Verblasstes Envio-Emblem auf dem ehemaligen Verwaltungsgebäude in Dortmund, im Vordergrund Äste

Envio-Skandal - Prozess eröffnet

Wer ist schuld an der PCB-Vergiftung?

Stand: 09.05.2012, 17:52 Uhr

In Dortmund hat am Mittwoch (09.05.2012) der Prozess zum PCB-Skandal bei Envio begonnen. Die vier Angeklagten schwiegen vor Gericht. Aussagen des Anwalts des Ex-Geschäftsführers lösten jedoch bei den betroffenen Mitarbeitern Wut und Entsetzen aus.

Nach der am Mittwoch (09.05.2012) verlesenen Anklage herrschten bei Envio unzumutbare Zustände für die Mitarbeiter. Das Motiv war laut Anklage Gewinnsucht. In einem Eröffnungsstatement kritisierte einer der Verteidiger die Berichterstattung zum PCB-Skandal in den Medien. Das berichtete Martin Brandt, Pressesprecher des Landgerichts, nachdem der erste Prozesstag gegen 12.15 Uhr zuende gegangen war.

Wer ist schuld an erhöhten Blutwerten?

Ralf Neuhaus, Anwalt des Ex-Geschäftsführers, sagte, sein Mandant würde sich ja entschuldigen, wenn es etwas zu entschuldigen gäbe. Die auffälligen Blutwerte der Mitarbeiter seien nicht auf Fehler im Betriebsablauf bei Envio zurückzuführen, so Neuhaus. "Sie lassen sich vielmehr plausibel mit ungesunden Lebensstilfaktoren dieser Mitarbeiter erklären." Zudem sei nicht erwiesen, dass PCB im Blut wirklich so krank mache, wie von der Staatsanwaltschaft behauptet. Diese Aussagen lösten bei mehreren Betroffenen, die im Gerichtssaal waren, Wut und Entsetzen aus.

Umweltdelikte und Körperverletzung

Laut Staatsanwaltschaft soll das Unternehmen Envio Transformatoren und Kondensatoren, die mit dem Umweltgift PCB belastet waren, unsachgemäß entsorgt haben. Den vier Angeklagten werden unterschiedliche Vorwürfe gemacht: Wegen schwerer Umweltdelikte und Körperverletzung in 51 Fällen sind der Ex-Geschäftsführer und ein früherer Betriebsleiter angeklagt. Beihilfe zu den Umweltstraftaten wird einem ehemaligen Werkstattleiter und einem externen Immissionsschutzbeauftragten vorgeworfen. Alle vier Angeklagten schwiegen am ersten Prozesstag zu diesen Vorwürfen. Es war der Auftakt zu einem Mammutprozess. 183 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft bisher benannt. Selbst wenn nicht alle gehört werden sollten, dürften die bisher vorsorglich bis August angesetzten 15 Verhandlungstage kaum ausreichen.

"Gerechte Strafe" erwartet

Envio-Skandal vor Gericht

Prozessauftakt in Dortmund

Bis Mittwoch waren nach Angaben des Landgerichts Dortmund 15 ehemalige Envio-Beschäftigte als Nebenkläger aufgetreten. Christian Althoff ist einer von ihnen. "Ich erwarte eine gerechte Strafe für die Verantwortlichen", sagte er WDR.de. Althoff wird im Prozess vom Kölner Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock vertreten. "Es geht nicht nur um die Schuldfrage, sondern auch darum, dass die Arbeiter in der Hauptverhandlung eine Stimme erhalten", so der Jurist. "Das Gericht kann zudem bei einer Verurteilung auch Schmerzensgeldzahlungen festlegen." Den Betroffenen bliebe damit ein riskanter und teurer Zivilprozess erspart.

Die Firma Envio selbst hatte die Vorwürfe bereits kurz nach der Stillegung des Dortmunder Entsorgungsbetriebs im Mai 2010 in einer schriftlichen Stellungnahme scharf zurückgewiesen. Vermutlich seien "vereinzelte Fehler im Betriebsablauf" der Grund für die erhöhte Schadstoffbelastung.

Krankheiten durch PCB schwer beweisbar

Die ehemaligen Envio-Arbeiter haben bis zu mehrtausendfach erhöhte PCB-Werte im Blut. Laut Anklage mussten sie mit unzureichender Schutzkleidung arbeiten. Verseuchter Staub soll in den Envio-Werkshallen durch die Luft gewabert sein, ohne dass eine Absauganlage lief. Stattdessen wurde nach Aussagen früherer Envio-Arbeiter mit offenen Hallentoren gearbeitet, so dass der giftige Staub in die Umwelt gelangen konnte. Zu den Betriebsabläufen bei Envio und den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sollen vor Gericht zehn Sachverständige gehört werden.

PCB gilt als krebserregend, es kann zudem Schäden an Nerven- und Immunsystem hervorrufen. Und tatsächlich sind auch mindestens 46 Betroffene krank. Das stellten Ärzte der Uniklinik Aachen fest, die rund 300 PCB-belastete Menschen aus dem Envio-Umfeld betreuen. Die Berufsgenossenschaften haben aber bisher noch bei keinem der Ex-Envio-Arbeiter eine Berufskrankheit anerkannt. Der Zusammenhang zwischen einer PCB-Belastung und einer konkreten Erkrankung sei schwer beweisbar, meint auch die Staatsanwaltschaft. Eine Körperverletzung liege aber schon allein darin, dass die vergifteten Arbeiter ein deutlich erhöhtes Risiko hätten, irgendwann einmal krank zu werden.

Betriebsgelände immer noch nicht saniert

Die Envio-Recyclingsparte ist insolvent, die Muttergesellschaft hat den Firmensitz nach Hamburg verlegt. Das verseuchte Betriebsgelände am Dortmunder Hafen ist immer noch nicht saniert: Zwei Hallen müssen komplett abgerissen werden, Asphalt auf dem Außengelände soll abgefräst werden. 2.000 Tonnen belasteter Metallschrott warten auf die Entsorgung. Das alles wird mehrere Millionen Euro verschlingen. Die zuständige Bezirksregierung Arnsberg befürchtet, dass der Steuerzahler am Ende auf den Kosten sitzen bleibt.