Fünf Vorurteile gegen Jugendliche - und was wirklich dran ist

Stand: 26.04.2016, 18:13 Uhr

Die "Mainstream-Jugendlichen" nennen die Autoren der Sinus-Studie unsere Teenager. Sie seien strebsam, angepasst und so wenig rebellisch wie selten zuvor. Aber was ist daran eigentlich schlimm? Ein Gespräch mit jungen Menschen aus NRW.

Von Martina Züger

1. Vorurteil: Die Jugendlichen orientieren sich am Mainstream

Die deutsche Jugend hat die Rebellion aufgegeben. "Für die meisten 14 bis 17-Jährigen heute gilt: Man möchte sein wie alle", schreiben die Autoren der Sinus-Studie in ihrer Zusammenfassung. Den Begriff "Mainstream" meinen die meisten Jugendlichen nicht mal abwertend. Im Gegenteil, sie verstehen darunter einen gemeinsamen Kanon an Werten wie Freiheit, Vielfalt und Toleranz. Die 17-jährige Milena besucht ein Gymnasium in Wuppertal und hat mit der Aktuellen Stunde über die Studie gesprochen. Auch sie hält den Mainstream für nichts Negatives. "Es ist doch schön, wenn man keinen Grund zur Rebellion hat. Ich denke, dass viele Jugendliche unverwechselbar sein wollen, aber natürlich wollen sie auch dazugehören."

Man kann es also auch so formulieren: Weil die Jugendlichen sich am Mainstream, also an einer gemeinsamen Werteordnung, orientieren, sind sie toleranter als je zuvor. "Der Mainstream hat auch Vorteile. Diese Jugend will sich nicht auseinanderdividieren lassen", kommentiert der Jugendforscher Klaus Hurrelmann die Studie. Diese Erkenntnis gilt auch für muslimische Jugendliche, die religiösen Fundamentalismus vehement ablehnen. Für ihre Sinus-Studie haben die Autoren 72 lange und persönliche Interviews mit Teenagern aus sieben verschiedenen Milieus geführt. Auftraggeber der Studie sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.

2. Vorurteil: Die 14- bis 17-Jährigen sind brave Streber

Nach Ansicht der Studienautoren sind die jungen Menschen von heute generell anpassungsbereit und akzeptieren Leistungsnormen und Sekundär-Tugenden ganz selbstverständlich. Der Grund dafür ist offensichtlich und verständlich: Die Jugendlichen verspüren eine "Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in den zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt", schreiben die Sozialwissenschaftler. Dazu zählten etwa Familie, der Wunsch nach emotionaler und materieller Sicherheit oder auch Fleiß und Bescheidenheit. Trotz aller Unterschiede teilen die Jugendlichen ein Fundament, die Wissenschaftler nennen es "Neo-Konventionalismus".

3. Vorurteil: Unsere Teenager hängen an ihren Eltern

Nur wenige Jugendliche - aus allen sieben Milieus - versuchen heute, sich bewusst von den Eltern abzugrenzen. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Orientierung in einer zunehmend unübersichtlichen Welt lasse Teenager eine ungewöhnlich große Nähe zur Elterngeneration suchen, lautet eine Erklärung. Abgrenzung und Provokation sind einem Kuschelkurs mit den Erwachsenen gewichen. Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht darin einen Trend zur Überanpassung. "Es ist eine nicht-rebellische Generation, die als oberstes Ziel hat, in diese Gesellschaft hineinzukommen", erklärt er.

4. Vorurteil: Es gibt weniger Subkulturen

Subkulturen sind tot. Junge Menschen fühlen sich heute kaum mehr großen Jugendsubkulturen zugehörig, die auf Abgrenzung und Provokation setzen, wie früher die Punks, Popper, Raver oder Goths. Die 17-jährige Milena findet es jedoch schwierig, "die Jugend" zu verallgemeinern. Ihre Freundin Abelina, ebenfalls 17 Jahre alt, ergänzt: "Ich kann mir gut vorstellen, dass es durchaus noch rebellische Jugendliche gibt, je nachdem aus welchem Umfeld sie kommen. Persönlich versuche ich, eigene Entscheidungen zu treffen, wobei ich mich jedoch durchaus von Anderen inspirieren lasse, indem ich mir Ratschläge hole." Die Jugend sei keine homogene Gruppe, schreiben auch die Forscher. Sie gliedere sich zum Beispiel in Konservative, Pragmatische, Ökos oder die Spaß-Fraktion. "Durch alle Gruppen hindurch gibt es aber ein Gefühl der Gemeinsamkeit. ... Im Ergebnis sehen wir ein Zusammenrücken der jungen Generation", ergänzt der Forscher.

5. Vorurteil: Die 14- bis 17-Jährigen starren ständig auf ihr Smartphone

Tatsächlich fanden die Forscher heraus, dass die Jugendlichen sogar ein wenig online-müde werden. "Aus Perspektive der Jugendlichen ist der Höhepunkt der digitalen Durchdringung des eigenen Alltags erreicht. Die bislang als jugendtypisch eingeordnete, bedingungslose Faszination ist geschwunden", heißt es in der Zusammenfassung. Jugendliche möchten die digitalen Medien nicht nur nutzen, sondern auch die Risiken, wie Überwachung und Datensammlungen, verstehen. Erstmals wünschen sich einige Jugendliche sogar eine Entschleunigung.