Fahndung 2.0

User helfen Polizei bei Ermittlungsarbeit

Stand: 20.09.2011, 06:00 Uhr

Seit sechs Monaten betreibt die Polizei Hannover eine Fanseite auf Facebook und postet dort Fahndungen - mit Bitte um Weiterverbreitung. Das Innenministerium NRW arbeitet an einem Konzept. Eine App gibt es bereits.

In sozialen Netzwerken verteilen sich Nachrichten und Aufrufe schnell. Außerdem ist die Mehrheit der Mitglieder bei Marktführer Facebook jung. Warum das für die Polizei interessant ist? Weil die Polizei nach Nachwuchs sucht. Außerdem passieren viele Verbrechen in einem "jungen Umfeld", wie Thorsten Schiewe von der Polizeidirektion Hannover erklärt. Warum also nicht auch dort, wo viele sich Junge austauschen, um Unterstützung werben? So startete die Polizei Hannover als deutschlandweit erste Polizeibehörde eine Facebook-Fanseite. "Wir wollten es vor allem nicht den Nicht-Fachleuten überlassen, Facebook dafür zu nutzen", sagt Thorsten Schiewe von der Polizeidirektion Hannover zu WDR.de und meint damit klassische Polizeiarbeit: Vermisstensuche und öffentliche Fahndung.

Im Februar hatte ein Vater aus Gummersbach seine vermisste Tochter über Facebook gesucht. User verteilten seinen Aufruf rasch weiter und lieferten schließlich auch den entscheidenden Hinweis. "Dieser Fall war der Ursprung für die Idee", so Schiewe. Noch im Februar startete die Polizei Hannover die Seite, zunächst geplant als sechsmonatiges Pilotprojekt. Seitdem postet die Pressestelle dort Vermisstenmeldungen mit Fotos, schildert ungelöste Kriminalfälle und sucht Zeugen auch mithilfe von Fahndungsfotos. Diese dürfen wie bei jeder richterlich genehmigten öffentlichen Fahndung gezeigt werden - müssen aber entfernt werden, wenn der oder die Gesuchte gefunden wurde. Außerdem nutzt die Polizei Hannover ihre virtuelle Pinnwand, um für den Polizeidienst zu werben. Wegen der vielen Junge bei Facebook, zu denen man ja sonst kaum noch Zugang habe, so Schiewe. Der Aufwand für den Betrieb der Seite sei verhältnismäßig gering. Man überprüfe die Useraktivitäten stündlich, viel zu löschen gebe es aber nicht.

Über 30.900 Polizei-Fans

Über 30.900 Fans hat die Polizei Hannover nach sechsmonatigem Betrieb ihrer Fanpage. Um die Ermittlungsarbeit zu unterstützen und nicht zu gefährden, wird unter den einzelnen Posts ein Hinweis regelmäßig wiederholt: "Es ist wichtig, keine Hinweise hier auf der öffentlichen Kommentarfunktion abzugeben. Bitte verzichtet auch auf Spekulationen und ähnliches." So soll das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen bewahrt werden, und weiter heißt es ermunternd: "Wir freuen uns darüber, wenn Ihr uns unterstützt und die Meldung fleißig 'teilt' - wie wir es von Euch kennen." Acht sehr unterschiedliche Fälle konnten dank der Mithilfe der Facebook-User seit Februar gelöst werden, bestätigt Schiewe.

Etwa, als Bilder von einer Überwachungskamera aus einer U-Bahnstation auf Facebook veröffentlicht werden. Darauf zu sehen: Zwei junge Mädchen, die auf ein drittes einschlagen. Noch innerhalb eines Tages melden sich Zeugen telefonisch bei der Polizei. Die Täterinnen werden gefasst. Auch bei einem Autodiebstahl und einem Vergewaltigungsfall erkennen Facebook-User die Personen in den geposteten Kamerabildern. Die Zukunft der Fahndung? Noch befinde man sich ausdrücklich in der Pilotphase, betont Schiewe.

Das Interesse von anderen Polizeibehörden ist groß. "Wir haben Anfragen von Polizeibehörden aus dem ganzen Land und sogar europaweit." Ende August haben Schiewe und seine Kollegen nun dem Innenministerium von Niedersachsen ihren Bericht überreicht. Dort werde nun geprüft, wie es weitergehe, sagt Schiewe. Auch die aktuelle Debatte um den Datenschutz bei Facebook-Fanpages, den Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) des Landes Schleswig-Holstein kritisiert hatte, könnte für den zukünftigen Betrieb der Seite eine Rolle spielen.

NRW-Innenministerium prüft noch

Das Düsseldorfer Innenministerium ist ebenfalls an einer Präsenz im Sozialen Netzwerk Facebook interessiert. Für NRW und seine 50 Polizeibehörden solle es eine landesweit einheitliche Strategie geben, sagte Innenministeriums-Sprecher Wolfgang Beuys WDR.de. "Die Erfahrungen der Kollegen in Hannover sind dabei hilfreich, trotzdem müssen wir überlegen, wie wir hier in NRW die Kanäle bedienen wollen und welcher personelle Aufwand dafür notwendig ist." Und die Überlegungen seien derzeit "intensiv", sagt Beuys. Auch im Innenministerium weiß man: User sind anspruchsvoll. "Wenn man das erst einmal gestartet hat, erwartet der Nutzer ja auch eine schnelle Rückmeldung." In Düsseldorf erhofft man sich von der Präsenz im sozialen Netzwerk ebenso wie in Hannover einen besseren Zugang zu der "jungen Zielgruppe" - zur Personalwerbung ebenso wie bei der Ermittlungsarbeit nach Verbrechen oder bei der Suche nach Vermissten.

Polizei auf dem Smartphone

Startbild der Polizei-NRW-App | Bildquelle: WDR/Moog

Fan der Polizei NRW können Facebook-Mitglieder zwar noch nicht werden, eine App aus dem Düsseldorfer Innenministerium gibt es aber schon. Als bundesweit erste hat die Polizei NRW bereits im März 2011 auf der Computermesse Cebit ihre Smartphone-Anwendung vorgestellt. Damit können User aktuelle Polizeimeldungen abrufen und dafür Push-Nachrichten (Direktnachrichten aufs Smartphone-Display) oder Nachrichten-Kategorien aktivieren - auf Wunsch begrenzt auf die Meldungen aus einer bestimmten Stadt oder Region innerhalb von NRW. Sinnvoll, denn "pro Tag werden zwischen 300 und 500 Meldungen aus dem ganzen Land verschickt", so Ministeriums-Sprecher Beuys.

Wer die GPS-Ortung aktiviert hat, kann über den "Polizei-Finder NRW" der App die nächste besetzte Polizeiwache in seiner Nähe ausfindig machen. Über eine integrierte Schnellwahl kann ein Notruf gestartet werden. "Es ist aber ganz bewusst nicht möglich, über die App eine Anzeige oder Meldung abzusetzen. Eine solche Technologie ist zu störanfällig. Jemand könnte glauben, er hätte eine Meldung abgesetzt und sie ist gar nicht eingegangen", sagt Beuys. 100.000 mal ist die App seiner Information nach bereits heruntergeladen worden. Nach der iPhone-Variante sollen ab November auch Versionen für Android- bzw. Windows-gestützte Smartphones verfügbar sein.

Und der Datenschutz?

Vor der Aktivierung der App muss der User allerdings den Datenschutzbestimmungen zustimmen, die während der Software-Entwicklung mit dem Landesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt wurden. Aber auch die iPhone-Produktionsfirma Apple ist an der Datenverwaltung beteiligt. So wird bei der erstmaligen Nutzung der "Polizei NRW App" von Apple ein so genannter "Token", eine Art elektronischer Schlüssel, erstellt. Der Token ermöglicht die Zuordnung zwischen App und dem jeweiligen Nutzerkonto für den Apple App Store. Übermittelt der Nutzer für eine Suchanfrage also etwa seinen Ort oder eine bestimmte Region, so kann diese Information über den Token hinterlegt werden. Mithilfe des Tokens werden eventuell abonnierte Benachrichtigungen so für den jeweiligen Nutzer personalisiert. Zugriff auf die Token-Information haben das NRW-Innenministerium, Apple und der Nutzer selbst. Wem das nicht geheuer ist, der sollte die App besser nicht nutzen.