Steinkohlentag in Essen
Tradition wird beerdigt
Stand: 06.11.2007, 15:51 Uhr
Der Gesamtverband der Steinkohleförderer begeht in Essen den Steinkohlentag 2007. Es könnte der letzte gewesen sein. Denn im Frühjahr 2007 haben sich Bundesregierung, Kohleländer und Wirtschaft auf den Ausstieg aus der Steinkohle geeinigt.
Von Christoph Schurian
"In der Form war das sicherlich der letzte seiner Art", glaubt Uwe Enstipp und seine beiden Kollegen vom Landesverband der Berg- und Knappenvereine nicken. Zur Feier des Tages haben sie zwar ihre Bergmannskittel angezogen, doch auch von den drei Knappen arbeitet keiner mehr vor Kohle. "Wir sind im Vorruhestand oder in anderen Branchen beschäftigt", sagt Enstipp. Ob die heimische Steinkohle eine Zukunft hat? "2012 soll der Bundestag ja noch einmal darüber beraten", sagt Enstipp. Heute wisse doch niemand, wie sich die Preise auf dem Energiemarkt entwickeln. Anders gesagt: Wenn die Preise für die Steinkohle weiter steigen, könnte sich der Bergbau in Deutschland wieder lohnen. Und dann würden nicht alle Zechen schließen.
Ein historisches Jahr
Die Bundestagsberatungen im Jahr 2012, gemäß der so genannten Revisionsklausel, sind ein Hoffnungsträger im edlen Essener Saalbau. Knapp 1.000 Gäste sind zum Steinkohlentag 2007 gekommen. Alle zwei Jahre lädt der Gesamtverband der Steinkohle zur feierlichen Zusammenkunft der traditionsreichen Branche. Doch diesmal ist alles anders: Die Redner - vom scheidenden Verbandsvorsitzenden und neuen Evonik-Chef Werner Müller über den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller bis zur Bundeskanzlerin Angela Merkel - sprechen von einer Zäsur. Und tatsächlich markiert die Zusammenkunft das Ende eines historischen Jahres für den heimischen Energieträger.
Ein Kapitel Industriegeschichte
Wie ein Nachrichtensprecher hatte Ulrich Weber vom Vorstand der Deutschen Montan Technologie zuvor die Ereignisse aufgezählt.
Datum | Ereignis |
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"7. Februar 2007" | "Bund und kohlefördernde Länder, Gewerkschaft IGBCE sowie das Unternehmen RAG verständigen sich auf Eckpunkte, um die subventionierte Förderung der heimischen Steinkohle Ende 2018 zu beenden." |
"10. Juni" | Die RAG-Stiftung sei anerkannt worden. |
"18. August" | "Das Steinkohlefinanzierungsgesetz wurde vorgelegt." |
"12. September" | Die Chemie, Immobilen und Kraftwerkssparte der RAG heißt nun Evonik Industries. |
"21. September" | Erste Gesetzeslesung |
"30. November" | Der Bundesrat wolle dann "final" über das neu Steinkohlengesetz beraten. |
"Ein Kapitel deutsche Industriegeschichte", sagt Weber. Das es zu Ende geht, sagt er nicht.
Angst, Wut, Ohnmacht
Saarlands Ministerpräsident Peter Müller wird deutlicher. Zum Ausstieg aus der Kohleförderung gebe es keinen Alternative, sagt er. "Wir müssen für alle Beteiligten die notwendige Klarheit schaffen". Peter Müller drückt aufs Tempo. In seinem Bundesland habe es im laufenden Jahr mehr als 20 Fälle von zum Teil schweren Erderschütterungen gegeben. "Die Sensibilität an der Saar nimmt zu". Es herrsche "Angst, Ohnmacht und Wut", weil der Bergbau die Erdbewegungen nicht in den Griff bekomme. Dass sich die Bundestagsparteien 2012 auf einen Restbergbau verständigen, sieht er nicht.
Zweigleisig in die Zukunft
Namensvetter Werner Müller ist optimistischer. "Optionen für die Zukunft" hat der Gesamtverband zum Motto des Festtages gemacht. Und der einstige Bundeswirtschaftsminister setzt auf zwei Optionen. Die Verantwortlichen hätten nun die Aufgabe, die endgültige Stilllegung der Steinkohleförderung zu planen. Aber gleichsam rechne er damit, dass die Bundestagsabgeordneten 2012 "eine interessante Entscheidungsgrundlage" vorgelegt bekommen werden, so Müller: Wenn eine Tonne Kraftwerkskohle derzeit bei 120 US-Dollar gehandelt wird, könnte sich auch in Deutschland Kohleförderung wieder rentieren. Mit herzlichen Worten begrüßte das SPD-Mitglied dann Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Kohle-Einigung sei "ein Stück gelungene Reformpolitik". Vor allem deshalb: Ob mit oder ohne einen Restbergbau, "die Kohle wird sozialverträglich in die Zukunft geführt". Gewohnt schnoddrig fiel Müllers Lob an die Kanzlerin aus: "Der Erfolg hat ja viele Väter, aber nur eine Mutter", sagte er und fügte hinzu, das habe er sich vor der Rede aufnotiert, finde diesen Satz jetzt aber ein wenig "unsauber".
Kohlekraft nicht verteufeln
Die so Begrüßte wollte sich an den Spekulationen über das Ergebnis der Bundestags-Nachberatungen in fünf Jahren nicht beteiligen. Für das Ruhrgebiet sehe sie auch ohne Steinkohle eine gute Zukunft. Die Unternehmen der Region hätten längst begriffen, was ihr Pluspunkt ist: nämlich die zentrale Lage im Herzen Europas. Dass es für die Kohle als Energieträger auch ohne Bergwerke in Deutschland eine Zukunft gibt, stehe für sie fest. "Es geht nur mit einem Energiemix", sagte Merkel. Sie verstehe nicht, wie neue Kohlekraftwerke jetzt verteufelt würden. "Zuhause die Geräte auf Stand-by laufen lassen und im Stadtrat gegen Kohlekraftwerke stimmen, ist nicht der richtige Weg", rief die Kanzlerin und bekam donnernden Applaus. Einen Seitenhieb gab es aber auch für Werner Müller, den ehemaligen Wirtschaftsminister der rot-grünen Bundesregierung. Mit den rot-grünen Ausstiegsbeschlüssen aus der Kernenergie hätte ihre Regierung einige Schwierigkeiten: "Es würde uns leichter fallen, unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele ohne einen Ausstieg aus der Kernenergie zu erreichen".
Was ist sozialverträglich?
Arbeitswissenschaftler Gerhard Bosch von Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen war angetan von der Veranstaltung. Selten präzise seien die Reden gewesen, freute er sich. Am Nachmittag nimmt er selbst an einer Podiumsrunde teil. Als Wissenschaftler sehe er Schwierigkeiten für die Personalplanung im Bergbau. Nur noch zehn Prozent der Beschäftigten seien jünger als 30 Jahre alt. Jetzt zweigleisig zu planen - also mit und ohne Restbergbau - sei da kaum möglich. Vermutlich müssten sogar neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Auch frage er sich, ob der Ausstieg aus der Steinkohle tatsächlich so sozialverträglich sei: "Nur für die Menschen, die im Bergbau arbeiten". Denn wenn es unter Tage keine Arbeit mehr gebe, fehlten die Jobs für junge Menschen - "gerade für junge ausländische Männer". Unter denen liege die Arbeitslosenquote im Revier bei mehr als 30 Prozent.