Die Steueroase von nebenan: Wie Kommunen Unternehmen ködern

die story 08.11.2023 44:29 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2099 WDR Von Georg Wellmann, Lisa Seemann


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Die Steueroase von nebenan: Wie Kommunen Unternehmen ködern

Stand: 06.11.2023, 09:10 Uhr

Monheim, eine kleine Stadt am Rhein, kann seinen rund 46.000 Einwohnern kostenlose Kita-Plätze bieten und top sanierte Schulen, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und teure Kunst im öffentlichen Raum. Dabei war Monheim einmal hoch verschuldet – bis die Kommune den Gewerbesteuerhebesatz drastisch senkte. Inzwischen hat sie den niedrigsten in NRW und lockte so hunderte Firmen in die Stadt. Die zahlen jetzt in Monheim ihre Gewerbesteuern. Die Einnahmen sprudeln und die Bürger sprechen vom „Wunder von Monheim“ – symbolisiert durch einen kostspieligen künstlichen Geysir auf einer Verkehrsinsel. Doch dieses Wunder geht auf Kosten anderer Nachbargemeinden, sagen Kritiker.

Die Steueroase von nebenan - Wie Kommunen Unternehmen ködern

Vom Monheimer Gewerbegebiet an der Rheinpromenade blickt man auf die Schlote des Dormagener Chemieparks. Dort produziert Bayer unter anderem Pflanzenschutzmittel.

Gegenüber von Monheim, auf der anderen Rheinseite, sieht man die Schlote des Dormagener Chemieparks, wo u.a. die Bayer AG Pflanzenschutzmittel produziert. Das Industriegelände ist einer der größten Chemiestandorte in Europa - und die Bayer AG war einst der größte Gewerbesteuerzahler in Dormagen. Bis der Chemiekonzern die Geschäftsführung und den Sitz einiger äußerst profitablen Tochterunternehmen ins benachbarte Monheim verlegte und so die Hälfte der Gewerbesteuern sparte. Produziert wird weiterhin in Dormagen. Erik Lierenfeld, der Bürgermeister der 65.000 Einwohner-Kommune, wirft seinem Amtskollegen aus Monheim „Gewerbesteuer-Dumping“ vor. Denn in Dormagen ansässige Unternehmen wie die Bayer AG nutzen zwar, um hier zu produzieren, die Infrastruktur der Stadt. Ihre Gewinne aber versteuern sie lieber in Monheim, der Steueroase nebenan. Während in Dormagen das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht, die Schulen sanierungsbedürftig sind und wichtige Investitionen verschoben werden müssen.

Die Steueroase von nebenan - Wie Kommunen Unternehmen ködern

Erik Lierenfeld, Bürgermeister der Stadt Dormagen wirft seinem Amtskollegen in Monheim „Gewerbesteuer-Dumping“ vor.

Die Gewerbesteuer stellt für Kommunen die größte Steuereinnahmequelle dar. Und die Höhe der Gewerbesteuerhebesätze können die Gemeinden in Deutschland selbst entscheiden. Monheim und Dormagen sind nur zwei Beispielkommunen. Es ist eine Praxis, die auch in anderen Kommunen in Deutschland zu finden ist, häufig in der Nähe größerer Städte. Inzwischen gibt es Duzende von Steueroasen in Deutschland. Christoph Trautvetter von „Netzwerk Steuergerechtigkeit“ spricht daher von einem „System der Steuervermeidung zu Lasten der Allgemeinheit“. Nach Schätzungen von Experten kosten die den Steuerzahler jedes Jahr rund 1 Milliarde Euro.

Aber nicht nur große Unternehmen verlagern ihre Gewinne nach Monheim. Wer sich dort umschaut, entdeckt an unscheinbaren Bürogebäuden und Einfamilienhäusern zahlreiche Firmenschilder und Briefkästen. Sogenannte „Virtuelle Büros“ werden hier vermietet mit Postweiterleitung und Festnetzanschluss mit Rufweiterleitung. Viele Firmensitze bestehen hier offenbar nur auf dem Papier, um Gewerbesteuer zu sparen.

Ein Film von Georg Wellmann und Lisa Seemann
Redaktion: Gudrun Wolter