Hände eines Angeklagten

Rechtspsychologe über die Angeklagten

"Sie wollen sich in Szene setzen"

Stand: 12.08.2009, 02:00 Uhr

Erst haben die vier Angeklagten der "Sauerland-Gruppe" am Oberlandesgericht Düsseldorf hartnäckig geschwiegen, jetzt füllen ihre Aussagen mehr als 1.200 Seiten. Der Drang zum umfassenden Geständnis sei nicht ungewöhnlich, sagt Rechtspsychologe Steffen Dauer.

Die Mitglieder der sogenannten "Sauerland-Gruppe" stehen seit dem 22. April 2009 vor Gericht. Sie sollen in einem Ferienhaus im Sauerland Sprengstoffanschläge vorbereitet haben, flogen jedoch auf und wurden angeklagt. Zunächst schwiegen die vier Angeklagten vor Gericht, im Juni kündigten sie dann plötzlich Geständnisse an. Steffen Dauer ist Rechtspsychologe in Halle. Er erklärt, welche Beweggründe die Angeklagten für ihr Verhalten haben könnten.

WDR.de: Als Begründung für seine Aussagebereitschaft hat einer der Angeklagten gesagt: "Ich möchte nur, dass das hier vorbeigeht, es ist langweilig." Kann das tatsächlich ein Grund sein, ein umfassendes Geständnis abzulegen?

Steffen Dauer: Mit Langeweile hat das nichts zu tun. Das ist vielmehr eine bekannte Dynamik bei Verfahren mit mehreren Angeklagten. Eine sehr verbreitete Verteidigungsstrategie besteht darin, gar nichts zu sagen und sich die Handlungen nachweisen zu lassen. Je länger aber ein Verfahren dauert und je intensiver die Befragung wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass Aussagen formuliert werden. Das hängt immer von der Intelligenz und Persönlichkeit der Angeklagten ab.

WDR.de: Und was sagt das Verhalten der Angeklagten jetzt über ihre Intelligenz und Persönlichkeit aus?

Dauer: Ich habe die Angeklagten ja nicht untersucht. Aber wir kennen Verfahren mit hochintelligenten und psychisch sehr stabilen Persönlichkeiten - da kommt dann lange oder auch wahrscheinlich gar kein Geständnis. Aber bei Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihren Tag zu strukturieren, die keine sonstigen Beschäftigungsmöglichkeiten haben, die sich nur für wenige Dinge interessieren, entsteht letztendlich das Bedürfnis, sich zu äußern.

WDR.de: Die Aussagen des mutmaßlichen Anführers Fritz G. sind sehr detailliert, wenn er zum Beispiel von seiner Ausbildung in Pakistan erzählt. Nutzt er damit auch die Gelegenheit, sich mit seiner Tat zu profilieren?

Dauer: Das ist absolut richtig. Es gibt einige Persönlichkeiten, die sich nach einer langen Zeit des Schweigens derart umfangreich mitteilen, um Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten. Irgendwann kommt bei der Vernehmung dann der Punkt, an dem diejenigen, die mit bestimmtem Wissen angefüllt sind, das dann nicht mehr halten können - wenn sie nicht massive politische Gründe haben, und wenn sie sich nicht intellektuell miteinander austauschen können. Nur als Vergleich: Die Angeklagten in den RAF-Prozessen haben ihre Strategie, den Staat in Frage zu stellen, durchgehalten. Die hatten aber auch bis zu 200 Bücher in ihren Hafträumen und eine intellektuelle Ebene, auf der sie miteinander kommuniziert haben. Das scheint bei den Angeklagten der "Sauerland-Gruppe" nicht der Fall zu sein. Durch die Ausbildung in den Camps haben die zum ersten Mal etwas erlebt - da hat der Tag einen Sinn bekommen.

WDR.de: Die Anschläge der Gruppe sollten im Auftrag der Islamischen Dschihad Union erfolgen. Inwiefern wirkt sich die religiöse Motivation der Angeklagten auf so einen Prozess aus?

Dauer: In der Befragung durch die Vernehmer macht das keinen Unterschied. Man versichert den Angeklagten bestimmt, dass man religiöse Gefühle berücksichtigen wird. Aber das ist alles Taktik. Im Grunde genommen muss man die schwächste Stelle der Angeklagten erkennen und dazu immer wieder Fragen stellen. Oder man lässt ihnen einfach Zeit, bis einer von sich aus spricht. Wenn die beteiligten Angeklagten von der Persönlichkeit gleich sind, dann reden zum Schluss alle, weil sich jeder in Szene setzen will.

WDR.de: Die Angeklagten durften ja miteinander über den Entschluss zum Geständnis sprechen. Also ist die Gruppendynamik auch wichtig?

Dauer: Natürlich. Die Vernehmer haben das insofern vorbereitet, als sie diese Unterredung erlaubt haben. Man war sich wahrscheinlich schon sicher, dass die Angeklagten die Aussagen nicht mehr zurückhalten konnten.

WDR.de: Kann man von der Bereitschaft zum Geständnis auch auf die Einstellung zur Tat schließen?

Dauer: Nein, die Motivlage ist häufig komplizierter als das, was die Angeklagten so daherreden. Man muss zwischen der oberflächlichen Mitteilung von Handlungsabläufen und den zugrundeliegenden Motiven unterscheiden. Das Motiv kann mit religiösen Wahnvorstellungen einhergehen. Das kann auch etwas ganz Einfaches sein: Der Wunsch, sich einfach mal interessant zu machen, anerkannt zu werden, nicht mehr das langweilige Leben wie bisher zu führen.

WDR.de: Mit Reue haben die Geständnisse nichts zu tun?

Dauer: Es wäre zu verfrüht, von Reue zu sprechen. Das Gericht wird das Geständnis berücksichtigen. Aber an eine Reue im psychologischen Sinne glaube ich nicht.

WDR.de: Der Vorsitzende Richter hat die Aussagebereitschaft als beachtlich bezeichnet. Ist das Umschwenken vom Schweigen zum umfassenden Geständnis ein Einzelfall?

Dauer: Nein, der Richter hat sich pädagogisch verhalten. Die Angeklagten haben durch ihre Aussage tatsächlich wesentliche Informationen geliefert - nicht nur für dieses Verfahren. Damit haben sie viele Mühen erspart. So etwas erwähnt man lobend, damit die Angeklagten in ihrer Persönlichkeit weiter gestärkt und gestützt werden. Die werden auch nach der Verurteilung noch weitere Gespräche mit den Ermittlungsbehörden führen. Das ist eine Quelle, die man sich weiter erschließen will.

Das Interview führte Manuela Braun.