Christel Buschmann: Ein glühend heißer Nachmittag
März Verlag, 186 Seiten, 23 Euro.
Manche Romane brauchen etwas Zeit, bis sie Fahrt aufnehmen. Und das muss nicht schlecht sein. "Ein glühend heißer Nachmittag" von Christel Buschmann ist nicht so ein Roman. Von 0 auf 100 in 1 Sekunde, das ist ungefähr das Tempo, das die knapp über 80jährige Debütantin hier anschlägt. Und man verrät nichts, wenn man sagt: sie hält das Tempo durch, von der ersten atemlosen Seite bis zur letzten.
"Blutrote Buchstaben fesseln ihren Blick und eine dunkle Ahnung nimmt von ihr Besitz, ihre kurze Reise werde ein schreckliches Ende nehmen. DEAD ON ARRIVAL. Die blonde junge Frau mit den Python-Pumps verlangsamt ihre Schritte, bleibt stehen bis der Typ mit dem glitzernden Schriftzug auf der Gitarre in der Masse ankommender Flugpassagiere verschwunden ist, geht weiter, spürt ein Zittern in sich aufsteigen und denkt an ihr Gehirn."
Das – klar – ist ein Fehler: Wer ans eigene Gehirn denkt, hat schon verloren. Kurzschluss! Kein Wunder also, dass die blonde junge Frau mit den Python Pumps eine Sekunde später schon in sich zusammensackt, mitten auf dem Flughafen von Mexico City. Zum Glück steht neben Matilda Alexander, ihr Mann. Alexander fängt Matilda auf, für den Moment jedenfalls. Aber wirklich helfen kann er ihr nicht, auch später nicht. Wobei: Alexander, Manager von Beruf, arrogant, machtbewusst, schön, Alexander ist eher nicht der Typ, der Frauen um sich hat, die Hilfe brauchen.
Aber: Dieser Roman handelt von Matilda und ihrer Weltwahrnehmung. Ausschließlich. Matilda ist mit Alexander aus Frankfurt nach Mexico geflogen. Er hat hier geschäftlich zu tun, sie nicht. Aber nach den Geschäften sind vielleicht drei Tage Strand drin, darum ist sie dabei. Einerseits. Andererseits:
"So sehr Matilda sich auch anstrengt, sie kann sich kein Bild von der Zukunft machen, das mit ihr, Alexander und Strand zu tun hätte, was ihr der untrügliche Beweis dafür zu sein scheint, dass es diesen Urlaub nie geben wird."
Warum also ist Matilda da? In Mexico? Schwer zu sagen. Matilda fällt das Alleinsein schwer. Zu Hause in Deutschland sind ihre Eltern bei einem Unfall gestorben, für den sich Matilda – ohne Grund – verantwortlich fühlt. Aber auch das ist nur ein Symptom: Erhöhte nervliche Anspannung ist gar kein Begriff für den Zustand, in dem Matilda sich befindet.
"Ihr Gehirn rotiert, verliert sich im Nichts und gleich wird sie kollabieren. Sie stützt sich von der Theke ab und dreht sich um."
Aber das Schlimmste ist: Matilda weiß es. Sie beobachtet sich unaufhörlich, horcht in sich hinein, hört das Blut rauschen, das Herz pochen, spürt wie ihr der Schweiß den Rücken hinab rinnt. Aber vor allem rast ihr Gehirn, spielt Varianten durch, am liebsten: apokalyptische. Wahnvorstellungen. Sogar Alexander, der sonst nicht viel weiß, weiß das. Wenn er Matilda nicht Muschilein nennt, stellt er sie so vor:
"Matilda, meine Frau, ein unberechenbares Wildpferd mit ausgeprägter Witterung für Katastrophen."
Vom Flughafen geht es in ein Hotel, im Hotel ist ein Lift, manchmal fahren schwarze Limousinen durchs Bild. Alexander verschwindet, Matilda sitzt an einer Bar, fährt mit dem Bus, Blut fließt. Im Irrenhaus ist Wandertag, heißt es an einer Stelle. Ein Mann namens Matthau taucht auf. Aber ist das Liebe, was da aufflackert? Oder wieder nur Wahn? Ein Traum? Ein Albtraum? Man weiß es nicht und das ist der Punkt.
"Illusionen werden davon ja nicht schlechter, dass sie nicht stimmen!"
Christel Buschmann hat mit „Ein glühend heißer Nachmittag“ einen flirrenden, betäubenden Psychothriller geschrieben, in dem bis zum Ende keiner und keine weiß, was real ist und was nur Paranoia. Ganz nach William Burroughs altem Leitsatz: Bloß weil Du paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter Dir her sind. Und Matilda ist definitiv paranoid.
"Zuerst sterben die Augen. Dann das Gesicht. Ein Handy klingelt, ein Unglück passiert!"
Christel Buschmann hat aber auch einen bitterbösen, glasklaren Roman zur Zeit geschrieben. Nicht einen, der irgendwelche gesellschaftlichen Verhältnisse abklopft, bloßstellt und anprangert. Sondern einen, der ins Herz der Finsternis führt: in unsere von Dauerbeschallung und -bestrahlung durch Bilder, Meldungen, Videos und Memes rettungslos zersetzten Hirne. Es ist so herrlich, es schmerzt.