Arm und Reich vor Gericht: Wie gerecht ist unsere Strafjustiz?

die story 06.09.2023 44:00 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2098 WDR

Arm und Reich vor Gericht – Wie gerecht ist unsere Strafjustiz?

Stand: 23.06.2023, 09:12 Uhr

Patrick H. sitzt in seiner Zelle in der JVA Berlin-Plötzensee und erzählt von dem Tag, den er wohl nie vergessen wird: Als die Polizei gegen seine Tür hämmert, ihn verhaftet und ins Gefängnis bringt. Dabei wurde Patrick H. nie zu einer Gefängnis-Strafe verurteilt. Er konnte lediglich seine Geldstrafe nicht zahlen. Und der 28-Jährige ist damit nicht allein: Mehrere tausend Menschen in Deutschland erleben jedes Jahr das Gleiche. Viele von ihnen haben nicht einmal vor Gericht gestanden. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind arm. Ist das Zufall? Oder haben es Menschen mit mehr Geld in unserem Justizsystem leichter?

Sträfling in der JVA Berlin-Plötzensee

Patrick H. sitzt wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Berlin-Plötzensee - er musste ins Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen konnte. | © Alex Grantl / NDR

Wer kein Geld für einen Anwalt hat, steht im Zweifel ohne Verteidigung vor Gericht. Denn Pflichtverteidiger werden schätzungsweise nur in zehn Prozent der Fälle eingesetzt – wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr im Raum steht und in einigen Ausnahmen.

Wer genug Geld für seine Verteidigung ausgeben kann, sucht sich Anwälte wie Nikolaos Gazeas. Seine Kanzlei in Köln zählt zu den Top-Adressen für Wirtschaftsstrafrecht in Deutschland. Kanzleien dieser Art verlangen Stundensätze um die 400 Euro. Gazeas hat Beschuldigte in Cum-Ex-Strafverfahren vertreten und die Verteidigung im Schmiergeldprozess um ehemalige Siemens-Manager koordiniert. Er schätzt: 80 Prozent seiner Fälle werden entweder eingestellt oder enden mit einem Freispruch. »Mehr Geld gleich bessere Verteidigung gleich bessere Chancen vor Gericht, das ist in vielen Fällen leider zutreffend.«

Mann sitzt mit geblurrten Gesicht vor der Richterin

Marcel S. wartet auf seine Verhandlung am Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen Fahrens ohne Ticket. Richterin Anja Grund (rechts) wird in wenigen Minuten ihr Urteil verkünden. | © Alex Grantl / NDR

Die ARD Story hat sich umgesehen in deutschen Gerichtssälen und Gefängnissen, spricht mit Gefangenen, Verurteilten und Beschuldigten, mit Richterinnen, Staatsanwälten und dem Leiter eines Gefängnisses. Und sie konfrontiert Bundesjustizminister Marco Buschmann und fragt, wie er die deutsche Strafjustiz gerechter machen will – und ob seine Reformvorschläge dafür ausreichen.

Ein Film von Isabel Schneider, Alex Grantl und Klaas-Wilhelm Brandenburg
Redaktion: Christian von Brockhausen (NDR) / Arnd Henze (WDR)