Direkt am Strand vom Badeort Shëngjin an der Adriaküste stehen dutzende Bettenbunker.

Kritisch Reisen: Albanien – wilde Schönheit und Beton

Stand: 26.07.2024, 08:29 Uhr

Bis vor kurzem noch galt Albanien als Geheimtipp – unberührte Strände, atemberaubende Einsamkeit in wilder Natur, unschlagbar günstige Preise. Aber diese Zeit ist vorbei: Die Zahl der Touristen hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt verdreifacht auf derzeit rund 11 Millionen ausländische Besucher pro Jahr! Ganz schön viel für ein Land, das selbst nur knapp über zwei Millionen Einwohner zählt. Doch der Tourismus bringt wirtschaftlichen Aufschwung und ist die große Hoffnung des immer noch armen Landes. Überall entstehen jetzt neue Bettenburgen aus Beton.

Der Baustoff hat in Albanien eine lange Tradition: Über viele Jahrzehnte galt das Land als das Nordkorea Europas – ein isolierter Staat, der die Religion abgeschafft und selbst mit den sozialistischen Bruderstaaten gebrochen hatte. Diktator Enver Hoxha sah sich von Feinden umzingelt und  ließ überall im Land Bunker errichten: geschätzt über 170.000. Sollte der Beton früher Invasoren abwehren, so soll er heute Gäste anlocken.

Eine Souvenirverkäuferin mit einer Souvenir in Bunkerform in der Hand.

Was ist typisch Albanisch? Auch die Souvenir-Verkäuferin in Gjirokastra sagt: Bunker. Und weil sie noch immer überall im Land zu finden sind, werden sie auch im Mini-Format als Aschenbecher verkauft...

Überall an der Küste ragen Stahlverstrebungen in die Luft, werden Hotels und Apartment-Häuser aus dem Boden gestampft. Damit die gut zu erreichen sind, wird extra ein neuer Flughafens gebaut. Die Rollbahn wird gerade betoniert – ausgerechnet in einem Flussdelta, in dem bislang Flamingos die Lufthoheit hatten und Zugvögel Zwischenstation machten. Vorbei an Hoxhas alten Bunkern werden auch neue Straßen asphaltiert, zu den Badeorten am Mittelmeer, aber auch hinein ins  Landesinnere, wo Berge von über 2600 Metern Höhe Wandertouristen locken.

„Es ist doch alles viel, viel besser geworden,“ sagt ein alter Schafshirte. „Früher waren wir eingesperrt und niemand kam zu uns. Heute gibt es die Touristen. Und die bringen auch Geld.“ Der Alte lacht. Ob er selbst einmal als Tourist im Ausland war? „Warum sollte ich fort? Hier ist doch der schönste Platz der Welt. Und außerdem: Im Ausland sind wir Albaner keine Touristen, sondern immer nur Migranten.“ Er sagt das ohne Bitterkeit und lacht dabei.

Ein Bauer steht mit seinem Esel in der Natur.

Die Hirten an der Sushitza bangen - das Wasser, das sie hier dringend für ihre Tiere brauchen, soll in die neuen Badeorte an der Küste abgeleitet werden, wo in den letzten Jahren dicht an dicht Bettenburgen hochgezogen wurden.

Tatsächlich leidet das Land unter der Auswanderung – die Jugend strebt fort, vor allem nach Deutschland und Italien. Keine Jobs, keine Perspektive, da bietet der Tourismus den einzigen Halt. Aber zu welchem Preis? Wird das Paradies jetzt zubetoniert? Oder gibt es andere Wege, um mit den Gästen Geld zu verdienen? Als wir zahlen wollen, ist die Rechnung bereits beglichen. Der Hirte hat bezahlt und sich davon gemacht. Die Albaner sind stolz auf ihre Gastfreundschaft. Aber lässt sich so Geld verdienen? Eine Reise durch ein Land am Scheideweg.

Ein Film von Marko Rösseler
Redaktion: Gudrun Wolter