Zum Tode des "Haribo"-Chefs Hans Riegel

Herrscher im Reich der Gummibärchen

Stand: 15.10.2013, 14:45 Uhr

Knallharter Geschäftsmann mit kindlicher Freude am Experiment: Mit unorthodoxen Methoden hat der Bonner Hans Riegel "Haribo" zum größten Süßwaren-Konzern Europas gemacht. Am Dienstag (15.10.2013) ist der 90-jährige Unternehmer in Bonn gestorben.

Von Marion Kretz-Mangold

Es muss eine geradezu traumatische Erfahrung gewesen sein, die der Jung-Unternehmer Hans Riegel im Jahr 1950 machte: Säumige Zahler hatten ihre Rechnungen nicht beglichen, die Sparkasse fürchtete um ihre Kredite. "Da marschierten die Herren der Sparkasse bei uns im Werksgelände auf und klebten auf jeden Zuckersack, den sie finden konnten, den Aufkleber 'Eigentum der Sparkasse Bonn'", erzählt er Jahrzehnte später immer noch empört. "Da habe ich mir gesagt: Das passiert dir nicht noch einmal. Von Kreditgebern machst du dich nicht abhängig." Und so verzichtete der Fabrikant fortan auf fremdes Geld. Das war typisch Hans Riegel: "Haribo" war sein Werk – und reinreden ließ er sich da von niemand.

Gespür für den Zeitgeist

Dass er sich am besten auf sich selbst verließ, hatte der am 10.03.1923 in Bonn geborene Riegel schon als junger Mann gelernt: "Ohne die Erfahrung, die ich im Krieg gemacht habe, wo ich auf mich selbst gestellt war, hätte ich wahrscheinlich mit 23 ein solches Unternehmen nicht beginnen können."

Hans Riegel (2002)

Hans Riegel war der Chef

Das war 1946, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, der auch Hans hieß. Der hatte Anfang der zwanziger Jahre in einem Hinterhof in Bonn-Kessenich mit der Produktion von Lakritz und "Tanzbären" begonnen und "Hans Riegel, Bonn" auf "Haribo" abgekürzt. Die Mutter hielt den Betrieb aufrecht, bis die beiden Söhne aus der Gefangenschaft zurückkamen. Gemeinsam kurbelten sie das Geschäft wieder an – Paul, der eher zurückhaltende Tüftler, in der Produktion, "der Antreiber" Hans im Vertrieb.

Neue Maschinen, neue Mitarbeiter, neue Ideen: Fünf Jahre nach Kriegsende war die Belegschaft auf 1.000 angewachsen. Schon da bewies Riegel Gespür für den Zeitgeist: "Irgendwo ist die Lebenseinstellung anders geworden", erinnerte er sich später. "Früher lutschte man vornehm ein Bonbon, heute kaut man rum." Also wurde der "Tanzbär" runder und vor allem weicher gemacht: Der "Goldbär" war geboren.

"You like the gummibears?"

Damit begann eine klassische Geschichte aus dem Wirtschaftswunder-Deutschland und der Aufstieg vom Kessenicher Kleinunternehmen zum Global Player, mit 6.000 Mitarbeitern an 17 Produktionsstätten und Abnehmern in 200 Ländern. Haribo wuchs langsam, aber stetig; unliebsame Konkurrenz wurde kurzerhand aufgekauft – ohne Kredite. Anfang der achtziger Jahre wagte Riegel den Sprung nach Amerika. Eine WDR-Reportage von damals zeigt den Unternehmer sichtlich stolz im Kundengespräch: "You like the gummibears? I am the producer." Die Kundin ließ sich nicht überzeugen, andere schon: Der weltweite Siegeszug des Bären war nicht aufzuhalten.

Sein Wort ist Gesetz

Dem Werk, eine in die Jahre gekommene Anlage mitten im Ort, sah man den Erfolg genau so wenig an wie Hans, der am liebsten im Freizeitlook am Schreibtisch seines rustikal möblierten Büros saß. Dabei waren die beiden Brüder längst Milliardäre. Bekannt wurde das aber erst, als sie 2003 auf der "Forbes"-Liste auftauchten - Zahlen hielt Hans so geheim wie das Bärchen-Rezept des Vaters. Erst 2009 ließ er sich im Interview zu einer Umsatz-Schätzung überreden: "Irgendwo zwischen 1,7 Milliarden und zwei Milliarden Euro." Allerdings erwirtschaftete er die mit Methoden, die Branchenkenner "skurril" fanden.  Seine Abteilungsleiter zitierte er täglich ins Büro, den missliebigen Betriebsrat verbannte er in den Keller, und Unternehmensberater kamen ihm gar nicht erst ins Haus: "Bei uns gibt es nur Steuerberater, das reicht."

Ärger mit der Kirche

Thomas Gottschalk und Hans Riegel

Gottschalk: gute Investition

Riegel verließ sich eben am liebsten auf sich selbst und darauf, dass die Ideen immer weiter sprudelten. Den Werbespruch "Haribo macht Kinder froh" hatte er vom Vater übernommen, der Zusatz "… und Erwachsene ebenso" war seine Idee. Genau wie der millionenschwere Vertrag für Thomas Gottschalk, der dafür in den Werbefilmchen auftrat, die Riegel angeblich selbst konzipierte. Und wenn er wissen wollte, was seine jugendliche Zielgruppe dachte und mochte, gab er keine teure Studien in Auftrag. Er las die "Bravo", sah "Kika" und "Germany’s next Topmodel" und hörte Techno-Musik.

Wenn er wieder einmal etwas Neues ausgeheckt hatte, ließ er es im betriebseigenen Kindergarten testen. Auf sein "Kindergaumen" war meistens Verlass. Aber es gab auch Flops: "Ich habe zum Beispiel mal eine Lakritzschnecke mit einer Stafette entwickelt, dann drehte sich die Schnecke wie ein Kreisel. Ich fand das völlig faszinierend und habe den ganzen Abend damit gespielt. Aber das wollte keiner haben." Massiven Ärger bekam er Weihnachten 1986 mit einer anderen Neuschöpfung: Die Heilige Familie in Gummi trug ihm eine Rüge der Bischofskonferenz und viele wütende Briefe ein. Riegel, der sich selbst als gläubigen Katholiken bezeichnete,  nahm die Heilige Familie vom Markt – allerdings nur widerwillig.

Es läuft nicht immer so, wie Riegel will

Gegenwind bekam Riegel immer wieder zu spüren. Jahrelang versuchte er, von der Stadt Bonn ein großes, aber günstiges Grundstück für einen Fabrikneubau zu bekommen – vergeblich. 2013 zog er die Konsequenz: Haribo geht, zumindest in Teilen, nach Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2000 geriet das Unternehmen in die Kritik, weil es sich nicht an der Entschädigung von Zwangsarbeitern beteiligen wollte. Haribo habe nie welche beschäftigt, hieß es kühl: "Da sind andere gefragt." Zum Verdacht verbotener Preisabsprachen, bei denen das Bundeskartellamt jahrelang ermittelte, äußerte man sich gar nicht erst – geschweige denn zum Bußgeld in Millionenhöhe, das das Amt schließlich verhängte. Dabei konnte Riegel dem Vernehmen nach sehr laut werden. Der "Chef alter Schule", der über die "Weltzuckerwirtschaft" promoviert hatte und deswegen ehrfurchtsvoll "der Doktor" genannt wurde,  kümmerte sich rührend um seine Belegschaft, richtete Betriebsfeste aus und spielte da die Stimmungskanone – einerseits. Andererseits: "Der Patriarch kann austeilen", wie die "Frankfurter Rundschau" feststellte. "Und er tut es auch."

Zwist in der Familie: Wer darf Riegel beerben?

Vor allem: Riegel war stur. Über 60 Jahre hatte er an der Spitze des Unternehmens gestanden, allein über Wohl und Wehe entschieden – Ruhestand kam nicht in Frage. "Ich mache meine Arbeit, weil sie mir Freude bereitet", sagte er mit 87 Jahren. "Und ich habe keinen Grund, mir die Freude zu nehmen." Dabei wurde die Nachfolgefrage immer drängender. Er hatte keine Kinder – anders als der im Jahr 2009 verstorbene Bruder und Mitinhaber Paul. Seinen Lieblingsneffen Hans-Jürgen hatte er zwar zum Kronprinzen aufgebaut, aber der warf das Handtuch, als er selbst die 50 überschritten hatte und der Onkel immer noch nicht gehen wollte. "Dieser Mann hat als Familienunternehmer kläglich versagt", ätzte "Capital". Jahrelang schwelte der Familienstreit, der mit Anwälten ausgefochten wurde. Inzwischen ist der Zwist beigelegt: Eine Stiftung soll dafür sorgen, dass Haribo in der Familie bleibt.

Das Leben jenseits der Werkstore

Hans Riegel vor seinem Hubschrauber

Hans Riegel mit seinem Hubschrauber

"Ohne Fabrik würde ich krank", hat Riegel oft gesagt. Aber er hatte auch ein Leben jenseits der Werkstore: In jungen Jahren brachte er es zum ersten Deutschen Meister im Badminton. Später versuchte er sich in der Rinder- und der Pilzzucht, sammelte Kuriositäten und raste mit schnellen Autos durch Bonn. Noch lieber war Riegel mit seinem lakritzschwarzen Hubschrauber unterwegs, oft nach Österreich, dessen Staatsbürgerschaft er 1991 angenommen hatte. Dort ging er auf die Jagd. Die Tiere ließ er mit Kastanien und Eicheln füttern, die Bonner Kinder gesammelt und gegen Haribo-Ware eingetauscht hatten. An seiner Seite: Anna Maria Bischof, 40 Jahre jünger und seit fast einem Vierteljahrhundert seine Lebensgefährtin, wie die staunende Öffentlichkeit 2009 erfuhr. Auch daraus hatte Riegel ein Geheimnis gemacht. Wie sagte sein Werbeträger Thomas Gottschalk vor Jahren? "Riegel ist über 80, sieht aus wie 60, arbeitet wie ein 40-Jähriger und benimmt sich wie ein 20-Jähriger".