Idomeni: Warum gibt es nicht genug Hilfe?

Stand: 06.03.2016, 16:00 Uhr

Tausende Flüchtlinge sitzen an der Grenze zu Mazedonien fest. Immerhin will die griechische Regierung am kommenden Mittwoch ein Gesundheitszentrum eröffnen. Doch eine humanitäre Katastrophe droht weiterhin. Innerhalb von Stunden helfen wir bei Krisen in aller Welt. Aber warum nicht in Idomeni, mitten in Europa?

Von Matthias Goergens und Martina Züger

1. Rund 14.000 Flüchtlinge harren an der Grenze zu Mazedonien aus

Überall stehen Zelte. Menschen sitzen am Feuer, essen im Freien. In den Lagern ist das Brennholz knapp, mit dem die Menschen unter anderem ihr Essen kochen. Ein Traktor, der Nachschub brachte, kam gar nicht bis zur Lieferstelle, sondern wurde bereits vorher leergeräumt. Eine humanitäre Katastrophe droht. Rund 14.000 Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern warten nach Angaben des UN-Hilfswerks UNHCR an der griechischen Grenze zu Mazedonien. Der nördliche Nachbar lässt täglich nur bis zu 250 Asylsuchende passieren, die aus dem griechischen Lager kommen - weil auch Österreich und andere Länder der Balkanroute ihre Grenzen für Flüchtlinge weitgehend geschlossen haben. In Griechenland kommen jedoch täglich bis zu 2.000 Flüchtlinge aus der Türkei an.

Mehr als die Hälfte von ihnen - rund 55 Prozent seien nach UNHCR-Angaben derzeit Frauen und Kinder. "Und 48 Prozent der ankommenden Menschen sind Syrer. Sie geben sich nicht als Syrer aus, sie sind Syrer", sagt Vincent Cochetel, Europa-Direktor des UNHCR. Das Lager bei Idomeno war ursprünglich für 2.000 Menschen angelegt worden. Der für die Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos rechnet damit, dass bis Ende März mehr als 100.000 Migranten in Griechenland hängen bleiben könnten. Zurzeit sind es nach Behördenangaben rund 33.000.

2. Die Nerven liegen blank

Die Lage spitzt sich zu. Es ist kalt, viele Flüchtlinge sind krank, darunter viele Kinder. Es bestehe die Gefahr, dass es zu Lungenentzündungen komme, sagten Ärzte im griechischen Rundfunk. "Es sind so viele Menschen hier: ohne Essen, ohne Toiletten. Wir müssen für alles anstehen, vier bis fünf Stunden, und ich bin schon zwei Wochen hier", sagte ein Flüchtling in der Aktuellen Stunde. Besonders Kinder seien betroffen. Nach Angaben von Ärzte ohen Grenzen müssen viele wegen Atemwegserkrankungen behandelt werden.

Sie erhalten bisher nur von privaten Organisationen medizinische Hilfe. Der Gouverneur der Region, Apostolos Tzitzikostas, hatte die Regierung zuvor aufgefordert, den Notstand für die Grenzregion auszurufen.

3. Europa schottet sich ab

Die Menschen an der Grenze bei Idomeni stecken in einer Sackgasse. Denn Europas Politiker streiten darüber, wer die Flüchtlinge aufnimmmt und wer für ihre Versorgung bezahlt. EU-Ratspräsident Donald Tusk reiste eigens nach Griechenland und in die Türkei und riet Wirtschaftsmigranten dringend von einer Flucht in die Europäische Union ab. Menschen, die ein besseres Leben suchten, aber nicht vor einem Krieg flüchteten, sollten nicht ihr Leben aufs Spiel setzen oder Schleusern dafür Geld zahlen, sie nach Europa zu bringen. Griechenland werde ebenso wie jedes andere EU-Mitgliedsland "nicht länger Transitland" sein, sagte Tusk. Die Schengen-Regeln würden "wieder in Kraft treten" - und Wirtschaftsflüchtlinge damit an den Außengrenzen gestoppt.

Der für die Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos kritisierte die Entscheidung einiger Staaten, im Alleingang ihre Grenzen zu schließen und damit die Balkanroute Richtung Mitteleuropa dicht zu machen. Dies fördere Fremdenfeindlichkeit und Populismus. Nicht nur in Idomeni stranden die Flüchtenden.

Susanne Brück macht ihrem Unmut darüber auf unserer Facebook-Seite Luft: "Europa stellt sich im Moment selbst ein Armutszeugnis aus!" User Karl Heinz sieht bei Facebook dahinter auch ein "klares Zeichen der Regierungen an die Flüchtlinge, sich nicht weiter Richtung Europa auf den Weg zu machen."

4. Warum helfen wir nicht?

Der Sprecher des UN-Hilfswerks UNHCR im nordgriechischen Flüchtlingslager Idomeni, Babar Baloch, hat die Zustände dort als unhaltbar bezeichnet. "Es ist ein Weckruf für die führenden Politiker der EU, denn das hier ist eine humanitäre Krise", sagte der Sprecher am Sonntag (06.03.2016). Die Lage gilt allerdings als komplex. Schnelle Lösungen sind nicht zu erwarten. "Griechenland braucht Hilfe", sagte UNHCR-Sprecher Baloch. "Ansonsten werden verzweifelte Flüchtlinge noch mehr leiden müssen."

Direkte Hilfe aus Deutschland zum Beispiel durch das Technische Hilfswerk (THW) ist nach Recherchen der Aktuellen Stunde bisher nicht geplant, dafür müsste Griechenland bei der EU oder dem Auswärtigen Amt direkt Hilfe anfordern. So wie Nepal es nach dem Erdbeben im vergangenen Jahr getan hat. Das THW konnte sich damals innerhalb von 48 Stunden zum Beispiel um die Trinkwasserversorgung vor Ort kümmern.

Gegenüber der Aktuellen Stunde unterstellt die Flüchtlingsbeauftragte der NRW-Grünen, Monika Düker, dass einige Länder diese Bilder "bewusst in Kauf nehmen", damit Menschen abgeschreckt werden und sich deshalb nicht auf den Weg nach Europa machen. Neben einer sofortigen humanitären Hilfe fordert sie weitere Schritte: "Wir brauchen eine europäische Hilfsaktion, wir dürfen Griechenland damit nicht alleine lassen." Auf unserer Facebook-Seite vermutet User Bruno Celentano Kalkül bei den politischen Parteien: "Jeder Flüchtling, der in Griechenland bleibt, kann hier nicht den etablierten Parteien die anstehenden Wahlen versauen."

5. "Wenn das hier drei Tage regnet ..."

Dass es noch nicht zu einer humanitären Katastrophe mitten in Europa gekommen ist, verhindern in Idomeni Organisationen wie Save the Children oder das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Aber die Helfer sind erschöpft, sagt Darina Finsterer, die für Ärzte ohne Grenzen dort ist: "Aktuell ist alles in Ordnung, wir reden hier über keine Epidemien. Aber wenn das hier drei Tage regnet... bleibt abzuwarten." Griechische Medien berichteten, verzweifelte Migranten hätten in der Nacht an den Türen der etwa 100 Einwohner des Dorfes von Idomeni geklopft und um Lebensmittel und Milch für ihre Kinder gebeten.

Silvio Sinske weist auf unserer Facebook-Seite darauf hin, dass es ein paar Kilometer entfernt Lager mit ausreichender Kapazität gebe. Das sieht auch Silke Schuard so: "Es gibt ein Lager auf einem alten Militärareal bei Polikastro. Da will aber niemand hin, und viele der Zelte stehen leer." Viele Migranten in Griechenland wollen möglichst nahe der Grenze warten, in der Hoffnung dann schneller weiterreisen zu können, als wenn sie im Landesinneren sind.

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