Turm der Sankt-Johann-Baptist-Kirche wieder gerade
Das Ende der Schieflage
Stand: 26.10.2005, 17:01 Uhr
Köln hat keinen schiefen Turm mehr. Hydraulikpressen haben den 1.600 Tonnen schweren Turm der Sankt-Johann-Baptist-Kirche im Severinsviertel an einer Seite um 14 Zentimeter angehoben - und damit begradigt.
Vier unscheinbare blaue Metallzylinder haben in gut sieben Stunden fast Unglaubliches geschafft. Um 9.00 Uhr hatte ein Schweizer Spezialunternehmen die Hydraulikpressen in Betrieb gesetzt. Millimeter für Millimeter haben sie den Turm angehoben. Um 14:39 Uhr war das Werk beendet. Die Hydraulikpressen haben den etwa 1.600 Tonnen Turm der Sankt-Johann-Baptist-Kirche in Köln wieder gerade gerichtet. Für die Mitglieder der Gemeinde und für die vielen Schaulustigen war es ein spannender Tag.
Für die Ingenieure des Schweizer Unternehmens, dem die Hydraulikpressen gehören, ist dagegen die Aufrichtung des Kirchturms zwar ein ungewöhnlicher, aber im Vergleich zu den üblichen Aufträgen nur ein kleiner Job. Die Experten bewegen für gewöhnlich komplette Ölplattformen, heben Brücken oder Dächer auf Fußballstadien.
"Hoffentlich geht das alles gut"
Als sich abzeichnete, dass es auf der Baustelle endlich vorangeht, freute das vor allem die Gläubigen der Gemeinde von Sankt Johann Baptist und ihren Pfarrer Johannes Quirl: "Wir vermissen unsere Kirche. Ursprünglich hatte man uns gesagt, bis zum Weltjugendtag in diesem Sommer würde der Turm wieder gerade stehen und die Kirche repariert. Dass es länger dauern wird, hatten wir schon geahnt. Jetzt können wir wieder Hoffnung schöpfen". Die Küsterin der Kirche, Schwester Maritheresis, blickte am Morgen noch mit sorgenvoller Miene zum Kirchturm hinauf: "Ich habe in der Nacht keine Auge zubekommen. Immer wieder habe ich gedacht, hoffentlich geht das gut".
Alarmanlage weckte die Küsterin
In der Nacht zum 29. September 2004 wurde Schwester Maritheresis brüsk aus dem Schlaf gerissen. Die Alarmanlage der Kirche schrillte. Als die Nonne auf die Straße trat, war bereits eine Streife der Polizei eingetroffen. Schwester Maritheresis merkte rasch, dass nicht Einbrecher den Alarm ausgelöst hatte. "Am Fuß der Kirche standen Ziegelsteine so merkwürdig hoch. Da wusste ich, hier stimmt etwas nicht."
Drei Tage in Notunterkünften
Die Schwester sorgte dafür, dass wertvolle Gemälde und Skulpturen aus dem Gotteshaus gebracht wurden. Unterdessen evakuierten Polizei und Feuerwehr drei Wohnhäuser in der Nähe von Sankt Johann Baptist. 65 Anwohner mussten drei Tage in Notunterkünften ausharren. Um den Kirchturm zu stabilisieren, wurden in den folgenden Tagen 25 Kubikmeter Beton unter das Gebäude gepumpt.
Erdreich unter der Kirche hatte sich gelöst
Die Frage, warum der Turm so plötzlich in Schieflage geraten war, beschäftigte für Wochen Ingenieure der Kölner Verkehrsbetriebe, Gutachter und auch die Kölner Staatsanwaltschaft. Am Ende stellte sich heraus, der Turm war an der Westseite etwa 16 Zentimeter im sandigen Untergrund eingesackt, als eine Schildvortriebmaschine unter der Kirche einen Tunnel bohrte. Die Kölner Verkehrsbetriebe wollen in unmittelbarer Nähe von Sankt Johann Baptist eine neue U-Bahnstation bauen. Zur Vorbereitung wurde ein Versorgungstunnel gebohrt. Dabei hatte sich unvorhergesehener Weise Erdreich unter dem Turm gelöst. Die Kölner Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein, weil kein Schuldiger zu finden war.
Die Versicherung zahlt
Die Versicherung der Kölner Verkehrsbetriebe, das Unternehmen Lloyds aus London, zahlt jetzt die Aufrichtung des Turms, voraussichtlich etwa eine Million Euro. Wenn der Turm von Sankt Johann Baptist am Mittwochnachmittag wieder gerade stehen wird, ist das allerdings erst der Beginn für die Reparatur der Kirche. Wände müssen abgerissen und neu gemauert, das Dach repariert, der Boden erneuert werden. "Und dann hoffen wir, dass alles gut geht, wenn die Arbeiten für den U-Bahntunnel beginnen. Dann wird eine wirklich große Bohrmaschine in der Nähe unserer Kirche in das Erdreich treiben", sagt Pfarrer Quirl. Dabei gelingt es ihm kaum, die Sorgenfalten auf seinem Gesicht zu verbergen.