Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in Münster
Rot-grüner Nachtragshaushalt in NRW gekippt
Stand: 15.03.2011, 17:38 Uhr
Die rot-grüne Landesregierung in NRW hat im Verfassungsstreit um den Nachtragshaushalt für 2010 eine Niederlage erlitten. Der Verfassungsgerichtshof des Landes in Münster gab am Dienstag (15.03.2011) einer Klage der Landtagsfraktionen von CDU und FDP statt.
Nach Überzeugung der Richter ist das Gesetz zum Nachtragshaushalt 20101 verfassungswidrig, weil die Kreditaufnahme die Höhe der Investitionen überschreitet. Dies sei nur bei einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes gesetzeskonform. Der Gesetzgeber habe nicht ausreichend begründet, dass die höheren Schulden zur Stabilisierung der Konjunktur notwendig seien. Im Jahr 2010 sei Deutschland wieder im Aufschwung gewesen. Außerdem trage die Erhöhung der Rücklage für die angeschlagene WestLB um 1,3 Milliarden Euro aus Krediten dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht hinreichend Rechnung.
SPD und Grüne hatten mit der Unterstützung der Linken im Landtag durch den Nachtragshaushalt die Neuverschuldung um rund 2,8 Milliarden Euro erhöht.
CDU: Bei Haushaltsklage auch Neuwahl
Die CDU will die Konsequenzen aus dem Urteil im Parlament beraten. Für die kommende Woche werde man eine Sondersitzung des Landtags beantragen, sagte CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann am Dienstag. Rot-Grün müsse einen verfassungskonformen Haushalt für 2011 vorlegen. Sollte die Minderheitsregierung den Haushalt 2011 mit der bisher geplanten Neuverschuldung von 7,1 Milliarden Euro im Mai vom Landtag beschließen lassen, werde die CDU "auf jeden Fall" eine erneute Klage einreichen, sagte Laumann. "Automatisch" werde die CDU dann auch eine Auflösung des Landtags beantragen.
CDU-Landeschef Norbert Röttgen sieht die Regierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) durch die Gerichtsentscheidung "des Verfassungsbruchs überführt". Der Fraktionschef der CDU im Düsseldorfer Landtag, Karl-Josef Laumann, nannte das Urteil einen "Glücksfall für das Land NRW". Ob die CDU jetzt Neuwahlen beantragen werde, hänge von der Reaktion der Landesregierung auf das Urteil ab. Der Vorsitzende der FDP im Landtag, Gerhard Papke, forderte Ministerpräsidentin Kraft auf, "ihren Marsch in den Verschuldungsstaat zu stoppen". FDP-Generalsekretär Christian Lindner reagierte mit Spott: Die "Voodoo-Ökonomie" der NRW-Landesregierung sei gescheitert, der NRW-Verfassungsgerichtshof habe "die Legende der guten Schulden" nicht akzeptiert.
Kraft will Urteil "intensiv" prüfen
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sagte, dass die Regierung das Urteil der Verfassungsrichter respektiere. Man warte auf die schriftliche Urteilsbegründung und werde sie dann "intensiv und in Ruhe" prüfen. Sie sagte, dass der rot-grüne Haushalt 2011 verfassungskonform sei. Aus dem Urteil ergäben sich "nach einer ersten Einschätzung keine direkten Folgen" für den diesjährigen Haushalt. Kraft betonte, eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" liege auch in diesem Jahr vor. Das habe die Regierung bei der Einbringung des Haushalts im Landtag dargelegt und werde dies weiter konkretisieren. Angesichts der noch unklaren Folgen der Katastrophe in Japan, der instabilen Lage in Nordafrika und der Ausweitung des Eurorettungsschirm, könne nicht von einem wirtschaftlichen Gleichgewicht gesprochen werden, so Kraft.
Sylvia Löhrmann (Grüne), stellvertretende Ministerpräsidentin, sagte, das Gericht habe "hohe Hürden" gesetzt. Dennoch will sie unbeirrt weiterregieren: "Hannelore Kraft und ich sind sehr viel unaufgeregter als andere." Für sie sei wichtig, dass die Regierung das Heft des Handelns in der Hand halte.
Neuwahlen am 17. Juli?
Das Urteil dürfte die Debatte über Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland neu anheizen. SPD und CDU hatten sich vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts gegenseitig mit der Auflösung des Landtags gedroht. Die CDU brachte bereits den 17. Juli als Termin für Neuwahlen ins Spiel. Das Landesparlament kann sich jederzeit mit absoluter Mehrheit auflösen.
CDU-Generalsekretär Oliver Wittke wiederholte, dass die CDU nicht nur gegen einen verfassungswidrigen Haushalt klagen, sondern dann auch "den Weg für Neuwahlen freimachen" werde. "Neuwahlen sind eher wahrscheinlicher geworden", sagte Wittke und bezog sich darauf, dass Kraft zuvor erklärt hatte, dass sie den Etat 2011 weiterhin für verfassungskonform halte.
Häufig mehr Schulden als Investitionen
In NRW verstoßen die Regierungen regelmäßig gegen die Kreditfinanzierungsgrenze in der Landesverfassung. In den vergangenen zehn Jahren war nach Angaben des Landesrechnungshofes nur zweimal - 2007 und 2008 - die Neuverschuldung niedriger als die Summe der Investitionen im Haushalt. In beiden Jahren gab es die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte des Landes.