Finale Kulturhauptstadt Ruhr.2010

Netzwerke als Fördermaßnahme?

Kreativwirtschaftswunder erhofft

Stand: 16.06.2010, 06:00 Uhr

Kultur braucht Struktur, meinen die Macher der Ruhr 2010 und setzen auf Netzwerke. Viele Kreative aus dem Revier fühlen sich aber selbst im Kulturhauptstadtjahr benachteiligt. Wie also steht es um die Chancen der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet?

Von Barbara Underberg

"Nicht einen müden Euro haben wir dafür bekommen", sagt Elisabeth Stark-Reding. Sie ist eine von mehr als 200 Künstlern und Künstlerinnen aus dem Ruhrgebiet, die beim Kulturhauptstadt-Projekt "Starke Orte" mitmachen. Ein Dutzend Ausstellungen, verteilt über die ganze Region, zeigen die Werke der Künstler. Die Ruhr 2010 beschreibt das Projekt auf ihrer Internetseite als "Plattform für die Zukunft der Kunst im Ruhrgebiet". Mit der Zukunft befasst sich auch die "International Creative Industries Conference", die ab Mittwoch (16.06.2010) in Dortmund tagt.

Während andere reden, hat Elisabeth Stark-Reding aus Schwerte ganz andere Sorgen. Sie stammt aus einer Künstlerfamilie und malt und zeichnet seit 33 Jahren. "In den letzten Jahren ist es immer schwieriger geworden, davon zu leben", erzählt sie. So wie ihr ergehe es vielen: "Man ist nicht nur Künstler, sondern auch Überlebenskünstler." Stark-Reding wünscht sich ein Ausstellungshonorar, immerhin würden ja auch Schriftsteller für Lesungen bezahlt.

Neue Netzwerke entstehen

Auf einem Werbeplakat der Ruhr 2010 heißt es vielversprechend: "Wir fördern Kultur, von der man leben kann." Geschäftsführer Oliver Scheytt erklärt das so: "Es geht nicht darum, einzelne zu fördern, sondern wir gehen strukturpolitisch vor." Dazu sollen Strukturen überhaupt erst einmal geschaffen werden. Das "European Centre for Creative Economy", kurz "ecce", etwa ist ein Büro, das nach dem Jahr der Kulturhauptstadt die kreativwirtschaftlichen Projekte weiterführt.

Ein anderes Beispiel ist die Internetplattform "2010 Lab", auf der Videos, Blogs und Podcasts abgerufen werden können, die sich direkt mit Kulturhauptstadprojekten, aber auch mit Subkultur am Rande des 2010-Rummels befassen. Es entstehen derzeit weiter in mehreren Städten Kreativquartiere, in denen Künstler und Kreative Raum für ihre Arbeit finden sollen. Damit Netzwerke zwischen den Kreativen im Ruhrgebiet wachsen, wurden Kommissionen für Musik, Design, Computerspiele und die Kommunikationsbranche ins Leben gerufen. So will die Plattform "Kreative Klasse Ruhr" Akteure im Internet und bei Veranstaltungen zusammenführen. All das soll über das Jahr 2010 hinaus Bestand haben.

Ruhr 2010-Agentur sitzt in Hamburg

Silke Löhmann und René Wynands vom Designbüro Oktober in Bochum loben diese neuen Netzwerke ausdrücklich. "Durch die Kulturhauptstadt haben sich die Kreativen im Ruhrgebiet überhaupt erst gegenseitig kennengelernt. Vorher wusste man gar nicht, welches Potenzial hier ist", meint Wynands. Kopfschüttelnd haben die beiden registriert, dass Broschüren, Plakate und auch der Internetauftritt der Ruhr 2010 nicht im Ruhrgebiet, sondern in Hamburg gestaltet werden - für rund eine Million Euro insgesamt.

Ruhr 2010-Geschäftsführer Scheytt betont, dass die Ausschreibung europaweit gelaufen sei und die Agenturen im Ruhrgebiet zu klein seien, um einen solchen Auftrag stemmen zu können. Silke Löhmann meint, mit politischem Willen hätte man das auch anders lösen können: "Mit so einem Vorgehen verhindert man natürlich das Wachstum hier. Wenn man immer sagt, die Agenturen hier sind zu klein für einen solchen Auftrag, können sie nie so groß werden wie in Hamburg oder Berlin." Dreißig Agenturen hatten sich an der Ausschreibung der Ruhr 2010 beteiligt, sechs davon kamen aus dem Ruhrgebiet. Die personelle Ausstattung gehörte zu den Auswahlkriterien im Vergabeverfahren.

Oft fehlt der Mut

Löhmann und Wynands haben zurzeit zwölf Mitarbeiter. "Durch das gestiegene Renommee wären neue Kunden angelockt worden", meint Wynands. Dann hätte das Designbüro Oktober eventuell neu eingestellte Projekt-Mitarbeiter vielleicht auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus beschäftigen können. Aber es ist bei der Spekulation geblieben. "Oft fehlt wohl noch der Mut, auf Designer aus der Region zu setzen", meint Silke Löhmann. Selbst große Ruhrgebietsunternehmen wie Evonik, Gelsenwasser, RWE oder Emschergenossen-schaft/Lippeverband lassen ihre Broschüren und Internetauftritte eher in Hamburg, Berlin oder Düsseldorf gestalten als vor ihrer Haustür.

Aus Industrie wird Kreativwirtschaft

Mögliche Auftragnehmer gäbe es dort genug. Oliver Scheytt rechnet mit 23.000 Unternehmen und ungefähr 50.000 Beschäftigte in der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet. Dazu zählen neben Kunst, Literatur, Musik und Design auch die Sparten Werbung und Softwareentwicklung. Klaus Kock von der Sozialforschungsstelle in Dortmund ist dennoch skeptisch: "Vieles davon ist statistisch konstruiert. Zur Kreativwirtschaft gehört auch die Herstellung von Radios und Kameras, auch Druckereien werden dazugerechnet. In der Vergangenheit gehörte das alles zur Industrie."

Die große Zahl der Unternehmen führt der Wissenschaftler auch auf Outsourcing zurück. "Viele Unternehmen haben beispielsweise ihre Werbeabteilungen ausgelagert. Dadurch verändert sich zwar die Statistik, aber mit echtem Wachstum hat das nichts zu tun", erklärt Kock. Der Forscher kritisiert darüber hinaus, dass die prekäre Einkommenssituation vieler Kreativer bei den Diskussionen über Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet keine Rolle spiele. Auch bei der "International Creative Industries Conference" steht dies nicht auf der Tagesordnung.