Unser Programm im September

Stand: 28.07.2023, 18:08 Uhr

Im September zeigen wir, wie 9/11 auch Deutschland verändert hat; erzählen die faszinierende Geschichte von Wau Holland und dem Chaos Computer Club; erinnern an zwei dunkle Kapitel der Kindesmisshandlungen in Europa, die bis heute wirken, und rekonstruieren Wirecards Milliardenbetrug mit den beiden Menschen, die das Unternehmen schließlich zu Fall brachten.

Deutschland 9/11

Die US-amerikanische Flagge weht vor den Trümmern des World Trade Centers.

11. September 2001: Mit Entsetzen erfahren die Deutschen von den Terroranschlägen in New York. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit stürzen entführte Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Centers, tausende Menschen sterben. Die Welt wird eine andere. "Deutschland 9/11" blickt aus deutscher Perspektive auf das Ereignis und seine Folgen.

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Die Fernsehbilder des in Flammen stehenden Pentagons und der einstürzenden Türme brennen sich innerhalb kurzer Zeit ins Weltgedächtnis ein. Nach einer langen Phase der "gefühlten" Unbeschwertheit sehen sich die Deutschen plötzlich einer Tragödie von bislang unvorstellbarem Ausmaß gegenüber. Die Angst vor einem Dritten Weltkrieg macht die Runde – und die bange Frage, ob Deutschland ähnliche Attacken zu erwarten habe. Drastische Sicherheitsmaßnahmen treten in Kraft: Die US Air Base im rheinland-pfälzischen Ramstein wird in höchste Alarmbereitschaft versetzt, Flugzeuge auf dem Weg in die USA auf unbestimmte Zeit nach Kanada umgeleitet.

Eine Feier im baden-württembergischen Linkenheim nimmt einen ebenfalls dramatischen Verlauf: Die dreijährige Lara Bothe verliert an ihrem Geburtstag ihren Vater – er sitzt in jenem Flugzeug, das, live übertragen in Nachrichtensendungen rund um die Welt, in den Südturm des World Trade Centers stürzt. Schon am 12. September wird klar, die Spur des Terrors führt ausgerechnet nach Deutschland. In Hamburg platzt die Nachricht, dass "9/11" von einer "Terror-WG" aus Harburg geplant wurde, mitten in den erhitzt geführten Bürgerschaftswahlkampf rund um das Thema der Inneren Sicherheit.

Und die Ermittler trifft es wie ein Schlag, dass einer der größten Terrorakte der Menschheitsgeschichte direkt vor ihrer Haustür geplant wurde, von einer bislang kaum bekannten Organisation namens al-Qaida. Mehr und mehr wird deutlich, dass Deutschland sich hier nicht aus der Verantwortung nehmen kann. Nach der erstmaligen Ausrufung des NATO-Bündnisfalls werden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Kampfeinsatz gegen die Taliban in Afghanistan geschickt. Der Einsatz wird 20 Jahre dauern.
"Deutschland 9/11"  betrachtet den 11. September 2001 aus deutscher Perspektive. Welche Folge dieses auch heute noch kaum fassbare Ereignis für Politik, Justiz und Medien hatte, mit welchen Konsequenzen es für das Über- und Weiterleben von Angehörigen und Augenzeugen einherging – davon legen zahlreiche Interviews Zeugnis ab, u.a. mit dem damaligen Außenminister Joschka Fischer, Ex-Bundesinneminister Otto Schily und seiner Tochter Anna Schily, die 2001 in New York City lebte; Else Buschheuer, die 2001 direkt von den Angriffen aus New York bloggte. Verwoben mit Archivausschnitten damaliger Berichterstattung zeichnetder Film das Bild eines Deutschlands, das sich scheinbar gerade auf dem Weg zu sich selbst befand – und durch den 11. September vor eine neue Zerreißprobe gestellt wurde.

Ein Film von Jan Peter und Daniel Remsperger | Redaktion WDR: Jutta Krug



Alles ist Eins. Außer der 0. – Dr. Waus Chaos Computer Film

Computer-Aktivist Wau Holland 1984 vor einem PC.

Erzählt wird die Geschichte des legendären Chaos Computer Club (CCC) und seiner Gründerseele Wau Holland, auch bekannt als "Dr. Wau". Vom Computer-Nerd zum Datenkünstler, vom Einsiedler zum Medienstar, vom subversiven Hacker zum Verfechter der Demokratie: Der energiegeladene Dokumentarfilm zeigt mit cleveren Montagen, wie die großen Fragen der Gegenwart das Leben und Wirken Wau Hollands auch schon damals durchzogen.

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In den 1980er Jahren macht der CCC mit spektakulären Hacks auf Sicherheitslücken aufmerksam. Der nächtliche Überfall auf das BTX-System einer Hamburger Bank blamiert die Deutsche Post und bringt den Club in alle Medien. Als das Atomkraftwerk in Tschernobyl explodiert, sind es die ersten Mailbox-Systeme, die schneller als Regierungen oder die Presse Hintergrundinformationen verteilen. Doch schon bald werden Clubmitglieder verdächtigt, das sensible NASA-Netz gehackt zu haben und ausländischen Geheimdiensten zuzuarbeiten. Neben Anwerbungsversuchen vom Verfassungsschutz, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen gibt es mysteriöse Todesfälle.

Die Computertechnologie steckt noch in den Kinderschuhen, doch das aufkommende Internet wird zur Projektionsfläche für gesellschaftliche Zukunftsträume. Über allem steht ihr Anspruch auf das Menschenrecht für eine weltweite ungehinderte Kommunikation. Ist die Idee der Informationsfreiheit heute, wo die Sorgen über den Datenschutz berechtigter denn je sind, noch aktuell? Können noch positive Zukunftsvisionen entwickelt werden oder stürzt das Internet die Welt ins Chaos?

Der Film erzählt eine Geschichte digitaler Subversion: vom exklusiven Club zu einer Instanz, die heute bei allen Fragen der Netzpolitik zu Rate gezogen wird. Er ist ein eindringliches Porträt über Zeitgeistpioniere, die einen erstaunlichen Weitblick für die Gegenwart bewiesen haben.

Ein Film von Klaus Maeck und Tanja Schwerdorf



Verschickungskinder – Missbrauch und Gewalt bei Kinderkuren

Eine Collage aus schwarz-weiß Fotos zeigt Kinder die auf ein Kurheim blicken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 90er-Jahre wurden rund 15 Millionen Kinder in Kuren geschickt – die sogenannte "Verschickung", eine meist sechswöchige Heimunterbringung. Der Zweck: Die Kinder sollten aufgepäppelt werden. Hochphase waren die 50er- und 60er-Jahre. Schätzungsweise jedes fünfte Kind kam damals in Kur – doch viele erlebten diese Zeit als Grauen: Gewalt – von Zwangsernährung bis hin zu schwerem sexuellem Missbrauch.

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Dazu gehörte auch der Vater der Autorin. Die Journalistin Lena Gilhaus begann – ausgehend vom Fall ihres Vaters – zu recherchieren. Sie veröffentlichte erste Recherchen über Kinderkuren, woraufhin sich Menschen von überall melden und von ihren eigenen, zum Teil furchtbaren Erlebnissen berichten.
Aber die Institutionen und Heimbetreiber mauern. An echter Aufklärung zeigen sie kaum Interesse. Lena Gilhaus folgt den Spuren weiter und stößt auf ein verdrängtes Kapitel der Nachkriegsgeschichte. In den Kurheimen sollten die Kinder damals zu Kräften kommen und gesund werden – doch viele erlebten diese Zeit als Grauen, Gewalt von Zwangsernährung bis hin zu schwerem sexuellem Missbrauch. In Archiven findet Lena Gilhaus zahlreiche Dokumente, deren Existenz die Heimbetreiber und die Organisatoren der Kuren bis dahin abgestritten hatten.

Die Recherche offenbart unbarmherzige Konzepte hinter dem Kinderkursystem, gravierende Missstände und auch staatliches Versagen. Obwohl viele Taten in der Vergangenheit liegen, erschweren die Verantwortlichen  bis heute eine Aufarbeitung; Verjährungsfristen verhindern eine strafrechtliche Verfolgung von teilweise schwerer sexueller Gewalt an Kindern.

Dieses Kapitel deutscher Alltagsgeschichte lag bis vor kurzem im Dunkeln. Einer der ersten, der öffentlich über das Elend in Kinderkur gesprochen hat, ist der Vater der Autorin. Der Film erzählt die Geschichte einer doppelten Reise, mit dem Vater und anderen Verschickungskindern zu den Kinderkurheimen, zu den Verantwortlichen und zu den Ursprüngen der unbarmherzigen Kurkonzepte, die  – anders als mancher bisher leichtfertig angenommen hatte – historisch lange vor dem Nationalsozialismus liegen.

Ein Film von Lena Gilhaus | Redaktion WDR: Mathias Werth



Kinderraub – Ein dunkles Kapitel der katholischen Kirche

Eine ältere Frau steht auf einem Friedhof zwischen Gräbern

Kinderraub gab es in vielen Ländern der Erde, aber nirgendwo in einer so ungeheuren Dimension wie in Spanien. An die 300.000 Babys wurden dort während und auch noch nach der Franco-Diktatur ihren Müttern gestohlen und mit gefälschten Papieren an kinderlose Paare verkauft. Zuerst politisch motiviert, doch bald ein lukratives Geschäft. Inzwischen suchen Mütter ihre Kinder und Kinder ihre leiblichen Eltern, aber das gestaltet sich bis heute extrem schwierig.

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Nirgendwo sonst als in Spanien widerfährt den Opfern so wenig Gerechtigkeit. Dass der spanische Diktator Franco nach dem Bürgerkrieg mehr als 100.000 Regimegegner umbringen ließ, ist von Historikern ausführlich dokumentiert. Ein anderes Verbrechen blieb jedoch bis vor kurzem weitgehend unbekannt: Organisierter Kindesraub. In den ersten Jahren der Diktatur ideologisch motiviert, entwickelte er sich bald zu einem lukrativen Geschäft, in das Ärzte, Anwälte, und vor allem die römisch-katholische Kirche verwickelt waren. 

Man schätzt, dass in spanischen Geburtskliniken bis in die 90er-Jahre an die 300.000 Babys verschwanden und mit gefälschten Papieren an kinderlose Paare verkauft wurden. Inzwischen suchen Mütter ihre Kinder, und Kinder ihre leiblichen Eltern – doch das gestaltet sich extrem schwierig: Kein Wunder angesichts fehlender Dokumente, mangelndem politischen Willen und vor allem der Mauer des Schweigens, mit der sich die Kirche umgibt. Zwar blitzte in den vergangenen Jahren immer wieder die Hoffnung auf, dass endlich Licht ins Dunkel dieser Tragödie kommen würde. Doch auch die jüngste politische Initiative spanischer Opfergruppen scheint zum Scheitern verurteilt. Und so ist es bis heute nur einer Handvoll Menschen gelungen, ihre Angehörigen wiederzufinden. Die Mehrheit der Opfer lebt weiter in der traurigen Erkenntnis, dass für sie ihre wirkliche Familie immer unerreichbar bleiben wird. 

Ein Film von Margot Litten | Redaktion WDR: Mathias Werth



Wirecard – Die Milliarden-Lüge

Geld, Gier, Sex und Betrug: Der Aufstieg von Wirecard war ein atemloser Erfolg "Made in Germany". Von Anfang an aber gab es Hinweise auf Betrug, gab es mutige Menschen, die sagten, dass da was faul sei. Wie gelang es dem beliebten Unternehmen über zwei Jahrzehnte hinweg das Image des unschuldig Verfolgten, des sauberen Finanztechnologie-Darlings aufrechtzuhalten? Zum ersten Mal sprechen in diesem Film auch die beiden Menschen, die Wirecard schließlich zu Fall brachten.

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Wirecard ist eine Geschichte der Verblendung, Korruption und Hybris einerseits, der kapitalistischen Gier und des institutionellen, staatlichen Versagens andererseits: Mittendrin der Wirtschaftsprüfer EY, die Finanzaufsicht BaFin, die Münchner Staatsanwaltschaft und das deutsche Finanzministerium. Über viele Jahre schauten sie nicht hin und reagierten nicht auf konkrete Verdachtsmomente.

Der Film erzählt aus der Perspektive Einzelner, die über zehn Jahre und länger immer wieder auf die kriminellen Machenschaften bei Wirecard hingewiesen haben. Geldwäsche, Bilanzfälschung, Betrug – die Vorwürfe glichen einander, ebenso die vorgebrachten Beweise. Dennoch konnte das Unternehmen mühelos in den DAX aufsteigen.

Da sind "Jigaijg", Sozialpädagoge und Blogger, der Wirecard seit 2003 verfolgte; Tobias Bosler, Analyst und Investor; Ahmet Öner, Wirecards Mann für spezielle Aufträge; Matthew Earl, Fondsmanager und Shortseller aus London; Dashiell Lipscomb, Wirecard Geschäftsführer in Dubai; die Journalist:innen Melanie Bergermann von der "Wirtschafts-Woche", Ingo Malcher von der "ZEIT" und Clare Rewcastle-Brown aus London. Zum ersten Mal sprechen auch die beiden Menschen, die Wirecard schließlich zu Fall brachten: Pav Gill, der ehemalige Senior Legal Counsel Wirecard in Singapur, und seine Mutter Evelyn Sokhbir Kaur.

Exklusiv erzählen sie alle von ihrer Jagd auf Wirecard. Einige von ihnen verdienten daran, alle wurden bedroht und verfolgt, mit Hetze und Häme überzogen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Firma abgeschirmt und geschützt wurde, egal, was man gegen sie vorbrachte? Und die bayerische Staatsanwaltschaft in München regelmäßig Anklage erhob: nicht gegen die Täter, sondern deren Kritiker? Der Film ist so auch eine Suche nach dem moralischen Kompass.

Ein Film von Jono und Benji Bergmann | Redaktion WDR: Jutta Krug