Düsseldorf Flingern-Nord im Sommer 2013. In dem einstigen Arbeiterstadtteil sitzen junge Familien in Straßen-Cafés und trinken Bio-Eistee. In einer Szene-Kneipe zapft eine Kellnerin kaum Altbier, dafür aber ein bekanntes Pils aus Baden-Württemberg. Auf den begehrten Parkplätzen stehen etliche Autos mit auswärtigen Nummernschildern. Vor kleinen Läden stehen Schilder, mit denen für Kinder-Yogakurse geworben wird. Eine Edel-Wohnanlage steht mitten im Viertel. Hier residieren TV-Moderatorinnen und Zahnärzte.
Kinder-Yoga statt Spielothek
Rückblende: Flingern-Nord vor rund zehn Jahren. Viele Studenten wohnten hier neben alteingessenen Mietern. Wo im Krieg keine Bomben eingeschlagen waren, stehen vereinzelt Gründerzeit-Häuser. Viele Altbauwohnungen sind erschwinglich. Pommes- und Döner-Buden, Spielotheken und charmant urige Pinten prägen das Straßenbild. Studenten, Künstler und Freiberufler entdecken das Viertel. Jetzt setzt ein Prozess ein, den Soziologen als "Gentrifizierung" bezeichnen, angelehnt an den englischen Begriff "gentry" für den niederen Adel. Hierbei wird die angestammte, einkommensärmere Einwohnerschaft schleichend aus zentral gelegenen "In"-Quartieren verdrängt. Teure Sanierungen und Neubauten sorgen für steigende Mieten, die sich nur noch einkommensstarke Bewohner leisten können. Und für die neuen Mieter folgen dann auch passende Geschäfte. Statt Spielotheken findet man heute im Stadtteil Boutiquen, Öko-Eisdielen und Nobel-Friseure.
Gentrifizierung finde allerdings "in der Wirklichkeit nicht als absoluter Prozess, sondern in Zwischenstufen statt, mit teils sehr widersprüchlichen Trends", sagt der Soziologie-Professor Reinhold Knopp von der Fachhochschule Düsseldorf. Dazu gehöre zum Beispiel auch, "dass viele alteingesessene Bewohner von Flingern-Nord es positiv finden, dass ihr Stadtteil jetzt attraktiv und angesagt ist". Aber er habe bei Veranstaltungen in Düsseldorf-Flingern "auch viele Sorgen gehört, von Einwohnern, die sich die steigenden Mieten einfach nicht mehr leisten können und teilweise von wohlhabenderen Mietern verdrängt werden", sagt der Forscher.
Ehemals Kölns "schmutzige Rheinseite"
Was Flingern-Nord für Düsseldorf ist, sind die Stadtteile Nippes, Ehrenfeld und Deutz in Köln. "Deutz liegt auf der schmutzigen Rheinseite, hieß es früher scherzhaft", sagt Geschäftsführer Alexander Geischer vom Verband der Immobilienberater in NRW. Dies habe sich gründlich verändert. Aus einstmals unbeliebten Wohnquartieren sind Szene-Stadtteile geworden. Es sei ein "Nachfrage-Sog" entstanden, da die beiden Viertel citynah und mit einer guten (Alt-)Bausubstanz ausgestattet seien, sagt Geischer. In diesem schleichenden Prozess nimmt die Zahl zahlungskräftiger Mieter genauso zu wie neue Szene-Läden oder Bio-Supermärkte.
Gentrifizierte Stadtteile gibt es auch im Ruhrgebiet, zum Beispiel Duisburg-Innenhafen, Bochum-Ehrenfeld oder Dortmund-Kreuzviertel. Dort fällt dieser Trend allerdings weniger ins Gewicht, da im Revier ganz im Gegensatz zur Rheinschiene keine Wohnungsnot herrscht. In Düsseldorf wiederum löste die Gentrifizierung in Flingern-Nord laut FH-Professor Knopp "den Effekt aus, dass Studenten und junge Kreative, die eben nicht so viel Geld haben, sich seit einigen Jahren andere Stadttteile wie Oberbilk als Zuhause suchen". Und das führe dann mittlerweile dazu, dass Teile von Düsseldorf-Oberbilk allmählich ebenfalls anziehend wirken auf zahlungskräftigere Mieter und auf Wohnungsunternehmen, die das künftige 'In-Viertel' dann vermarkten wollten. "Das ist jetzt kein Forschungsergebnis, aber das was ich in Düsseldorf beobachte." Als nächster Schritt ist laut Knopp absehbar, dass gerade Studenten andere, bislang noch günstige Stadtteile wie Derendorf oder nach Umzug der Fachhochschule an die Münsterstraße auch Düsseldorf-Rath erschließen. Teile der jungen Kreativszene würden "mittlerweile eher die Nase rümpfen über die neureichen Hipster in Flingern-Nord".
Wohnungsnot plus Gentrifzierung
Gentrifizierung oder Nobilisierung sei im Grunde ein Prozess, der mit der 68er-Bewegung zu tun habe, sagt der Bochumer Wohnungsbauexperte Professor Volker Eichener. "Individualisierung hat dazu geführt, dass die Zahl der Single-Haushalt steigt. Alleinstehende leben gern in den Innenstädten, gehen gern abends raus, lieben trendige-charmante Viertel mit vielen Kneipen, Kultureinrichtungen, Cafés und Kinos." Da die Zahl der Single-Haushalte stetig ansteige, "dürfte auch die Bedeutung gentrifizierter Viertel in den Großstädten weiter zunehmen". Verschärft werde die Lage nun durch einen Wohnungsmangel in vielen Großstädten. "Allein in Düsseldorf fehlen etwa 3.000 Wohnungen. Zugleich hat der Mangel dazu geführt, dass die Mieten in den deutschen Großstädten seit 2008 um rund 19 Prozent angestiegen sind", sagt Eichener. Der Experte hat noch einen Tipp für Wohnungssuchende: "Wer die hohen Mieten in gentrifizierten Stadtteilen von Düsseldorf nicht zahlen will, dem kann ich nur Duisburg empfehlen. Dort stehen Wohnungen leer. Und mit der Bahn sind es nur 15 Minuten bis Düsseldorf."