Stadtgruppen auf Facebook
Du bist hier aufgewachsen, wenn ...
Stand: 04.08.2012, 06:00 Uhr
Tausende Mitglieder innerhalb weniger Tage, historische Fotos und noch mehr Erinnerungen: Heimatgruppen auf Facebook sind angesagt. Internet-Hype und Heimatverein, zwei Welten prallen auf einander.
Von Markus Rinke
Kein Handy, kein Computer und erst recht kein Internet oder Facebook: Nicht, dass Uwe Fuhrmann (55) damit nicht zurecht käme. Er will all das einfach nicht. Der Vorsitzende des Schwerter Heimatvereins gehört noch zur alten Schule. Er kennt in der 50.000-Einwohnerstadt am Rande des Ruhrgebiets Gott und die Welt. Und die Stadt natürlich wie seine Westentasche. Als er ausnahmsweise mal vor einem Laptop sitzt und Fotos der Facebook-Gruppe "Du bist Schwerter, wenn..." betrachtet, weiß er natürlich sofort, dass die Schwarz-Weiß-Aufnahme am Bahnhof entstanden ist, und natürlich kennt er noch den alten Zugang zum Marktplatz, bevor das City-Centrum gebaut wurde. "Wirklich neue Fotos sind da nicht zu finden, die Bilder sind fast überall schon mal aufgetaucht. Das richtig Interessante daran ist, wie die Nutzer damit umgehen und darüber kommunizieren", zieht Uwe Fuhrmann Bilanz.
Eine Reise in die Kindheit
Richtig neugierig wird er bei den User-Kommentaren zu den Bildern: "Ist das ein Quiz?", fragt er bei einem Bild, das mit der Frage überschrieben ist "Du bist Schwerter, wenn... ....Du weißt, wo das wahr." Neben der Kritik an der Rechtschreibung hat Uwe Fuhrmann natürlich sofort die richtige Antwort parat, gibt noch ergänzende Erklärungen und wundert sich, wie man da falsch raten kann. Außerdem bemerkt er, dass es für die Gruppenteilnehmer weniger um die Identifikation mit der Stadt geht: "Es geht mehr in die Richtung des kollektiven Erinnerns an private Erlebnisse." Auffallend ist, dass gerade die Bilder kommentiert werden, auf denen alte Autos, die Straßenbahn, Geschäfte oder Menschen zu sehen sind, zu denen manchem Schwerter etwas einfällt. Und es sind vor allem Kindheitserinnerungen, die 20, 30 oder manchmal 40 Jahre zurückliegen. Von daher sei die Gruppe kein digitaler Heimatverein, der arbeite wissenschaftlicher. Die Diskussionen bleiiben, seiner Meinung nach, zu sehr an der Oberfläche.
Mehr als 5.000 Mitglieder in zwei Wochen
Doch das will der Initiator der Gruppe, Christian Menze, auch gar nicht damit erreichen. Als er die Gruppe Mitte Juli 2012 gründete, ging es ihm darum, Erinnerungen auszutauschen und vielleicht ein paar alte Bekannte wieder zu treffen. 80 Freunde hatte er eingeladen und damit gerechnet, dass es vielleicht ein paar hundert werden. Doch schon über Nacht wurden alle Erwartungen übertroffen. Das Handy brummte tagelang durchgehend: "Ich musste mehrmals am Tag das Handy laden", lacht Menze, zu viele Mitteilungen über neue Mitglieder haben den Stromverbrauch in die Höhe getrieben. Schnell wuchs die Gruppe auf über 4.000 Mitglieder. Jetzt hat sich der Zuwachs verlangsamt, aktuell sind es 5.287 (03.08.2012, 17.30 Uhr).
Stadt-Gruppen sind weit verbreitet
Dabei hätte er mit dem Ansturm rechnen können. "Die Idee ist aus Gevelsberg geklaut", sagt Christian Menze. Die Gruppe dort hat über 4.000 Mitglieder, dabei ist die Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis kleiner als Schwerte. Das die Idee einfach weitergetragen wird, ist typisch, erklärt die Medienpädagogin Henrike Friedrichs von der Uni Bielefeld. Und auch die Gruppen sind ähnlich, weiß Friedrichs: "Die Nutzer kennen sich nicht, aber die Gruppenmitglieder haben gemeinsame Erinnerungen." Und wenn es nicht die alten Bilder sind, dann taucht auch schon mal der Fernsehserienheld von damals auf, der nichts mit der Stadt zu tun hat. "Der Rückbezug zur frühen Kindheit ist mit starken Emotionen verbunden", erklärt Henrike Friedrichs. Denn häufig stehen im Mittelpunkt der Postings gar nicht die Städte, sondern die eigene Kindheit und der Wunsch zu zeigen, was einem wichtig ist.
Wenn die Erinnerungen aufgefrischt sind, dann lässt aber oft die Aktivität nach. "Die Mitglieder treten zwar nicht aus der Gruppe aus, aber sie engagieren sich auch nicht mehr", sagt die Wissenschaftlerin. Anders ist das, wenn neue Themenfelder, wie zum Beispiel die aktuelle Lokalpolitik oder das Schützenfest dazukommen. Und manchmal nehmen die Gruppen auch ein ganz jähes Ende.
Minden-Gruppe nach einer Woche geschlossen
Ein Beispiel dafür ist die Gruppe "Wenn Du in Minden aufgewachsen bist, dann...". Mario Vogelsteller gründete sie im August 2011 und schloss sie nach einer Woche wieder. Auch hier wuchs die Gruppe extrem schnell innerhalb von einer Woche auf 4.000 Mitglieder. Der Online-Marketing-Berater erzählt, er habe es einfach nicht mehr geschafft die Gruppe zu moderieren. Ein Hauptgrund für den Schritt war für Mario Vogelsteller aber auch, dass die Rechte bei sehr vielen der geposteten Fotos offensichtlich nicht eindeutig geklärt waren. Und letztlich sei die Gruppe auch etwas aus dem Ruder gelaufen, erinnert sich Vogelsteller. Die Mitglieder hätten zum Teil einander beleidigt. Wenn er die Beiträge dann gelöscht habe, sei er auch noch angepöbelt worden. Dabei hatte der Mindener vorher sehr gute Erfahrungen in seiner Geburtsstadt Hameln gemacht, von wo er die Idee mitbrachte.
Mehr Politik, weniger Geschichte
Bei "Du bist Schwerter, wenn..." ist der Ton freundlich. Nur zweimal musste Christian Menze bisher Beiträge mit einigen Kommentaren aus dem Netz nehmen, weil jemand gemobbt wurde. Einer wurde von einem der Mitglieder selbst gelöscht. Für die Zukunft rechnet er damit, dass die Gruppe nur noch langsam anwächst. Und Christian Menze hätte auch nichts dagegen, wenn dort politische Diskussionen aufkommen: "So lange sich nicht Parteien einschleusen, die nicht akzeptiert werden können, sehe ich da kein Problem." Doch noch stünden die Erinnerungen im Mittelpunkt.
Da würde auch der Vorsitzende des Heimatverein Schwerte, Uwe Fuhrmann gut zu passen. Doch auf die Frage, ob er nicht Mitglied werden will, winkt er lachend ab: "In diesem Leben wird das nichts mehr, ich bin offline." Außerdem gibt es ja auch das Ruhrtalmuseum, Bücher oder die Stadtführungen die Uwe Fuhrmann organisiert: "Das ist doch auch viel persönlicher, da gibt es doch noch viele Anekdoten und das persönliche Gespräch."