Mangelndes Selbstbewusstsein gehört nicht unbedingt zu den Eigenschaften des Norbert Röttgen. Der ehrgeizige Mann aus dem Rhein-Sieg-Kreis hat sich durchgesetzt, obwohl nahezu die gesamte Parteiführung der NRW-CDU seinen Kontrahenten Laschet unterstützt hat. Obwohl er wegen der im Bundestag beschlossenen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nach wie vor viel Kritik einstecken muss. Hoch hinaus wolle der 45-Jährige, in einer Ära nach Angela Merkel ins Kanzleramt, heißt es unter den Christdemokraten immer wieder. Unlängst schrieb die Süddeutsche Zeitung sogar, man erzähle sich von Röttgen, er wolle erst Bundeskanzler werden, um dann gute Chancen auf das Amt des UNO-Generalsekretärs zu haben. Egal, welche Karrierepläne den Bundesumweltminister nun wirklich umtreiben, sein neues Amt als NRW-Parteichef wird ihm bei seinem Aufstieg nicht schaden. Im Gegenteil.
Der promovierte Jurist wird künftig mit knapp 159.000 Mitgliedern den bundesweit größten CDU-Landesverband führen. Die NRW-Abgesandten stellen auf Bundesparteitagen ein Drittel aller Delegierten - ein Machtfaktor. Schon in zwei Wochen wird der 45-Jährige wohl auf dem CDU-Bundesparteitag auch zum Stellvertreter von Parteichefin Angela Merkel gewählt werden. Damit wäre er der mächtigste CDU-Vize.
16 Jahre Bundestag
Röttgen wolle sich seine Machtbasis sichern, werfen ihm seine Gegner vor - und davon gibt es nicht wenige in seiner Partei. Den Vorwürfen hat Röttgen stets vehement widersprochen: "Es geht hier nicht um Karriereplanung." Schließlich sei er "familiär und politisch verwurzelt" in NRW. Fakt ist, der in Meckenheim geborene, in Reinbach aufgewachsene und mit Ehefrau und den drei Kindern in Königswinter-Stieldorf lebende Christdemokrat verankert sich nun fester in seiner Partei.
Lange beschränkte sich Röttgens Wirken auf den Bundestag. Als 29-Jähriger zog er erstmals ein. Fünf Mal hintereinander hat er seinen Wahlkreis Rhein-Sieg II direkt gewonnen. Ein Beleg für ihn, dass er trotz seiner Karriere nie die Bodenhaftung verloren hat. Nach der CDU-Spendenaffäre machte Merkel ihn zum Fraktionsgeschäftsführer. Heftige Kritik musste Röttgen einstecken, als er 2006 Lobbyist beim Industrieverband BDI werden, aber zugleich sein Bundestagsmandat behalten wollte. Die Karriere beim BDI ließ er dann lieber sein. 2009 wurde er Bundesumweltminister, erst dann trat er auch ein Parteiführungsamt an, als Chef des einflussreichen CDU-Bezirks Mittelrhein.
"Muttis Klügster"
Röttgen, der Mann der großen Linien, der großen Themen wie ressourceneffizientes Wirtschaftswachstum: Ihm geht es um das Ganze, die Zukunft der CDU, der Parteien. "Politik muss aus den Augen der Kinder gemacht werden", war sein Leitspruch bei den Vorstellungsrunden vor den NRW-Mitgliedern. Seine Reden gleichen eher Grundsatzreferaten, klug, intellektuell wie rhetorisch glänzend. In Berlin hat Röttgen in Merkels Kabinett deshalb den Spitznamen "Muttis Klügster". Das klingt anerkennend wie spöttisch zugleich.
Manch einem Parteimitglied erscheint der stets elegant gekleidete Röttgen zu eitel, manchen gar zu arrogant und besserwisserisch. Der Kumpeltyp, mit dem man abends noch ein Bier trinkt, nein, das ist Röttgen nicht. Immer freundlich-zuvorkommend ja, aber eher sachlich-nüchtern in der Ansprache.
Öffnung zu den Grünen
Röttgen wird dem modernen, liberalen Flügel seiner Partei zugerechnet. Er gehörte zu den jungen Wilden in der Union, der so genannten "Pizza-Connection". Deren Mitglieder trafen sich mit den damals noch verpönten Grünen, ausgerechnet bei Helmut Kohls Lieblingsitaliener in Bonn. Heute zählen von Röttgens damaligen Mitstreitern fast alle zu seinen Gegnern in der CDU - und unklar ist, ob seine Freundschaft zu Armin Laschet nach dem Duell um den Landesvorsitz Bestand hat.
Unbelastet von den Rüttgers-Jahren
Dem Geschehen in der Landespartei und in der Landespolitik hat er, obwohl er Mitglied im NRW-CDU-Landesvorstand ist, in den vergangenen Jahre eher aus der Ferne zugeschaut. Diese Distanz hat ihm nun genutzt: Unbelastet von den fünf Rüttgers-Jahren trauen ihm die Mitglieder mehrheitlich den Neuanfang zu.
Den hat seine Partei nötig: Sie ist abgewählt und zermürbt von den nicht enden wollenden Querelen und der Suche nach Orientierung bei wichtigen Themen wie Schule und kommunalen Finanzen. Röttgen kommt als Mutmacher: "Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, dass wir den Wiederaufstieg der CDU schaffen, wenn wir eine Mannschaft entwickeln." Schluss soll mit dem Gegeneinander sein, das auch dazu beigetragen hat, dass die CDU die Landtagswahl im Mai verlor, und deshalb wird er in der Parteizentrale in Düsseldorf aufräumen.
Landesparteichef aus Berlin
Röttgen hat sich viel vorgenommen, einige Reibereien werden wohl nicht ausbleiben. Er will vor allem die Basis stärker in die inhaltlichen Diskussionen einbeziehen, die CDU zu "einem Ort der Diskussion" machen. Die erste Gelegenheit dafür ist der Landesparteitag am kommenden Samstag (06.11.2010), auf dem er offiziell gewählt wird.
Als Parteichef wird Röttgen sein Amt als Bundesumweltminister behalten. Falls es in NRW Neuwahlen geben sollte, tritt er als Spitzenkandidat gegen Hannelore Kraft (SPD) an, versichert er. Bisher hat er kein Landtagsmandat. Wie er das neben seinen vielfältigen Aufgaben in Berlin schaffen will, das wird er nun zeigen müssen.