"Eigentum" von Wolf Haas

Stand: 30.10.2023, 12:00 Uhr

Humorvoll und tieftraurig – "Eigentum" ist komische Mutterbeschimpfung und lakonische Lobpreisung zugleich und vor allem ist dieser Roman ein echter Wolf Haas. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Wolf Haas: Eigentum
Hanser Verlag, 2023.
160 Seiten, 22 Euro.

"Eigentum" von Wolf Haas Lesestoff – neue Bücher 30.10.2023 05:32 Min. Verfügbar bis 29.10.2024 WDR Online Von Andrea Gerk

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Wolf Haas ist einer jener seltenen Autoren, die sich mit jedem Buch neu erfinden und dabei doch unverwechselbar bleiben. Sogar die großartige Krimi-Reihe um den eigenwilligen Ermittler Simon Brenner schlug in dieser Hinsicht wildeste Volten und nachdem Haas zuletzt mit "Junger Mann" einen fast schon klassischen Coming-of-Age-Roman geschrieben hat, erzählt er nun überraschend persönlich vom Leben und Sterben seiner Mutter:

"Drei Tage vor ihrem Tod, sie war fast fünfundneunzig Jahre alt und nicht mehr ganz da, erkundigte sich meine Mutter bei mir nach ihren Eltern: 'Dort, wo meine Leute jetzt sind', sagte sie, und als ich nicht gleich verstand, wovon sie sprach, präzisierte sie: 'Meine Mami und mein Tati, wo die jetzt sind, ich weiß nicht, wie es da heißt, aber kannst du dort vielleicht mit dem Handy anrufen und ihnen sagen, dass es mir gut geht.' Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musst ein Irrtum vorliegen. Wir waren die, denen es schlecht ging!"

Nach kurzem Überlegen erklärt der Erzähler seiner Mutter, er habe bei den Großeltern angerufen, allen gehe es gut, nur der Großvater habe einen Schnupfen – und setzt mit dieser barmherzigen Lüge eine Art Erinnerungsmaschine in Gang, deren Motor nicht zuletzt die ewigen Klagen der Mutter sind:

"Den ganzen Tag nur Arbeit, Arbeit, Arbeit."

Schwer hatte sie es tatsächlich in ihrem langen Leben, das 1923 in Maria Alm beginnt. Im Dialekt-gefärbten Originalton lässt der Sohn und Sprachkünstler seine Mutter erzählen, was er schon hunderte Male von ihr gehört hat: Dass sie im Krieg zur Flugwache eingezogen wurde, danach für die amerikanischen Befreier in der Briefzensur gearbeitet hat; dass sie zur Arbeit in die Schweiz geht und das ganze Geld der Familie schickt, damit die Eltern ein Haus bauen können.

Als sie aber als 32-jährige schwanger zurückkehrt, muss sie sich darin zwei Zimmer mühsam erstreiten. Überhaupt ist das Streiten, Hadern und Klagen quasi der Grundton im Leben dieser grantigen, aber überhaupt nicht unsympathischen Eigenbrötlerin:

"Deine Mutter war ein schwieriger Mensch. Sie hat fast jeden im Dorf einmal beleidigt..."

…erklärt die Wirtin nach dem Tod der Mutter. Die lässt Haas auf einer Ebene dieses Buchs (wie gesagt) selbst erzählen; auf der anderen berichtet er von seinen Besuchen im Altenheim, das absurderweise einmal die Geburtsklinik war, in der die Mutter den Erzähler und seinen Bruder zur Welt gebracht hat. Den Zustand der dementen Greisin beschreibt er liebevoll als "verdämmernd", sie "war jetzt ein sehr dünnes Vogerl".

An den Tagen vor ihrem Tod sitzt der Sohn an ihrem Bett, es gibt kurze Gespräche und viel Zeit zum Nachdenken, etwa über die Unzulänglichkeit menschlicher Verständigung. Haas in sprachphilosophischer Höchstform!

"Seufzen ist eine interessante vorsprachliche Äußerung. Es gibt vorwurfsvolles Seufzen. Mitfühlendes Seufzen. Romantisches Seufzen. Lustvolles Seufzen. Sentimentales Seufzen. Schmerzerfülltes Seufzen. Eigentlich ist die Erfindung der Sprache ein übertriebener Luxus, geschmäcklerischer Schnickschnack, Kommunikationsdekor, und letzten Endes ein überflüssiger Wegwerfdreck, da man mit schlichtem Seufzen auch ganz gut über die Runden kommt."

Immer wieder spaziert der Erzähler zum Friedhof, auf den er als Kind von der Familienwohnung aus schauen konnte und sinniert über die Mutter und ihr großes Lebensthema:

"Ihr Leben hatte sie ja dem Projekt gewidmet, sich durch das 'Sparen Sparen Sparen' wieder in die Klasse der Grundeigentümer hinaufzurackern. Entweder ein Grund oder eine Eigentumswohnung musste her. Lebensprojekt Eigentum. Grundbucheintragung!"

Was nie gelingt, denn kaum hat sie die Anzahlung beisammen, sind die Preise gestiegen und das Sparen beginnt von vorne. Sisyphos nichts dagegen, würde der Brenner vielleicht sagen. Erst am Ende wird Marianne Haas ihr Eigentum bekommen, jene knappen zwei Quadratmeter, in denen sie zur ewigen Ruhe gebettet wird.

Wolf Haas hat einen so humorvollen wie tiefsinnigen Roman geschrieben: Ein präzises Sprachkunstwerk – humorvolle Mutterbeschimpfung und lakonische Lobpreisung in einem, von Trauer und Erleichterung gleichermaßen getragen und vor allem durch und durch ein echter Wolf Haas. Eben genau so wie es ja auch auf dem packpapierbraunen Buchumschlag in rotem Stempelaufdruck steht: „Eigentum“ von Wolf Haas.