"Franz Kafka: Die große Hörspiel-Edition"

Stand: 16.11.2023, 12:00 Uhr

Eine Edition mit sechs Hörspielen würdigt Franz Kafka, dessen Todestag sich 2024 zum hundertsten Mal jährt. Vor allem "In der Strafkolonie" mit Bruno Ganz ragt aus dieser Sammlung heraus. Eine Rezension von Christoph Vratz.

Franz Kafka: Die große Hörspiel-Edition
Die Verwandlung, Amerika, Der Prozess, In der Strafkolonie, Das Schloss, Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse.
Unter anderem mit Bruno Ganz, Gustl Halenke, Gert Westphal.
Der Audio Verlag, 2023.
7 CDs, 7 Std. und 23 Min. Laufzeit, 31 Euro.

"Franz Kafka: Die große Hörspiel-Edition" Lesestoff – neue Bücher 16.11.2023 05:18 Min. Verfügbar bis 15.11.2024 WDR Online Von Christoph Vratz

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Es ist das vielleicht bekannteste Erwachen der Weltliteratur: Gregor Samsa muss, nach "unruhigen Träumen", erkennen, dass er sich über Nacht in ein großes Ungeziefer verwandelt hat.

"Was ist mit mir geschehen?"

Anders als in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung" wird in dieser Hörspiel-Fassung aus der Ich-Perspektive Gregors berichtet.

"Wenn ich den Kopf ein wenig hebe, sehe ich, meinen gewölbten braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch."

Dieser Wechsel der Perspektive nimmt dem Werk seinen kühl-beschreibenden Charakter und führt zu einer stärkeren Emotionalisierung – zumal Sprecher Martin Reinke dem Gregor Samsa eine zusätzliche komische Note verleiht. Gleichzeitig wird das Groteske der geschilderten Situation begleitet von nicht minder grotesken Geräuschen: halb Tier-Imitaten, halb Verzerrungen von Instrumenten.

"Alles in allem könnte man meinen, dass ich mich in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt hätte."

Heinz von Cramer hat 2002 Kafkas Erzählung bearbeitet und auch die Regie geführt. Das Ergebnis dieser akustischen Umsetzung bleibt jedoch nicht frei von Widersprüchen. Das könnte man auch von den drei adaptierten Kafka-Romanen behaupten. Das Hörspiel "Amerika" stammt von 1957, "Der Prozess" von 1960 und "Das Schloss" von 1953, bearbeitet vom jungen Gert Westphal, der auch in der Rolle des K. zu hören ist:

"'Kann ich hier ein Nachtlager haben? Die Nacht hat mich auf meinem Marsch überrascht. Ich bin müde. Dies ist doch eine Herberge, oder nicht?'
'Es ist eine Herberge.'
'Man kann also hier übernachten?'
'Ich habe kein Zimmer frei.'
'Sie werden zu doch wohl einen Gast zu dieser späten Stunde nicht in die Nacht hinausweisen?'
'Ich habe kein Bett frei. Außer sie wollten hier in der Wirtsstube auf dem Strohsack schlafen.'
'Auf dem Strohsack? Hier in der Ecke? Ausgezeichnet...'"

Die insgesamt sechs Produktionen dieser Hörspiel-Edition sind für verschiedene Rundfunk-Anstalten entstanden. Insofern spiegeln sie – mit ihren unterschiedlichen Klang-Ästhetiken – auch einen Rückblick auf rund ein halbes Jahrhundert Radio-Geschichte.

Man mag über die Qualität der einen oder anderen Kafka-Bearbeitung streiten, positiv heraus sticht auf jeden Fall die Produktion von 1981: "In der Strafkolonie". Im Mittelpunkt steht ein seltsamer Folter-Apparat: "das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltert-Werden und Foltern", schreibt Kafka 1920 (weit nach Vollendung seiner Erzählung) in einem Brief.

"Die Nadeln sind eggenartig angeordnet. Auch wird das Ganze wie eine Egge geführt, wenn auch bloß auf einem Platz und viel kunstgemäßer. Sie werden es übrigens gleich verstehen."

Diese auch heute noch unglaublich modern wirkende Erzählung handelt vom Foltern mit einem seltsamen Apparat, wobei Täter (ein Offizier) und Opfer (ein Verurteilter) im Verlauf der Handlung immer mehr ihre Rollen tauschen.

"Dieser Egge ist die eigentliche Ausführung des Urteils überlassen."

Bruno Ganz ist in der Rolle des Offiziers zu hören. Mit welcher Präzision, mit welch Ingenieurs-Neutralität und zugleich mit welch subtiler Leidenschaft er von diesem Apparat spricht, ist schlicht großartig. "In der Strafkolonie" ist zweifellos der Höhepunkt dieser zwar etwas heterogenen, dennoch sehr facettenreichen Kafka-Edition.