"Schöne Bescherung auf Compton Bobbin" von Nancy Mitford

Stand: 18.10.2024, 07:00 Uhr

Mit dieser spritzig geschriebenen Satire auf die englische Upper-Class gewann Nancy Mitford 1932 die Anerkennung ihres berühmten Kollegen Evelyn Waugh. Zu Recht, zeigt die erneute Lektüre. Denn im Gewand des Leichten verbergen sich sehr ernst zu nehmende Reflexionen über Liebe und Ehe. Eine Rezension von Peter Meisenberg.

Nancy Mitford: Schöne Bescherung auf Compton Bobbin
Schöffling & Co., 2024.
240 Seiten, 22 Euro.

"Schöne Bescherung auf Compton Bobbin" von Nancy Mitford Lesestoff – neue Bücher 18.10.2024 05:57 Min. Verfügbar bis 18.10.2025 WDR Online Von Peter Meisenberger

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Compton Bobbin gehört zu jenen im ländlichen England so zahlreichen Häusern, deren hervorstechendste Eigenschaft es ist, in jedem empfindsamen Betrachter schon auf den ersten Blick ein Gefühl der Niedergeschlagenheit zu erwecken.

Mit dieser ironischen Einführung des Roman-Schauplatzes ist der Ton vorgegeben, in dem die damals 28jährige Nancy Mitford literarisch debütierte: In der spitzzüngigen Sprache der adligen englischen Upper-Class zieht sie genussvoll über eben diese Klasse her, deren Mitglied als das älteste von sieben Kindern des Barons Redesdales sie von Geburt an war. Im Roman – ihrem zweiten - versammelt sie eine Vielzahl bissig porträtierter männlicher wie weiblicher Exemplare des englischen Landadels, deren abschreckendste Vertreterin Lady Bobbin ist, die Herrin von Compton Bobbin: Eine völlig empathielose Witwe, die zum Frühstück schon Unmengen an Fleisch verzehrt, um sich gestärkt ihrer einzigen Leidenschaft, der Jagd, zu widmen.

Lady Bobbin gehörte zu jenen Frauen, die sich am besten mit einem einzigen, trostlosen Adjektiv beschreiben lassen: „schlicht“. Selbst in ihrer Jugend, als sie die reichste Erbin weit und breit gewesen war, hatte niemand ihr Äußeres mit einem vorteilhafteren Ausdruck belegen können als „nett“.

Umso erstaunlicher, dass Lady Bobbins Kinder, Philadelphia und Bobby, ziemlich adrett aussehen. Doch der Reihe nach: Der „Held“ der Geschichte, Paul Fotheringay, hat gerade seinen ersten Roman veröffentlicht und ist zutiefst enttäuscht über die Reaktion des Publikums und seiner Freunde: Alle finden ihn zum Schenkelklopfen komisch, doch er hatte ein todtrauriges Drama intendiert. Um seine schriftstellerische Reputation wieder herzustellen, beschließt er, ins seriöse Fach der Biografie zu wechseln und eine solche über die viktorianischen Dichterin Lady Maria Bobbin zu schreiben. Doch Lady Marias Nachlass – dreißig Bände Tagebücher – steht in Compton Bobbin und die jetzige Hausherrin lässt Paul eine eiskalte Absage erteilen:

Lady Bobbin weiß leider von keinerlei Dokumenten in Compton Bobbin, die für Mr. Fotheringay von Interesse sei. Könnten. Weitere Auskünfte zu diesem Thema kann sie nicht geben.

Da fällt Paul ein, dass er in Eton mit Lady Bobbins Sohn Bobby befreundet war. Gemeinsam hecken sie den Plan aus, dass Bobby über Weihnachten Paul unter falschem Namen als seinen Tutor mit nach Compton Bobbin bringen kann und ihm so Zugang zu den Tagebüchern verschafft. Ihm selbst würde Pauls Begleitung über die erwartbar öden Weihnachstage hinweghelfen. Und so strebt die Gesellschaftskomödie ihrem weihnachtlichen Höhepunkt zu, wo sämtliche Register der Situations-Komik und des Upper-Class-Gossip gezogen werden.

„Übrigens, Feltons Schwester, die hübsche, ist mit ihrem Chauffeur durchgebrannt – wusstest du das schon?“ „Barbara Casement? Also wirklich, Herzchen, pass auf, was du sagst, das hört sich sehr unwahrscheinlich an. Bist du ganz sicher?“ „Nein, ich verspreche dir, es stimmt. Felton sagt, einer Schirmmütze konnte sie noch nie widerstehen.“

Und natürlich kommt die Liebe ins Spiel: Prompt verliebt sich Paul in Bobbys schöne, intelligente Schwester Philadelphia und schenkt ihr sein Buch mit dem Hinweis, ein Freund habe es geschrieben. Philadelphia erkennt den Ernst des Romans, ist begeistert und nachdem Paul ihr gestanden hat, dass er der Autor ist, scheint sich eine perfekte Liebesgeschichte anzubahnen.

Dass daraus nichts werden kann, liegt in der Natur der von Nancy Mitford gewählten, dem Leichten und Komischen verpflichteten literarischen Gattung. Ihre ersten Romane sind ironische Gesellschaftsromane, wie sie in den 1920er und 30er Jahren in England gerne gelesen wurden. P.G. Wodehouse‘ Jeeves-Geschichten, die ebenfalls den versnobten und trotteligen englischen Landadel aufs Korn nahmen, stehen exemplarisch für dieses Genre. Mit dem sich übrigens gutes Geld verdienen ließ – und das war Nancy Mitfords Absicht, denn obwohl adlig, hatte sie keins. Doch deutet sich bereits in ihrem frühen Roman ihr großes literarisches Talent an, das sie dann in den wunderbaren Liebesgeschichten in den 1940er Jahren zur Entfaltung bringen konnte.

Immer wieder tauchen in all den ironischen Wendungen der Compton-Bobbin-Geschichte verblüffend ernste und tiefsinnige Reflexionen über die Liebe auf. Allein sie lohnen die Lektüre – vom Vergnügen am spritzigen Witz der Geschichte ganz abgesehen.