Interview – Deutsche lebt weiter in Tokio
"Wir achten auf verstrahlte Lebensmittel"
Stand: 11.03.2012, 06:00 Uhr
Carola Hommerich hat Tokio nach der Katastrophe vom 11. März 2011 verlassen. Vier Wochen blieb sie in Deutschland, dann ging sie wieder zurück nach Japan. Ihr Leben dort hat zwar nicht von Grund auf geändert. Aber im Alltag spürt sie die Folgen.
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Carola Hommerich, 33 Jahre alt, wollte eigentlich gar nicht ausreisen nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Atomkatastrophe in Fukushima. Doch ihre Familie in Bergisch Gladbach hat sich Sorgen gemacht und auch das 'Deutsche Institut für Japanstudien', für das sie als Soziologin arbeitet, hat sie zur Rückkehr nach Deutschland aufgefordert. Die Folgen des Reaktorunfalls waren nicht einzuschätzen. WDR.de hat damals bereits mit ihr gesprochen. Inzwischen hat Carola Hommerich ihren Lebensgefährten Takeshi, einen Musiker, geheiratet. Am Sonntag (11.03.2012), dem Jahrestag der Katastrophe, geht sie in Tokio zu einer Anti-Atomkraft-Demonstration, bei der es auch eine Schweigeminute für die Opfer geben wird.
WDR.de: Frau Hommerich, hat sich etwas in Ihrem Leben im vergangenen Jahr verändert?
Carola Hommerich: Im Alltag auf jeden Fall. Wir passen sehr auf, dass wir keine verstrahlten Lebensmittel essen. Im Supermarkt achten wir darauf, wo Gemüse, Obst oder Fisch herkommen. Es ist jetzt immer ausgezeichnet aus welcher Gegend oder welchem Meer die Lebensmittel stammen. Trotzdem bleibt ein Rest Unsicherheit bei den von der Regierung getesteten Lebensmitteln. Es steht halt nicht ausdrücklich drauf, dass sie auf Radioaktivität getestet wurden.
WDR.de: Haben Sie da ein mulmiges Gefühl?
Hommerich: Ja, schon. Deshalb bestellen wir vieles über einen Bioversand, der sehr früh reagiert hat auf die Ängste vor verstrahlten Lebensmitteln und sofort auf Radioaktivität getestet hat. Nach dem 11. März gab es dann zum Beispiel besondere Lebensmittelangebote aus Westjapan, das ja nicht betroffen war. Mittlerweile hat der Versand sein Angebot ziemlich ausgebaut. Es gibt zum Beispiel gezielt getestete Möhren. Da kann man ziemlich sicher sein, dass alles in Ordnung ist.
WDR.de: Und wenn Sie auswärts Essen gehen?
Hommerich: Ich bin nicht so paranoid, dass ich alles kontrollieren muss. Wenn wir Essen gehen, sage ich mir: 'Selbst wenn etwas verstrahlt sein sollte, dann ist die Radioaktivität so gering, dass ich Unmengen davon essen müsste, bevor es Folgen hat'.
WDR.de: Welche Gefühle kommen bei Ihnen auf, wenn Sie an die Zeit vor einem Jahr zurückdenken?
Wo wurde der Fisch gefangen? Häufig eine Vertrauenssache
Hommerich: So etwas wie ein Trauma habe ich nicht. Vielleicht, weil ich mich danach so intensiv über mehrere Wochen damit beschäftigt habe. Und ich hab’ ja schließlich nichts verloren. Ich hab’ den gleichen Job, meinem Mann geht es gut und meinen Freunden auch. Aber wenn ich Bilder oder Interviews im Fernsehen von Menschen sehe, die durch den Tsunami oder die radioaktive Strahlung ihre Heimat verloren haben und denen die Tränen kommen, dann muss ich auch weinen. Diese Schicksale sind tragisch.
WDR.de: Wie intensiv berichten denn die Medien über die Folgen?
Hommerich: Eigentlich umfangreich. Irgendein Aspekt ist so gut wie jeden Tag in den Nachrichten. Oder Experten verschiedener Lager diskutieren zum Beispiel über Atomkraft. Die Berichterstattung ist auch kritischer geworden. Grundsätzlich aber, finde ich, kommt die Diskussion darüber zu kurz, welcher Weg bei der Energiepolitik eingeschlagen werden sollte.
WDR.de: Sie haben sich auch beruflich mit den Folgen des 11. März beschäftigt, haben von der Atom-Katastrophe betroffene Menschen im Nordosten und in der Region Tokio befragt. Zentral war die Frage nach Vertrauen. Was ist bei der Studie herausgekommen?
Hommerich: Das Vertrauen in die Regierung ist sehr niedrig. Und stark gelitten hat das Vertrauen in die Medien. Da sieht man, dass die Menschen unsicher sind, ob sie das glauben können, was sie im Fernsehen sehen. Oder ob da nicht sehr viel mehr hintersteckt als berichtet wird. Das gilt vor allem für die persönlich Betroffenen. Die sind sehr misstrauisch geworden. Positiv aber ist, dass junge Menschen sehr motiviert sind, beim Wiederaufbau zu helfen. Die Bereitschaft sich sozial zu engagieren ist also gewachsen.
WDR.de: Das klingt nach Wandel. Ist das auch im Alltag zu spüren?
Hommerich: Im Nordosten, der Region der Atomkatastrophe, ist das sicherlich anders als in Tokio. Dort ist es stärker spürbar. Hier war in den ersten Monaten danach aber das erstarkte Gemeinschaftsgefühl sehr deutlich zu spüren. Zum Beispiel haben Einzelhändler Spendenaktionen gemacht. Mittlerweile ist das abgeflaut, der Alltag ist zurück. Als Soziologin weiß ich aber, dass das normal ist. Bei Hurrikan 'Katrina' in den USA war das ähnlich.
WDR.de: Nach dem 11. März gingen die Japaner auf die Straße, um gegen Atom-Kraft zu demonstrieren. Das war eine schon ungewöhnlich. Gibt es noch viele Proteste?
Erste Proteste gegen Atomkraft kamen nach Fukushima auf
Hommerich: Die gibt es. Aber für mich ist das schwer einzuschätzen, wie groß die Bewegung tatsächlich ist, weil über die kleineren Demos nicht berichtet wird. Aber ich bekomme zum Beispiel bei der Arbeit mit, wenn Kollegen in ihrem Viertel auf einer Demonstration waren. Man muss sich schon in diese Netzwerke einklinken, um zu wissen, wann wo was stattfindet.
WDR.de: Wie sicher fühlen Sie sich alles in allem? Sagen wir mal auf einer Scala von null bis zehn.
Hommerich: Schwer zu sagen: So bei acht vielleicht. Konkrete Angst, dass ein Erdbeben an genau derselben Stelle wie im vergangenen Jahr auftritt und zu einer neuen nuklearen Katastrophe führt, habe ich nicht. Und so merkwürdig es auch klingt: An die Beben hier habe ich mich gewöhnt, sonst könnte ich hier nicht leben. Allerdings bin ich sensibler geworden. Wenn wieder ein Beben zu spüren ist, achte ich darauf, wie lange es dauert.
WDR.de: Vor einem Jahr haben Sie gesagt, Sie sehen Ihre Zukunft in Japan. Ist das immer noch so?
Hommerich: Die nächsten Jahre werden wir sicherlich hier bleiben. Daran hat sich nichts geändert. Aber wenn es sich irgendwann wegen der Arbeit ergibt, dann werden wir auch eine Zeit lang in Deutschland leben.
Das Gespräch führte Lisa von Prondzinski.
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