Soldaten

Noch einmal rückten Wehrpflichtige ein

Das letzte Aufgebot

Stand: 04.01.2011, 02:00 Uhr

12.150 junge Deutsche sind am Montag (03.01.2011) in die Kasernen eingerückt, davon 2.500 in NRW. Sie sind die vorerst letzten Wehrpflichtigen. Wahre Pechvögel? Oder alles halb so schlimm? Ein Ortstermin in Minden.

Von Andreas Poulakos

Dass sie gerade Geschichte schreiben, ist den Männern, die sich auf dem Hof der Herzog-von-Braunschweig-Kaserne versammelt haben, wirklich nicht anzusehen. Einige blicken unsicher in die Runde, andere geben sich lieber betont gleichgültig. Viel gesprochen wird nicht. "Der erste Tag ist für niemanden leicht", sagt Leutnant Marcus Wöhrmann, der diese Szene schon unzählige Male miterlebt hat. "Aber das gibt sich ziemlich schnell." Die Neuankömmlinge sind in den vergangenen Stunden aus allen Ecken der Republik angereist: Bayern und Sachsen sind darunter, andere stammen aus Bremen oder dem Ruhrgebiet. In den kommenden sechs Monaten wird die Kaserne ihr Zuhause sein. Sie werden zu Pionieren ausgebildet, lernen zum Beispiel, wie man Minen- und Drahtsperren, aber auch Brücken zur Unterstützung der eigenen Truppen errichtet. Die rund 100 Rekruten, die in Minden ihren Dienst antreten, sind der vorerst letzte Jahrgang, für den noch die Wehrpflicht gilt. Zwar wird sie offiziell erst zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Doch schon zum zweiten Einberufungstermin im März soll niemand mehr gegen seinen Willen eingezogen werden.

"Ein bisschen ärgert man sich schon darüber", sagt Elijah Nurse und verzieht sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln. "In der Zeit hätte ich schließlich auch arbeiten und Geld verdienen können." Der 19-jährige Koch aus München ist vor einigen Stunden eingetroffen und hat die bürokratische Aufnahmeprozedur schon hinter sich gebracht. Jetzt wartet er auf seine Ausrüstung, die ihn für sechs Monate auch äußerlich in einen Soldaten verwandeln wird: zum Beispiel der Feldanzug im Fleckentarnmuster, die schicke Ausgehuniform, Barett, Helm, Stiefel, Trainingsanzug, ABC-Maske, Unterwäsche. "Eigentlich wollte ich ja zur Marine und viel Neues sehen", erzählt Elijah, während sich sein Gepäckwagen nach und nach bis zum Rand füllt. "Aber das hat nicht geklappt." Immerhin könne er nun eine neue Stadt und viele neue Leute kennenlernen. "Mal sehen, was in Minden so los ist."

"Geweckt wird um fünf"

Zumindest in den drei Monaten der Grundausbildung wird Elijah für solche Dinge wohl nur wenig Zeit bleiben. "Schlafenszeit ist um 23 Uhr, geweckt wird um fünf", erklärt Leutnant Wöhrmann. Auch der Sold von 282,30 Euro, der zum Ende der Dienstzeit auf knapp 305 Euro steigt, ist wenig verlockend. Dafür seien die Erfahrungen, die man hier sammeln könne, einzigartig, sagt Wöhrmann. "Die Kameradschaft gehört selbstverständlich dazu." Auch die Förderung von körperlicher Leistungsfähigkeit sei mit den Jahren immer wichtiger geworden. "Immer häufiger stellen wir fest, dass viele Wehrpflichtige damit Probleme haben. Viele lernen zum Beispiel erst hier schwimmen." Erziehung sei immer eine der zentralen Aufgaben der Bundeswehr gewesen. "Die jungen Leute erwarten, was sie vom Großvater gehört haben: 'Endlich lernst Du mal Ordnung', oder: ' Da widersprichst Du nicht ständig'. Und damit haben sie Recht."

"Die Ausrüstung wiegt 30 Kilo"

Währenddessen beziehen einige Rekruten schon ihre Stuben. Auf persönlichen Freiraum und Komfort müssen sie für eine Weile verzichten: Drei Doppelstockbetten, Tisch, Stühle und Spinde - mehr ist nicht vorgesehen und würde auch kaum in den Raum passen. Felix Cäsar Madorskiy (19) legt den Seesack mit seiner Ausrüstung ab und sieht sich um. Anders als die meisten seiner Kameraden hat er keinen Handwerksberuf gelernt, sondern gerade erst sein Abitur bestanden. Womöglich hätte er die Zeit beim Bund vermeiden können, wenn er sich frühzeitig an der Uni eingeschrieben hätte. "Kein Interesse. Ich wollte das so", meint er. Er werde die Zeit nutzen, um körperlich fit zu werden, bevor sein Mathematik-Studium beginnt. "Das haben wir auch nötig. Die Ausrüstung wiegt rund 30 Kilo."

"Vielleicht geht's ja auch ohne Friseur"

Auch Marc Hübers (19), Kfz-Mechaniker aus Rhede, der zwei Stuben weiter unter Anleitung seinen Spind einräumt, sagt, es sei ihm nie in den Sinn gekommen, sich zu "drücken". Im Gegenteil: Er freue sich auf die kommenden Monate und die Kameraden, die er noch kennenlernen werde. Traurig sei nur, dass er seine Freundin wohl nur selten sehen könne. Jannis Reckersdrees (20) aus Gütersloh, gelernter Sozialhelfer, hat sich ebenfalls ganz bewusst für den Bund entschieden. "Auch wenn meine Freunde sich einig waren, dass ich total bescheuert bin." Trotz aller Vorfreude - von seinen etwas zu langen Haaren hat er sich noch nicht trennen wollen. Streng nach Vorschrift müssten Ohren und Nacken eigentlich freiliegen. "Ich mag meinen Kopf so. Vielleicht geht's ja auch ohne Friseur."

Noch wenige Monate bleibt in der Herzog-von-Braunschweig-Kaserne alles beim Alten. Wie sich die "veränderte Personallage" nach dem Ende der Wehrpflicht auswirken werde, lasse sich jetzt noch nicht genau sagen, meint Wöhrmann. "Das kann natürlich auch sehr positive Effekte haben. Vor allem, wenn die Freiwilligen hochmotiviert sind." Neue Konzepte, wie die Bundeswehr in Zukunft qualifiziertes Personal werben will, seien derzeit noch in Arbeit. "Das könnte spannend werden."