Frank Goosen über das Ruhrgebiet

"Wir sind noch nicht sexy genug"

Stand: 27.08.2015, 14:24 Uhr

Bundestagspräsident Norbert Lammert wirft dem Ruhrgebiet vor, in "Lebenslügen" zu verharren. Der Bochumer Kabarettist und Autor Frank Goosen gibt dem CDU-Politiker in weiten Teilen Recht. Sein Credo: mehr Selbstbewusstsein und in die Zukunft schauen.

WDR: Hat Norbert Lammert recht - ist das Ruhrgebiet wirklich ein Jammertal?

Frank Goosen: Ich weiß nicht, ob wirklich alle so jammern. Ich hab in letzter Zeit viel mit jungen Leuten aus der Kreativszene zu tun gehabt – aus der Fotografie, aus dem Theater, aus der bildenden Kunst, mit Musikern – und die sind alle schon einen Schritt weiter. Die begreifen das Ruhrgebiet als ein kreatives Feld, das man beackern kann. Aber mit vielen Sachen, die er im Interview gesagt hat, hat Herr Lammert recht. Das mit den Fördergeldern kann ich fachlich nicht beurteilen. Aber wenn wir den Berliner Spruch nehmen "wir sind arm aber sexy" dann muss man feststellen, wir im Ruhrgebiet sind arm, aber noch nicht sexy genug.

WDR: Wie wird man denn sexy genug?

Goosen: Da hab ich auch kein Patentrezept, aber erstmal sollte man sich auf jeden Fall selber sexy finden. Man muss begreifen, dass man alle großen Fragen des Lebens und der ganzen Welt auch anhand des Ruhrgebiets erzählen kann. Und mit einem gewissen Selbstbewusstsein zeigen, dass es hier eben noch Möglichkeiten gibt, die es woanders vielleicht nicht mehr gibt, weil das alles schon abgegrast ist.

WDR: Was sind das für Möglichkeiten?

Goosen: Das Ruhrgebiet als Filmland zum Beispiel. Erfreulicherweise wird ja jetzt das ein oder andere Buch von mir verfilmt. Und da merkt man: Hier gibt es viele Orte, die noch nicht zu Tode gefilmt sind. Hier gibt es Geschichten, die mit dem permanenten Veränderungsdruck zu tun haben, unter dem das Ruhrgebiet immer wieder stand. Von diesen Geschichten sind viele noch nicht erzählt worden.

WDR: Warum fehlt das Selbstbewusstsein?

Goosen: Dieses mangelnde Selbstbewusstsein ist uns ganz oft von außen eingeredet worden. Das hat uns immer wieder in die Defensive gedrängt. Wir mussten immer erst erklären: Ja, man kann hier atmen; wir haben Bäume; wir kriegen keine Beulen am Schädel von den fliegenden Briketts. Die Aufgabe meiner und der folgenden Generation ist es, aus dieser Defensive rauszukommen. Die Vergangenheit mit der Arbeitertradition samt Kohle und Stahl muss man mitnehmen, aber nur als Basis benutzen, um – das klingt jetzt ein bisschen Politikermäßig – in die Zukunft zu sehen.

WDR: Norbert Lammert hat gesagt, dass sich das Ruhrgebiet in Zukunft politisch zusammenschließen muss. Was halten Sie davon?

Goosen: Das halte ich auf jeden Fall für sinnvoll. Das war immer mein Credo, dass die Region nur eine Chance hat, wenn sie sich immer weiter zusammenschließt. Auf welchem Wege das passiert und wie das politisch gestaltet wird, das kann ich auch nicht aus dem Ärmel schütteln. Aber auch da hat Lammert recht: Es gibt eine Ruhrgebietsmentalität. Das merke ich auch, wenn ich nach meinen Auftritten oder Lesungen mit den Leuten rede. Das ist eine kollektive Mentalität. Große Zusammenschlüsse, egal ob deutschlandweit oder im Zuge der Globalisierung, funktionieren aber nur, wenn die Menschen vor Ort weiter ihre eigenen Identitäten finden.

WDR: Was heißt das für das Ruhrgebiet?

Goosen: Dass es neben der Ruhrgebietsmentalität auch ein Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Stadt oder dem eigenen Stadtteil gibt. Identität wird im Ruhrgebiet aber zum Beispiel auch durch den Fußball geschaffen. Ich bin sehr dafür, dass das Ruhrgebiet sich zusammenschließt, was es aber nie geben darf, ist ein FC Ruhrgebiet. Wir müssen weiter diese kleinen Identitäten pflegen mit dem VFL Bochum, dem schlafenden Riesen, der gerade aufwacht, mit Dortmund, Schalke, Rot-Weiß Oberhausen, Rot-Weiß Essen und wie sie alle heißen.

WDR: Könnten Sie sich einen Wechsel in die Politik vorstellen?

Goosen: Nee! Auf gar keine Fall. Dafür habe ich gar keine Geduld. Ich bin im Aufsichtsrat vom VfL Bochum. Da muss ich genug Politik betreiben und taktieren. Ich lehne mich lieber zwischendurch mal aus dem Fenster und beziehe dafür Prügel.

Das Gespräch führte Conny Crumbach