"Mit gefesselten Fäusten – Triumph und Tragödie eines Sinto-Boxers" von Rike Reiniger

Stand: 13.11.2024, 17:33 Uhr

Die Geschichte des Sinto-Boxers Johann Rukeli Trollmann, der 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde. Kaum errungen wurde der Titel wieder aberkannt: 1944 ermordeten die Nazis den Boxer im KZ Neuengamme.

Rike Reiniger: Mit gefesselten Fäusten – Triumph und Tragödie eines Sinto-Boxers
Griot Hörbuchverlag, 1 CD, 59 Minuten, Booklet, 19.80 Euro

"Mit gefesselten Fäusten" von Rike Reiniger Lesestoff – neue Bücher 21.11.2024 05:40 Min. Verfügbar bis 21.11.2025 WDR Online Von Monika Buschey

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"Vielleicht gibt es jemanden hier, der eine Erinnerung gebrauchen kann? Nein? Ich verstehe. Unbesehen nehmt ihr sie nicht. Aber ich kann sie euch zeigen, die Erinnerung, ganz deutlich zeige ich sie euch."

Hans will seine Erinnerung loswerden. Sie quält ihn und ist doch wesentlicher Bestandteil seines Lebens. Im Berliner Scheunenviertel hat er an seinem 12. Geburtstag auf dem Weg zur Schule einen Jungen im gleichen Alter kennengelernt, er heißt Ruki. Wenig später im Boxring trifft er ihn wieder. Die beiden werden Freunde.

"Wir boxten zusammen, gegeneinander, ich boxte mit Wut, er boxte ohne Wut. Jeder wusste, dass es wichtig ist zu schlagen. Aber Ruki wusste außerdem, dass es wichtig ist, nicht getroffen zu werden. Deshalb gewann er die Kämpfe: Altstadtmeister, Regionalmeister, Nord-West-Deutscher Meister – nie ließ er sich treffen. Ein Tanz im Ring. Ein Sieg im Ring."

Es ist die authentische Geschickte des Zigeunerboxers, wie er von den Nazis genannt wurde. Nur den Freund Hans, der die Story erzählt, hat es in Wirklichkeit nicht gegeben. Die Autorin Rike Reiniger hat ihn erfunden. Eine gute Idee, denn auf diese Weise entsteht für Ruki ein starkes Gegenüber, und die Geschichte einer Freundschaft gewinnt emotionale Kraft.

"Im ‚Gelben Kakadu‘ kannte uns jeder: Der blonde Hans und der Zigeunerboxer. Die Mädchen freuten sich. Wir waren zwanzig, sahen gut aus und hatten hin und wieder ein paar Pfennige in der Tasche. Die Kapelle spielte die neue Musik von drüben, Jazz. Wann ist der Augenblick, wo der Anfang aufhört und das Ende beginnt?"

Aufstieg und Niedergang eines Boxers. Die Autorin erzählt die bewende Geschichte in schlichten Worten. Ganz allmählich steigert sich die Spannung bis hin zum tragischen Ende. Von Beginn an ist zu spüren, dass dieses Leben auf eine Katastrophe hinausläuft. Der Schauspieler Paul Worms findet für jede Gemütsbewegung den richtigen Ton. Er hat die feinsten Gefühlsnuancen drauf und vermittelt sie so, dass das Schicksal der beiden Freunde unter die Haut geht. Die Erzählung wechselt ab mit Hörspielszenen, und die Musik von Michael Donner schafft Atmosphäre.

"Ruki sah großartig aus, breite Schultern, starke Arme, schwarze Locken, dazu ein Mund, der die Mädchen an den Ring zog. Ruki warf ihnen Kusshände zu, mitten im Kampf, Das trieb seine Gegner in den Wahnsinn. Sie wüteten und sie verloren."

Ruki wird 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Der Titel wird ihm umgehend wieder aberkannt, weil einer wie er unter den neuen Herren im Land kein Existenzrecht hat, geschweige denn als Sieger gefeiert werden darf. Schikanen und Beleidigungen begegnet er auf seine Weise. Die, die ihn quälen sind plötzlich die Blamierten. Er, der Gequälte, bleibt souverän. Er unterliegt. Aber er wahrt seine Würde. Noch einmal steigt er in den Ring.

"Ruki stellte sich in die Mitte und tat nichts. Täuschte nicht an, wich nicht aus. Der Gegner stutzte. Ruki stand und ließ sich zusammenschlagen. Ruki lag auf dem Boden. Er war ausgezählt. Trotzdem. Niemals gab es einen größeren Sieg. Die Leute tobten, schrien seinen Namen: Ruki, Ruki… Der ganze verdammte Saal schrie: Bravo, Ruki, bravo. Die paar braunen Provokateure hatten nichts mehr zu melden."

Eine letzte Szene in der Hölle eines Konzentrationslagers, wo die beiden wieder zusammenkommen. Die Wachleute haben Spaß daran, den Zigeunerboxer heraus zu fordern. Gegen verschiedene Gegner muss er antreten, ohne siegen zu dürfen. Eines Tages müssen die Freunde, Hans und Ruki, gegeneinander antreten. Plötzlich holt Ruki aus und schlägt einen der SS-Männer nieder. Ein Befreiungsschlag, den er nicht lange überlebt.

"Die anderen stürzten sich sofort auf ihn, traten und schlugen ihn. Dann wurde es plötzlich ruhig und einer sagte zu mir: Du knallst ihn ab."

Hans überlebt und muss seine Erinnerungen aushalten.

"Es rast auf der Stelle, mein Herz, es rast auf der Stelle."