Solarwirtschaft auf der Messe "E-World"
Schwächeln auf der Zielgeraden
Stand: 07.02.2012, 00:00 Uhr
Chinesische Billigimporte und Querschüsse aus der deutschen Politik sind zwei der Reizthemen, die Vertreter der Solarindustrie ab Dienstag (07.02.12) in Essen auf der Messe "E-World" diskutieren. Die Branche steckt in der Krise – obwohl Solarstrom bald so günstig ist wie konventionell erzeugter.
Von Christoph Stehr
Er fährt und fährt und fährt. Zurzeit durchquert der Solarworld GT, der in Bewegung aussieht wie ein normales Auto im Rückwärtsgang, den nordamerikanischen Kontinent. Wenn er im Dezember 2012 am Start- und Zielpunkt im australischen Darwin ankommt, wird er 34.000 Kilometer zurückgelegt haben – in 14 Monaten um die Welt. Der Wagen tankt Sonne, sonst nichts. Integrierte Photovoltaik-(PV)-Module versorgen den Elektromotor mit Strom. Solarworld in Bonn, einer der größten Hersteller von PV-Anlagen mit weltweit 3.300 Mitarbeitern, entwickelt seit 2006 gemeinsam mit der Fachhochschule Bochum Solarfahrzeuge.
Der Traum von der umweltfreundlichen, überall verfügbaren, unerschöpflichen Sonnenenergie und spektakuläre PR-Auftritte wie der des Solarworld GT haben der Solarindustrie in Deutschland und NRW goldene Jahre beschert. Der deutsche Staat tat das Seine dazu, indem er seit 2000 im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Einspeisevergütungen für Öko-Strom festschrieb. Ein sicheres Geschäft für Hersteller und Käufer: Wer in der Vergangenheit PV-Module auf sein Dach schraubte, wusste genau, zu welchem Preis ihm der regionale Energieversorger den Sonnenstrom in den nächsten 15 bis 20 Jahren abkaufen musste. Zurzeit sind es zwischen 18 und 24,5 Cent pro Kilowattstunde. Rund acht Milliarden Euro kostete 2011 die Förderung – Geld, das sich die Energieversorger über die EEG-Umlage von allen Verbrauchern zurückholen.
Verluste trotz Solar-Boom
Zwar fährt das EEG die Einspeisevergütungen in Halbjahresschritten herunter, aber für Hausbesitzer rechnet sich das Kraftwerk auf dem Dach dennoch, weil PV-Module immer billiger werden. 2011 gingen in Deutschland neue Anlagen mit einer Gesamtleistung von 7,5 Gigawatt ans Netz. Bei optimalem Sonneneinfall entspricht das kurzzeitig der Leistung von drei Kernkraftwerken. Gegenüber dem Rekordjahr 2010 nahmen die Neuinstallationen noch einmal leicht zu. Trotzdem schwächelt die Solarindustrie. Die Pioniere Solon und Solar Millennium sind pleite, andere Hersteller wie Conergy oder Q-Cells kämpfen ums Überleben. Billigimporte aus Fernost drohen der Branche den Saft abzudrehen. Wenn am Dienstag (07.02.12) in Essen die Messe E-World beginnt, werden die Vertreter der Solarhersteller abseits der offiziellen Termine wahrscheinlich nicht über viel anderes reden.
Auch Solarworld muss zurückschalten. Der Umsatz sank von 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf rund eine Milliarde Euro im vergangenen Jahr, der Gewinn schrumpfte. "Ein Problem ist, dass Wettbewerber in China mit Milliarden subventioniert werden und so ihre Produkte zu Dumping-Preisen in Europa und den USA verkaufen können", sagt ein Unternehmenssprecher gegenüber WDR.de. Solarworld produziert ausschließlich in Deutschland und den USA. "Die Solarenergie ist das Zugpferd des Zukunftsmarktes der Umwelttechnologien in Europa. Das dürfen wir uns nicht durch unfaire Wettbewerbsbedingungen kaputt machen lassen."
Gegen China vor Gericht
Die US-Gesellschaft von Solarworld hat in den USA gemeinsam mit 150 weiteren Herstellern Antisubventions- und Antidumping-Klagen gegen die Konkurrenz aus China eingereicht. Das US-Handelsministerium wird am 2. März eine vorläufige Entscheidung darüber verkünden, ob es rückwirkende Zölle verhängt. Für den 27. März wird ein Beschluss über weitere Maßnahmen zum Schutz der US-Hersteller erwartet. "Wir überlegen, ob und wie wir ähnliche Klagen in Brüssel anstrengen können", sagt der Solarworld-Sprecher. "Wir wollen unser berechtigtes Interesse durchsetzen, unser Geschäft profitabel zu betreiben."
Gefahr droht nicht nur aus China, sondern auch aus Berlin. Etliche FDP- und CDU-Politiker, darunter Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler, wollen die Solarförderung deckeln – im Gespräch ist eine Obergrenze von ein Gigawatt jährlich. "Das würde die Abwicklung der Solarindustrie in Deutschland bedeuten", meint Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. "Die Photovoltaik steht ganz kurz davor, wirtschaftlich zu werden. Wir brauchen noch drei bis fünf Jahre, bis es für den Endverbraucher günstiger ist, Strom selbst zu erzeugen als ihn im Netz zu kaufen." Am Mittwoch (01.02.12) trafen sich Rösler und Bundesumweltminister Norbert Röttgen, um zu prüfen, ob die Solarförderung möglicherweise schon ab April gekürzt werden kann.
Chancen für den Mittelstand
Kritiker der EEG-Umlage sagen, dass acht Milliarden Euro Subventionen zu viel seien angesichts der Tatsache, dass PV-Strom nur etwa zwei Prozent zum deutschen Energie-Mix beitrage. Doch dieser Anteil wächst: Nach einer aktuellen Studie des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) und des Marktforschungsinstituts Prognos wird er bei vier Prozent im Jahr 2012 und sieben Prozent im Jahr 2016 liegen. Bis 2020 seien sogar zehn Prozent möglich, schätzt der BSW.
Wenn die Solarbranche jetzt die Kurve kriege, könne sie noch über viele Jahre gute Geschäfte machen, sagt Professor Quaschning: "Man denkt dabei meist nur an die Modulhersteller und übersieht den Installationsaufwand. Viele Handwerksbetriebe leben davon, PV-Anlagen an Gebäuden anzubringen und zu warten. Das birgt große wirtschaftliche Chancen gerade für den Mittelstand in Deutschland und in NRW."