"Long Island" von Colm Tóibín

Stand: 12.07.2024, 09:04 Uhr

Der irische Autor Colm Toíbìn erzählt meisterhaft von der Eilis, die aus New York nach Irland zurückkehrt und ihr Leben überprüft. Katja Danowksi entführt mit ihrer einfühlsamen Interpretation in den Alltag im Städtchen Enniscorthy. Eine Rezension von Christian Kosfeld.

Colm Tóibín: Long Island (Hörbuch)
Aus dem Englischen von Ditte Bandini und Giovanni Bandini
Gelesen von Katja Danowski
Goya Lit, Download (Laufzeit: 10 Stunden und 30 Minuten), 19.90 Euro.
Die Buchausgabe ist erschienen bei Hanser.

"'Sie sind Eilis Fiorello?' Der Akzent war irisch, dachte sie, mit einem Anflug von Donegal, wie ein Lehrer, den sie auf der Schule gehabt hatte. Auch wie der Mann dastand, als machte er sich auf einen Streit gefasst, erinnerte sie an die Heimat. 'Bin ich', sagte sie. 'Ich hab Sie gesucht.'"

Eilis lebt mit ihrem Mann Tony, einem Klempner, und den beiden Kindern Rosella und Larry in der italienischen Community in Long Island. Vor zwanzig Jahren ist sie aus Irland nach New York ausgewandert. Jetzt steht ein Mann vor ihrer Tür: er werde ihr bald das uneheliche Kind von Tony bringen. Der will das Kind in die Familie aufnehmen. Die betrogene und verletzte Eilis fährt kurzerhand zu ihrer Mutter nach Südirland, in den Ort Enniscorthy. Dort hatte sie 20 Jahre zuvor eine Liebesaffäre mit Jim Farrell.

"Eilis lebt mit ihrem Mann Tony, einem Klempner, und den beiden Kindern Rosella und Larry in der italienischen Community in Long Island. Vor zwanzig Jahren ist sie aus Irland nach New York ausgewandert. Jetzt steht ein Mann vor ihrer Tür: er werde ihr bald das uneheliche Kind von Tony bringen. Der will das Kind in die Familie aufnehmen. Die betrogene und verletzte Eilis fährt kurzerhand zu ihrer Mutter nach Südirland, in den Ort Enniscorthy. Dort hatte sie 20 Jahre zuvor eine Liebesaffäre mit Jim Farrell."

Der Autor Colm Tóibín stammt selbst aus Enniscorthy. Er schildert das Leben in der kleinen Stadt am Meer in seiner Alltäglichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven. Da ist die Mittvierzigerin Eilis, die sich mit ihrer kratzbürstigen Mutter auseinandersetzen muss und ihr Leben überprüft: was ist gelungen, was bleibt, wie soll sie sich verhalten? Jim betreibt ein gut gehendes Pub. Er trifft sich heimlich mit Nancy, deren Mann verstorben ist und die sich mit einer Fish & Chips-Bude über Wasser hält. In dem kleinen Städtchen weiß jede von jedem, Eilis‘ Ankunft ist Stadtgespräch, und schließlich begegnet sie Jim bei einem Strandspaziergang.

"Als sie ihn fragte, was er am meisten bedauerte, war er ratlos. Er bedauerte die Jahre, die vergingen; er bedauerte, so lange gebraucht zu haben, um jemanden zu finden, mit dem er glücklich sein konnte. 'Ich bedauere, dir damals nicht nachgefahren zu sein. Sobald ich an diesem Morgen deinen Brief gelesen hatte, dass du nach Brooklyn zurückfuhrst, hätte ich zum Bahnhof laufen sollen, um dich abzufangen, oder sonst hätte ich zum Schiff fahren sollen. Ich hab mich oft gefragt, was hätte sein können, wenn ich dir nachgefahren wäre.' 'Gibt es sonst noch etwas, was du bedauerst?' Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und schüttelte den Kopf. 'Schon. Es gibt noch etwas. Aber ich glaube nicht, dass ich dir das sagen kann.'"

Katja Danowski interpretiert diesen meisterhaft komponierten Roman, bringt uns die Hauptfiguren Eilis, Jim und Nancy nah, schildert lebendig Gespräche auf der Straße, Szenen im Pub und in der Kirche, oder die Hochzeit von Nancys Tochter. Ihre etwas elegische, dunkle Stimmfarbe passt hervorragend zu Tóibíns Geschichte unter irischen Wolken, in der Menschen Bilanz ziehen, sich an Entscheidungen und Beziehungen erinnern, auf Neuanfänge hoffen.

"Als die Band einen langsamen Elvis-Song anstimmte, hörten sie auf zu reden. Nancy schloss die Augen und spürte seine Hand an der ihren und genoss es, wie nah er ihr kam. Daran würde sie sich lange erinnern. Es war Schicksal, dachte sie, dass sie zusammengefunden hatten. Wenn Eilis Lacey nicht nach Amerika zurückgegangen wäre, wäre Jim jetzt mit ihr verheiratet. Und wenn George nicht gestorben wäre, würde Nancy jetzt mit ihm tanzen."

Der über 70jährige Colm Toíbìn erzählt in "Long Island" mit all seiner Lebenserfahrung, ganz nüchtern und realistisch. Und Katja Danowski gelingt es mit ihrer einfühlsamen und spannenden Lesung, uns zehn Stunden lang in das irische Städtchen Enniscorthy zu entführen. Wer will schon nach New York?