"Verabredung mit Dichtern" von Michael Krüger

Stand: 08.12.2023, 12:00 Uhr

Der Verleger und Schriftsteller Michael Krüger feiert seinen 80. Geburtstag. Und erzählt aus seinem Leben, das ganz und gar der Poesie gewidmet ist. Eine Rezension von Andreas Wirthensohn.

Michael Krüger: Verabredung mit Dichtern: Erinnerungen und Begegnungen
Suhrkamp, 2023.
447 Seiten, 30 Euro.

"Verabredung mit Dichtern: Erinnerungen und Begegnungen" von Michael Krüger Lesestoff – neue Bücher 08.12.2023 05:56 Min. Verfügbar bis 07.12.2024 WDR Online Von Andreas Wirthensohn

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Nein, den Literaturnobelpreis hat Michael Krüger noch nicht bekommen. Aber kaum jemand dürfte so oft bei der Preisverleihung in Stockholm gewesen sein wie er. Dass sie in der Regel am 10. Dezember stattfindet, also einen Tag nach Krügers Geburtstag, wird vermutlich Zufall sein, aber man kann diese Beinahe-Koinzidenz auch als poetische Konstellation betrachten:

Einen Tag nach dem eigenen Festtag begleitet der Verleger seine Autoren am vermutlich größten Festtag ihrer dichterischen Existenz: Derek Walcott, Joseph Brodsky, Seamus Heaney, Tomas Tranströmer, Herta Müller, Orhan Pamuk – sie alle und noch ein paar Preisträger mehr sind auf Deutsch im Hanser-Verlag erschienen, und mit ihnen allen verbindet Krüger nicht nur eine Geschäftsbeziehung, sondern auch eine Freundschaft.

Auch der 2021 verstorbene polnische Dichter Adam Zagajewksi, der lange im Exil lebte und dann, auf Drängen Krügers, doch wieder in sein Heimatland zurückkehrte (und der leider nie den Nobelpreis erhielt), wusste diese Freundschaft zu schätzen:

"Zu meinem Geburtstag im Dezember schrieb Adam mir per E-Mail (ein gutes Beispiel, dass man auch mit E-Mails Wärme erzeugen kann): ›Heute denke ich nur an Dich – mit Freundschaft, Wärme, Bewunderung. Du hast mir Deine Freundschaft sehr früh erteilt, in den chaotischen (für mich) 80er Jahren. Dann sagtest Du zu mir, ‚Adam, Du sollst doch zurück nach Krakau gehen‘. Und Du hattest recht.‹"

Von Freundschaften und Begegnungen mit Dichtern ist reichlich die Rede in diesem Erinnerungsband, und vor lauter Namen verliert man mitunter gerne mal den Überblick. Krügers Kurzporträts bestechen dabei durch anekdotengesättigte Anschaulichkeit, aber auch durch seine Gabe, das Besondere der jeweiligen Literaten und ihres Schreibens herrlich auf den Punkt zu bringen. Nehmen wir als Beispiel Umberto Eco, dessen Weltbestseller „Der Name der Rose“ auch dem Hanser-Verlag einiges Geld in die Kassen spülte. Krüger charakterisiert diesen genialischen Autor so:

"Ich habe nach jeder Begegnung mit ihm über die Frage nachgedacht, wie sein piemontesisches Gehirn organisiert war, denn dass es besser und klarer (und anders) organisiert war als das der meisten anderen Menschen, stand außer Frage. Er hatte ja nicht nur seinen Augustinus und das gesamte undurchdringliche Mittelalter da abgelegt, wo er es jederzeit finden konnte, sondern auch sämtliche wichtigen Comics, Filme, Schlager und sonstigen zeitgenössischen Verrücktheiten; Athanasius Kircher konnte er im Schlaf genauso herbeten wie James Joyce, und natürlich alle Philosophen von Platon bis heute (…). Natürlich war er immer überarbeitet. Er war ja nicht nur Professor und Schriftsteller und produktiver Wissenschaftler und viel gefragter Vortragsreisender und Familienvater, sondern eben auch Leser, und natürlich interessierte ihn die prekäre Politik seines Landes, Europas und der ganzen Welt. Kurzum, er war ein besonderer Mensch."

Begegnungen mit Eco und anderen Literatur- und Geistesgrößen waren für Krüger über all die Jahre eine Art Akademie oder Universität – er selbst hatte nicht studiert, sondern war über eine Verlagslehre und ein Intermezzo als Buchhändler im berühmten Londoner Kaufhaus Harrods im Lektorat gelandet. Seine autobiografischen Texte zeigen sehr schön, wie offen Karrierewege in den 60er Jahren waren, welche Zufälle die Berufsentscheidungen bestimmten und wie sehr vor allem eines zählte: Begeisterung für die Sache. Michael Krüger hat zweifellos bewundernswert viele Begabungen und Facetten, aber sie entspringen alle einem einzigen Quell: einem schier unerschöpflichen Enthusiasmus für die Literatur und ganz besonders für die Lyrik. Das Gedicht ist nicht nur die Gattung, in der er selbst Bleibendes geleistet hat, sondern auch der Zweig der Literatur, den er verlegerisch am nachhaltigsten geprägt hat. Das Besondere des Gedichts hat er selbst vor ein paar Jahren, natürlich in Versform, so formuliert:

"Gedichte sind mißtrauisch,
sie behalten für sich, was gesagt werden muß.
Sie gehen durch geschlossene Türen
ins Freie und reden mit den Steinen.
Sie führen uns fort."

Michael Krügers Erinnerungen ans eigene Leben und an unzählige Begegnungen mit Dichtern sind kein durchgeschriebenes Buch, sondern eine Sammlung aus bereits anderweitig Publiziertem. Aber das nimmt ihnen nichts von ihrer Eindringlichkeit. Wer nach der Lektüre nicht unendliche Lust verspürt, sich lesend in den Texten all der vorgestellten Dichter zu verlieren, dem ist wahrlich nicht zu helfen. Nein, den Literaturnobelpreis wird der Dichter Michael Krüger vermutlich nicht mehr bekommen. Aber gäbe es einen Nobelpreis für die Liebe zur Literatur – der große Literaturvermittler und -ermöglicher Michael Krüger wäre ein ganz heißer Anwärter.