Blick auf den zerstörten Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl

Alles Lüge – 1986

Stand: 25.02.2022, 11:58 Uhr

1986 war kein gutes Jahr für die Wahrheit: Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl bedeute keine Gefahr für die Menschen in NRW. Das rote Wasser im Rhein sei harmlos. Das Kernkraftwerk in Hamm-Uentrop wäre sicher. Und die Aufbauhelfer aus Wuppertal seien an ihrer Entführung selber schuld. Aber alles Schlechte hat auch etwas Gutes - und das zeigte sich 1986.

„Eine Gefährdung ist absolut auszuschließen“ tönte Innenminister Zimmermann, als die Nachrichten vom Reaktorunglück in der Ukraine Deutschland erreichten. NRW-Landwirtschaftsminister Matthiesen ließ sich dabei filmen, wie er Salat erntete und fröhlich aß. Alles ungefährlich! Doch die Wahrheit kam schnell ans Licht, der Verkauf von Feldgemüse und Obst aus NRW wurde verboten.

Atomkraftwerk Hamm-Uentrop Ansicht aus den 80er Jahren

Auch am Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop war Radioaktivität ausgetreten.

Ein junger Radiologe aus Bochum wollte es genau wissen, und zog mit dem Geigerzähler los: In Hamm-Uentrop stellte Dietrich Grönemeyer erhöhte Strahlendosen fest, die nicht aus Tschernobyl stammen konnten, sondern aus dem nahen Kernkraftwerk. Alles Abstreiten half nichts: Auch dort war Radioaktivität ausgetreten. Solche und andere Lügen führten dazu, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Atomkraft nachhaltig erschüttert wurde.

Kapitalismus? Kommunismus? Keiner hat die Wahrheit für sich gepachtet. Vielleicht gab es ja so etwas wie einen dritten Weg. Immer mehr junge Menschen gingen deshalb nach Nicaragua, um dort nach Jahrzehnten der Diktatur beim Aufbau der Gesellschaft zu helfen. Doch im Frühjahr 86 wurden 12 dieser Aufbauhelfer von „Contras“ entführt. Vier von ihnen konnten fliehen, darunter Dagmar Vogel aus Oberhausen.

Die Entführung schlug Wellen bis in höchste Regierungskreise. Der amerikanische Außenminister behauptete dreist, die Aufbauhelfer seien bewaffnet gewesen, und damit Kriegspartei. Eine glatte Lüge. Im Informationsbüro Nicaragua in Wuppertal, das die deutschen Hilfsbrigaden koordinierte, arbeitete Barbara Lukas währenddessen fieberhaft mit an der Freilassung der Geiseln.

WM-Fieber

Fußball, zwei Spieler vor dem Tor, der torwart kann den Ball nicht halten

Toni Schumacher: Beim WM-Finale musste er drei Mal hinter sich greifen.

Im Sommer brach in NRW mal wieder WM-Fieber aus: Toni Schumacher hatte die deutsche Mannschaft mit seinen Paraden ins Finale gerettet. Aber ausgerechnet im Endspiel ließ der Nationaltorwart aus Düren drei Bälle durch. NRWs Fußballfans zeigten sich trotzdem locker. Hauptsache Endspiel, hieß es, Vizeweltmeister ist doch auch super. Und beim Empfang der Nationalelf in Deutschland wurde Toni Schumacher wie ein Weltmeister gefeiert.

Giftwelle im Rhein

Rot schillerte das Wasser, Fische trieben Kiel oben. Nach dem Großbrand beim Schweizer Chemiekonzern Sandoz war das Feuer schnell gelöscht, der Rhein aber  verseucht: Was die Firma als unbedenkliche Markierungsfarbstoffe bezeichnete, entpuppte sich als ein 70 Kilometer langer Giftteppich. Nach dem Unglück trieb auch an den Gestaden NRWs tonnenweise Fisch tot auf dem Wasser. „Kann bei uns nicht passieren!“ behauptete die deutsche Chemieindustrie. Kurz darauf schwappte die zweite Giftwelle den Rhein hinab, diesmal von BASF in Karlsruhe.

Tote Aale werden ans Rheinufer gespült

"Völlig harmlos": Auch die Chemiekatastrophe im Rhein sollte weggelogen werden.

In der Not konnten die meisten Rhein-Gemeinden auf alternative Wasserversorgung umstellen. Die 13.000 Einwohner der Stadt Unkel aber hingen vom Rheinwasser ab. „Und das wurde uns einfach abgedreht“, erzählt Elisabeth Barth. Das rheinland-pfälzische Städtchen wurde von der Feuerwehr aus Tanklastern versorgt, zwei Wochen lang. Bis aus NRW Rettung kam.

Schicht im Schacht

Zeche Zollverein bei Nacht

Gerettet: Zeche Zollverein sollte 1986 abgerissen werden!

Als letzte Essener Zeche machte Zollverein im Dezember 1986 den Deckel auf den Pütt. Das Ende einer Ära, und das ausgerechnet am Tag vor Heilig Abend! Günter Stoppa wickelte Zollverein mit ab. Damals wollte er wie die meisten, dass die Zeche abgerissen wird, und schüttelte den Kopf über die seltsamen Menschen vom Denkmalschutz. Die wollten aus der Zeche ein Museum machen. Inzwischen ist Günter Stoppa froh darüber, dass sein Wunsch nicht erfüllt wurde, denn heute ist Zollverein Weltkulturerbe und quicklebendig. In Wahrheit ist eben jedes Ende auch ein Anfang.

Erzählt wird der Film vom Schauspieler Jan-Gregor Kremp, der in Monheim am Rhein aufwuchs und 1986 seine Schauspielkarriere begann.

Ein Film von Martin Herzog 
Redaktion: Barbara Schmitz

Der Sound der 80er

Die Hits der 80er

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