Betonarchitekturen, das strapaziöse Tempo und die in westlichen Städten unerhörte Lautstärke dieser Stadtlandschaft, der in Deutschland nie gesehene Überfluss und Luxus der Waren, Schaufenster, weiblichen Garderoben, Restaurantinterieurs, Prunkarchitekturen schüchterte uns ein und erzeugte in uns, als Kompensation, intensives gesellschaftskritisches Räsonieren im Geist der Postmoderne."

Seit 2018 ist Stephan Wackwitz zurück in Deutschland. Er lebt in Berlin, der Stadt, die nach einem berühmten Satz, "dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein".

Für den Vielgereisten ist die deutsche Hauptstadt der "urbanistische Inbegriff" dessen, was er in der Welt erfahren hat. Es ist also der passende Platz für einen, der sich immer wieder neu auf den Weg gemacht hat – und der so wunderbar vom Aufbrechen und vom Ankommen erzählen kann.