"Viele Kollegen sind geschockt"
Entsetzen und Trauer in Neusser Jobcenter
Stand: 27.09.2012, 16:16 Uhr
Weil er sich über die mögliche Weitergabe seiner Meldedaten ärgert, tötet ein Arbeitsloser seine Sachbearbeiterin. Am Tag nach der Tat im Jobcenter Neuss herrschen bei Kollegen und Erwerbslosen Fassungslosigkeit und Trauer.
Von Martin Teigeler
Am Tag nach der Tat pilgern Arbeitslose wie immer ins Neusser Jobcenter. So auch Klaus Krämer. Es regnet, als er sein Fahrrad vor der Hauptzentrale der Arbeitsverwaltung abstellt. "Es ist so traurig, so eine junge Frau", sagt der Mittfünfziger. In der Behörde wird an diesem Donnerstag (27.09.2012) kaum gearbeitet. Die meisten Arbeitslosen mit Beratungsterminen ziehen unverrichteter Dinge wieder ab. Eine Beschäftigte betritt schweigend das Gebäude. Sie hat Tränen in den Augen.
Psychologische Betreuung für Mitarbeiter
"Viele Kollegen sind geschockt", sagt Dieter Braukmann, der Hausmeister des Jobcenters. Mit Erwerbslosen und Kollegen steht der stämmige grauhaarige Mann vor dem Eingang der Agentur für Arbeit. Raucherpause. Drinnen werden Beschäftigte psychologisch betreut. Gruppengespräche finden statt. "Es ist eine interne Aufarbeitung", sagt ein Behördensprecher. Auf den leeren Fluren hängt ein Plakat "Null Toleranz gegen Gewalt", ein bitter-makabres Zeichen an der Wand. Draußen vor der Tür läuft die Aufarbeitung der Zigarettenraucher. "Grausam", sagt einer der Erwerbslosen leise. "Damit konnte niemand rechnen", sagt Braukmann und schüttelt den Kopf.
Am Mittwochmorgen um kurz vor neun Uhr hatte der 52-jährige Arbeitslose eine Außenstelle des Jobcenters Neuss betreten. Laut Staatsanwaltschaft suchte er das Büro seiner Sachbearbeiterin auf. Die 32-jährige Frau ist zuständig für die Beratung von älteren Arbeitslosen, die oftmals kaum Chancen auf einen neuen Job haben. Den Ermittlern zufolge "kochte" der Mann "vor Wut". Er habe im Fernsehen eine Bundesratsdebatte über das geplante neue Meldegesetz gesehen. Er will sich aufgeregt haben, dass seine Meldedaten möglicherweise an Firmen verkauft werden dürfen, habe nächtelang nicht geschlafen, gab er bei der Vernehmung an.
Mord wegen Meldedaten?
Der 52-Jährige wollte eigentlich einen anderen Sachbearbeiter sprechen, um ihn zur Rede zu stellen. Doch jener Jobcenter-Mitarbeiter, der ihn vor Wochen ein Formular zu seinen Meldedaten hatte ausfüllen lassen, war an diesem Tag nicht in seinem Büro. So ging der mutmaßliche Täter zum Arbeitszimmer der 32-jährigen Sachbearbeiterin, die ihn jedoch nicht sofort empfangen konnte, da sie gerade jemand anderen beriet. Mit zwei Messern bewaffnet habe der Mann die Sachbearbeiterin erstochen, berichtet die Düsseldorfer Staatsanwältin Britta Zur. Das Opfer sei "arg- und wehrlos" gewesen. "Sie konnte nicht mit einer Attacke rechnen."
"Rufen Sie die Polizei!", soll der Tatverdächtige noch gerufen haben, als er das Gebäude mit dem Messer in der Hand wieder verließ, sagt Guido Adler, Leiter der Mordkommission. Alarmierte Streifenpolizisten konnten den Mann vor dem Jobcenter festnehmen. Das angegebene Motiv, aus Ärger über die mögliche Weitergabe seiner Meldedaten gehandelt zu haben, sei "absolut nicht nachvollziehbar", sagt Adler. Tragisch sei auch, dass die junge Frau somit möglicherweise ein "Zufalls- oder Ausweichsopfer" gewesen sei. Psychiater müssen nun klären, ob der Tatverdächtige geistig verwirrt ist.
"Bei Kunden beliebt"
Vor der Pforte des Jobcenters rätseln sie am Donnerstagmorgen derweil weiter über die Tat. Sie "war eine liebe, nette, warmherzige Frau", sagt Hausmeister Braukmann über das Opfer. "Sie hat sich großartig um diese älteren Arbeitslosen gekümmert", sagt ein Arbeitskollege, der seinen Namen nicht nennen will, "sie war beliebt bei den Kunden". Als "Kunden" bezeichnet die Arbeitsverwaltung seit etlichen Jahren im Rahmen einer Serviceoffensive die Arbeitslosen.
Es war nicht die erste Gewalttat in einem Neusser Arbeitsamt. Vor Jahren sei er mal mit einem Stilett attackiert und leicht am Bauch verletzt worden, erzählt Hausmeister Braukmann. Es gebe Vandalismus von frustrierten Langzeiterwerbslosen. Die Polizei bestätigt, dass sich immer mal wieder aggressive Arbeitslose in Neuss nicht an Hausverbote halten. Unklar ist bisher, ob ein Notfallknopf am Schreibtisch des Opfers funktioniert hat und bedient wurde. Jobcenter und Ermittler halten sich dazu bedeckt. Auch vom Personalrat der Behörde ist dazu am Donnerstag (27.09.2012) keine Stellungnahme zu bekommen.