Bundeskanzlerin legt Grundstein in Hamm
Merkel fordert weitere Kohlekraftwerke
Stand: 29.08.2008, 18:51 Uhr
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Freitag (29.08.2008) bei der Grundsteinlegung für das neue RWE-Kohlekraftwerk in Hamm den Bau weitere Kraftwerke gefordert. Der Industriestandort Deutschland benötige "neue, leistungsfähige Kraftwerke", erklärte Merkel.
Von Nina Magoley
Wer Kraftwerksneubauten verhindere, nehme "schwere Risiken" für Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Zukunft Deutschlands in Kauf. Ein "Nein" zu neuen und modernen Kraftwerken sei zudem auch umwelt- und klimapolitisch "kontraproduktiv", erklärte Merkel am Freitag (29.08.2008) bei der Grundsteinlegung für das neue RWE-Steinkohlekraftwerk in Hamm. Die Bundeskanzlerin sprach sich darüber hinaus für die Beibehaltung des Energiemixes aus Kohle, Kernkraft und erneuerbaren Energien aus.
Neues Kraftwerk in Hürth
RWE kündigte am Rande der Grundsteinlegung an, in Hürth bei Köln ein 450-Megawatt-Braunkohlekraftwerk zu bauen. Dort soll mit einem bestimmten Verfahren 90 Prozent des entstehenden Kohlendioxides abgetrennt werden. Das Gas soll dann über eine Pipeline nach Schleswig-Holstein transportiert werden. Dort sucht eine RWE-Tochter zur Zeit nach geeigneten unterirdischen Lagerstätten. Zwei Milliarden Euro will das Unternehmen in Kraftwerk, Pipeline und Speicher investieren.
Alte Anlagen sollen stillgelegt werden
Das Steinkohlekraftwerk soll derzeit eines der größten Investitionsprojekte in Deutschland sein - so gibt es die Düsseldorfer Staatskanzlei an. Zwei Milliarden Euro kostet das neue Kraftwerk, und Betreiber RWE nennt die geplante Anlage "die modernste dieser Art weltweit". So verbrauche das Kraftwerk durch höhere Effizienz 20 Prozent weniger Steinkohle im Vergleich zu älteren Anlagen. Durch hochwirksame Filter- und Reinigungsanlagen würden zudem die gesetzlich zulässigen Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxid und Staub "sicher eingehalten oder sogar deutlich unterschritten". Für die zwei neuen Blöcke sollen mehrere alte Anlagen stillgelegt werden, sagt RWE-Sprecher Lothar Lambertz, "noch vor Inbetriebnahme der neuen Blöcke".
Fundamente liegen schon
Eigentlich hat der Bau der neuen Kraftwerksblöcke schon längst begonnen. Im März 2008 erhielt RWE die Baugenehmigung, und schon bald rollten die Bagger. Zwei 85 und 110 Meter hohe Treppentürme stehen bereits, auch die Fundamente sind gelegt. Anfang 2011 soll der erste Block ans Netz gehen, 2012 dann auch der zweite. Beide zusammen sollen eine Leistung von 1.600 Megawatt erbringen.
23 Kommunen sind am Kraftwerk beteiligt
Anfang 2008 erteilte die Bezirksregierung Münster die Genehmigung dafür, dass sich 23 Kommunen aus vier Bundesländern an dem Kraftwerk beteiligen dürfen. So sind nun unter anderem Willich, Coesfeld, Bochum, Dortmund, Attendorn, Hamm und Leverkusen über ihre Stadtwerke mit zusammen 23 Prozent an Bau und Betrieb des Kraftwerks in Hamm-Uentrop beteiligt. Die Kommunen versprechen sich durch den Zusammenschluss günstigere Stromtarife. Nach Angaben der Bezirksregierung handelt es sich um das erste Kraftwerk der RWE Power AG mit kommunaler Beteiligung.
Kritik von BUND und Bündnis90/Die Grünen
Scharfe Kritik an der Kraftwerkserweiterung übt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW. Sprecher Dirk Jansen wirft RWE "Schönfärberei" in Sachen Klimaschutz vor: Zwar würden die neuen Blöcke von der Technik her weniger CO2 ausstoßen, dafür verheize die neue Anlage aber wesentlich mehr Steinkohle. "Insgeamt wird das neue Werk sechs Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich in die Luft blasen", hat Jansen ausgerechnet, "und das für die nächsten 50 Jahre". Außerdem sei bei der neuen Anlage keine Kraftwärmekoppelung vorgesehen. Erhebliche Mengen Wärme würden so ungenutzt durch die Schornsteine entweichen. "Das ist völlig anachronistisch", ärgert sich Jansen, "eine ineffiziente, klimakillende Dreckschleuder".
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, kritisierte in einer in Berlin verbreiteten Stellungnahme, dass sich Merkel entscheiden müsse, "ob sie Klima- oder Kohlekanzlerin sein will. Beides zusammen geht nicht."
"Dortmund hat Energiewende verpasst"
Außerdem kritisiert der BUND die hohe Beteiligung der Kommunen an dem Projekt. So hätten sich zum Beispiel die Dortmunder Stadtwerke DEW21 einen hohen Anteil an dem Kohlekraftwerk gesichert, um von günstigeren Strompreisen zu profitieren, damit aber "die Chance zur Energiewende verpasst", meint Jansen. Er prophezeit zudem, "dass diese Rechnung nicht aufgehen wird": Wenn die Energiekonzerne ab 2013 keine kostenlosen Emissionszertifikate mehr bekommen, könnten die Preise für Kohlestrom enorm steigen. "Dann ist schnell der Punkt erreicht, an dem die erneuerbaren Energien billiger sind als Strom aus Steinkohle."