"Der Lärm des Lebens" von Jörg Hartmann

Stand: 24.05.2024, 07:00 Uhr

Von Herdecke im Ruhrpott auf die großen Bühnen. Theaterstar und "Tatort"-Kommissar Jörg Hartmann blickt in "Der Lärm des Lebens" auf sein Leben und zieht so amüsant wie melancholisch Zwischenbilanz. Eine Rezension von Nicole Strecker.

Jörg Hartmann: Der Lärm des Lebens
Rowohlt Berlin, 2024.
304 Seiten, 24 Euro.

"Der Lärm des Lebens" von Jörg Hartmann Lesestoff – neue Bücher 24.05.2024 05:20 Min. Verfügbar bis 24.05.2025 WDR Online Von Thilo Jahn

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Am Anfang steht da ein Teenager-Traum. Und in einem zweiten Anfang folgt dann eine tiefe Trauer. Im Grunde hat Jörg Hartmann also gleich zwei erste Kapitel für seinen Roman geschrieben, womit klar ist: Durch dieses Leben, diese beeindruckende Schauspielerkarriere, aber eben auch sehr persönliche Bilanz werden die Leserinnen und Leser nicht chronologisch geführt.

Man mäandert zwischen Kindheitserlebnissen, beruflichen High- und Lowlights, quälenden Selbstbefragungen und auch ein bisschen genealogischer Spurensuche. Und man pendelt zwischen großem Schmerz und feiner Selbstironie – wie etwa im bezaubernden ersten Kapitel, wenn der Schauspielstudent Jörg Hartmann gemeinsam mit einem Kumpel die große Regisseurin Andrea Breth quasi stalkt und sie den beiden tatsächlich eine Chance gibt.

"Die Breth nahm den Schlüssel entgegen und marschierte los. Richtung Albrecht-Achilles-Straße. Wir hinterher. Eine stattliche Erscheinung, dachte ich. Stiernacken, Zigarette im Mundwinkel. So groß wie wir, nur etwas breiter, sodass wir Schwierigkeiten hatten, uns zu sehen, Hüseyin jetzt links und ich rechts von ihr. 'Aber wenn ihr schlecht seid', sagte sie, 'seid ihr nach fünf Minuten wieder draußen.'"

Von wegen: Volle drei Stunden wird Andrea Breth mit den Studenten arbeiten. Da schießt dann auch das jugendliche Selbstbewusstsein durch die Decke.

"Wir sahen uns schon angekommen im Olymp der großen Mimen, sahen uns den Staffelstab übernehmen von Bruno Ganz, Otto Sander und Co."

Doch nein. Ganz so glatt wird die Karriere von Jörg Hartmann dann doch nicht laufen – was wäre eine Autobiografie auch ohne die Momente des Scheiterns. So manches Schauspieler-Memoir gab es in den letzten Jahren zu lesen: vom literarisch herausragenden Edgar Selge bis zum Bestseller Joachim Meyerhoff, dem betörendsten Tragikomödianten unter den Schauspielerdichtern, der in seinen Büchern immer auch seinen verstorbenen Angehörigen ein Denkmal setzt. Ähnlich ist es nun bei Jörg Hartmann. Es ist die beginnende Demenz seines Vaters, die ihn ans Schreiben bringt. So liefert seine Familiengeschichte den Stoff für den zweiten Erzählstrang in seinem Buch.

"Herdecke schmiegte sich an mich wie eine warme Decke."

Eine behütete Kindheit und Jugend mit einem Vater, der gern den Ruhrpott-Clown gibt, außerdem Herdeckes Handball-Star und lokaler Frikadellenkönig ist. Die Großeltern waren gehörlos. Wie sie Nazi-Deutschland überlebten, bleibt Hartmann ein Rätsel.

"Mein Vater hatte mir erzählt, sie seien 'bei Adolf auf der Liste' gewesen. Nur Glück hätte ihn und seine Brüder davor bewahrt, zwangssterilisiert zu werden."

Im Rückblick bedauert Hartmann, sich nicht früher mit seiner Herkunft beschäftigt zu haben, und er realisiert, wie oft er sein reales Leben dem Leben auf der Bühne geopfert hat. Als seine älteste Tochter im Krankenhaus liegt, muss er bei einer Probe anwesend sein. Und ständige Gastspielreisen entfremden ihn immer wieder von seiner Familie.

"In jenem Moment hasste ich mal wieder meinen Beruf; ich hasste das Theater, das mich gefangen hielt, mit seinen Zwängen tief in mein Leben und das der Familie eingriff."

2018 stirbt sein Vater, sein Tod stürzt Hartmann in eine Krise. Dann folgt die Pandemie, und als er nach den Lockdowns endlich wieder auf der Bühne steht, scheint sich auch das Selbstverständnis der Kunst verändert zu haben.

"Zum ersten Mal kam ich mir alt vor, verstand vieles nicht mehr, kochte innerlich, wenn ich hörte, dass man an manchen Theatern von Diskussionen ausgeschlossen wurde, weil man «Dinge nicht erlebt hatte»; wenn einem Empathie abgesprochen und am Ast der Schauspielkunst gesägt wurde mit der Forderung, man dürfe nur noch spielen, was man selber sei. Wir dürfen alle alles spielen!"

Es sind solche Reflexionen über das Theater, die vor allem interessieren. Manche Episode aus seinem Leben dagegen gerät Hartmann arg ausführlich und nicht jede satirische Szene funktioniert so gut, wie jene, in der er sich ein Mettbrötchen als Brigitte Bardot vorstellt. Wer das liest, wird wohl kein Mett mehr essen können, ohne nicht auch ans Sexsymbol zu denken.