Erdogan sagt: "Die europäischen Regierungen waren nicht aufrichtig [im Flüchtlingsdeal]. Sie hat nur symbolisch ein bis zwei Millionen Euro gezahlt."
Fakt ist: Die EU zahlt nicht an die Türkei selbst. Vielmehr geht das Geld direkt an die Hilfsorganisationen wie Unicef und das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen und an die Flüchtlinge selbst. Margaritis Schinas, Sprecher der EU-Kommission, sagte am Dienstag (26.07.2016), dass die EU drei Milliarden Euro versprochen habe, um Flüchtlingen zu helfen und dieses Versprechen auch ernst nehme. 740 Millionen Euro seien bereits freigegeben worden und 106 Millionen Euro ausgezahlt. Laut Schinas soll die freigegebene Summe bis zum Ende des Monats noch auf 1,4 Milliarden Euro steigen.
Allerdings: Der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Burak Copur sagte im Interview mit tagesschau.de, dass Erdogan mit seinen Vorwürfen aber auch durchaus Recht haben könnte:
"Die EU hat ihre Versprechen hinsichtlich der Übernahme von Flüchtlingen und der Gewährleistung der vereinbarten finanziellen Hilfen an die Türkei nicht eingehalten. Diese Trickserei ist wirklich ein Armutszeugnis für Brüssel. Erst den Pakt mit dem Teufel schließen und sich dann nicht an Abmachungen halten. Erdogan legte hier völlig zu Recht den Finger in die Wunde"
Erdogan sagt: "In der Türkei gibt es keine Spaltung der Gesellschaft."
Fakt ist: Vor allem nach dem Putschversuch beklagten sich Vertreter von Minderheiten wie Aleviten und Kurden über wachsende Anfeindungen von Erdogan-Anhängern. Besonders der Konflikt mit den Kurden spaltet das Land: Der Südosten des Landes, in dem besonders viele Kurden wohnen, ist oft Schauplatz von Gefechten – laut Regierung zur Bekämpfung von Terror. Doch oft richten sich die Angriffe auch gegen die Zivilbevölkerung.
Erst im Juni wurde die Immunität von 138 türkischen Abgeordnete aufgehoben – vor allem von Vertretern der prokurdischen Partei HDP.
"Diese Spaltung gibt es, ob er das abstreitet oder nicht", sagt der türkische Journalist Baha Güngör dem WDR. Das habe auch Auswirkungen auf Deutschland: "Schuld daran ist, dass Erdogan die Lücken füllt, die die europäischen Regierungen nicht gefüllt haben – in Deutschland vor allem." Erdogan habe den Platz in dieser Lücke eingenommen und sich zum Fürsprecher dieser Menschen gemacht.
Erdogan sagt: "Nur in Europa und den Mitgliedsstaaten gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es die Todesstrafe fast überall auf der Welt."
Fakt ist: Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International gibt es in 103 Staaten keine Todesstrafe mehr – darunter auch die Türkei. In sechs Staaten wird die Todesstrafe nur in außergewöhnlichen Fällen durchgeführt, also beispielsweise bei Kriegsverbrechen. So ein Land ist unter anderem Brasilien. Bei 31 Staaten steht die Todesstrafe zwar noch im Gesetz, wird aber in der Praxis nicht mehr angewendet, zum Beispiel in Russland. Nur 58 Staaten halten weiter an der Todesstrafe fest.
Erdogan sagt: "Wirtschaftlich haben wir eigentlich keine Probleme. Wenn man sich die Wachstumsrate anschaut, steht die Türkei viel besser da als die meisten EU-Länder."
Fakt ist: Noch im Juni schätzte die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) das Wirtschaftswachstum der Türkei auf 3,7 Prozent. Im Vergleich aller 35 OECD-Staaten hatten nur China, Indien, Indonesien und Luxemburg bessere Prognosen. Deutschlands Wachstum wurde dagegen nur auf 1,7 Prozent geschätzt. Damit stand die Türkei tatsächlich besser da als die EU-Staaten - den Putschversuch und die fallende Währung haben die OECD aber nicht voraussehen können. Damit ist unklar, wie sich der türkische Markt entwickeln wird.
Politische Unsicherheit sorgt für Wirtschaftsprobleme
Die türkische Wirtschaft ist auf den Tourismus angewiesen.
Dementsprechend hat die Türkei einige Problem: Es hat selbst kaum Rohstoffe und ist abhängig vom Tourismus. Allerdings sind im ersten Quartal 2016 laut des türkischen Statistikinstituts die Einnahmen durch den Tourismus um 16,5 Prozent eingebrochen – und das noch vor Krisenmeldungen wie Terrorangriffen und dem Putschversuch. "Die politische Unsicherheit im Land führt dazu, dass zum einen Kapital das Land verlässt und zum anderen die Touristenzahlen stark gesunken sind", so Galina Kolev vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Laut der OECD liegt die Inflationsrate der Türkei seit Jahren bei etwa acht Prozent. Im Vergleich zu anderen Staaten ist das relativ hoch. Auch die Arbeitslosigkeit steigt kontinuierlich an und liegt inzwischen bei über zehn Prozent. Die Ratingagentur Standard and Poor’s stufte die Türkei nach dem Putsch auf BB und die weiteren Aussichten auf negativ. "Jede Wirtschaft politische Stabilität, braucht Meinungsfreiheit, Sicherheit, Demokratie. Und wenn das nicht gegeben ist, wird das auch die langfristigen Perspektiven beeinträchtigen", sagt Galina Kolev.