Dr. Michael Vesper blickt auf 30 Jahre Grüne NRW zurück

"Dieser Prozess war schmerzhaft"

Stand: 15.01.2010, 02:00 Uhr

Mit einer großen Party feiern die NRW-Grünen am Freitag (15.01.10) in Düsseldorf ihren 30-jährigen Geburtstag. Ende 1979 wurde der Landesverband in Hersel bei Bonn gegründet. Michael Vesper war mit dabei - von der Protestbewegung zur Regierungspartei.

Michael Vesper (Jahrgang 1952) war 1979 Mitbegründer der Grünen in NRW. Bis 1990 war er vornehmlich in der Bundespolitik aktiv, von 1990 bis 2006 saß er für die NRW-Grünen im Düsseldorfer Landtag, davon zehn Jahre sogar auf der Regierungsbank. Von 1995 bis 2005 war er unter anderem Bauminister sowie Stellvertreter der Ministerpräsidenten Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück.

WDR.de: Wie haben Sie die Gründung des Landesverbandes der Grünen Ende 1979 in Hersel bei Bonn erlebt?

Grüne demonstrieren gegen eine Umgehungsstraße in Hamm in den 80ern

In den 80er-Jahren demonstrieren die Grünen gegen eine Umgehungsstraße in Hamm

Dr. Michael Vesper: Rückblickend als liebenswert-chaotisch. Aber das kam uns damals gar nicht so vor. Wir hatten schon das Gefühl, hier etwas ganz Neues zu wagen. Denn es wird ja nicht alle Tage in Deutschland eine neue Partei gegründet.

WDR.de: Warum haben Sie die Partei damals mitbegründet? Was waren Ihre Ziele?

Vesper: Die Grünen waren am Anfang ein Konglomerat aus ganz unterschiedlichen Motiven und unterschiedlichen Gruppierungen - angefangen von Enttäuschten der Schmidt-Genscher-Regierung über Anti-AKW-Aktivisten, Friedensbewegte bis hin zu den Versprengten aus den K-Gruppen und K-Parteien. Also eine sehr heterogene Mischung, die da zusammen kam, der auch viele so genannte Dunkelgrüne angehörten, Menschen aus konservativen Zusammenhängen. Wir alle wollten eine Partei gründen, um eine Alternative aufzuzeigen zu den etablierten Parteien.

WDR.de: Wie haben diese etablierten Parteien dann auf die Grünen reagiert?

Vesper: Von Hohn und Spott bis hin zu ungläubigem Staunen und Anerkennung war eigentlich alles dabei. Die meisten haben uns keine Überlebenschance gegeben. Viele haben gedacht, das ist ein vorübergehendes Phänomen, weil die Hürden, ins Parlament zu kommen, mit fünf Prozent der Wählerstimmen ja auch sehr hoch gesetzt waren.

WDR.de: Die Partei hat 1983 dann doch die Fünf-Prozent-Hürde genommen und ist in den Bundestag eingezogen. Sie waren von Beginn an in der Bundespolitik aktiv. Warum sind Sie 1990 als Spitzenkandidat Ihrer Partei in die NRW-Landespolitik gewechselt?

Vesper: Ich hatte das Glück, bis 1990 als Fraktionsgeschäftsführer an zentraler Stelle am Aufbau der Bundestagsfraktion in Bonn mitwirken zu können. Ich war nicht Mitglied des Bundestages, sondern verantwortlicher Polit-Manager. Mich reizte dann die Möglichkeit, selber Politik machen zu können, zumal der nordrhein-westfälische Landesverband damals ein bisschen zu den Sorgenkindern der Grünen zählte. Deshalb forderte die NRW-Führung mich auf, mit meiner Erfahrung aus Bonn nach Düsseldorf zu wechseln.

WDR.de: Von 1995 bis 2005 haben die Grünen sogar zusammen mit der SPD in Düsseldorf das Land regiert. Was waren die größten Erfolge der Partei?

Vesper: Der große Erfolg der Grünen ist, dass sie die Ökologie nicht nur salonfähig gemacht, sondern diese als Jahrhundertthema erkannt und von Anfang an glaubwürdige Konzepte entwickelt haben, um ökologische Politik zu machen. Das haben wir in den zehn Regierungsjahren in NRW zu unserem absoluten Schwerpunkt erkoren. Dass NRW mittlerweile das Land ist, das durch erneuerbare Energien geprägt wird, hat viel mit unserem grünen Engagement zu tun.

WDR.de: Seit 2006 sind Sie Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds. Warum haben Sie die Landespolitik verlassen?

Vesper: Man sollte im Leben immer verschiedene Dinge tun. Ich war zunächst sieben Jahre in der Wissenschaft, dann sieben Jahre in der Bundestagsfraktion der Grünen und schließlich über 16 Jahre im Land aktiv. Mich erinnert hier im Frankfurter Haus des Sports vieles an die Anfangszeit der Grünen - was den Aufbau einer neuen Organisation angeht. Der Deutsche Olympische Sportbund ist ja erst im Jahr 2006 entstanden. Es sollte meiner Meinung nach viel mehr Seitenwechsel in der Politik in Deutschland geben.

WDR.de: Aus dem Zusammenschluss früherer Ökos ist mittlerweile eine etablierte Partei geworden, die bereits über Kriegseinsätze mit entschieden hat und heute in zwei Landesparlamenten mit der CDU koaliert. Haben sich die Grünen damit so entwickelt, wie Sie es 1979 gehofft hatten?

Vesper: So etwas geht ja nie ohne Brüche, gerade in einer neuen Partei. Für mich war immer wichtig: Eine Partei muss gestalten wollen. Eine Partei, die nur in der Opposition verharren möchte, wird sehr schnell unattraktiv. Dieser Prozess war schmerzhaft für die Grünen, aber er war insgesamt erfolgreich. Wir hatten Zeiten, da waren wir in sieben Landesregierungen gleichzeitig und im Bund in der Regierung. Wir haben gezeigt, dass wir Verantwortung tragen wollen und regieren können. Von daher ist dieser Prozess ein Stück Normalisierung.

WDR.de: Viele sagen, die Grünen hätten ihr Profil verloren. Zumindest ihre Kernthemen werden heute von allen anderen Parteien auch aufgegriffen. Wozu brauchen wir die Grünen überhaupt noch?

Vesper: Na, der grüne Mantel ist so attraktiv geworden, dass er in manchen Geschäften ausverkauft ist, aber das Original hängt immer noch bei uns im Schrank.

WDR.de: Viele grüne Parteimitglieder sind sich nicht mehr sicher, den selben grünen Mantel wie die Parteiführung zu tragen. Ist die Führung der Partei noch nah genug an der Basis, um für die gesamte Partei sprechen zu können?

Vesper: Um diese Nähe muss man Tag für Tag neu kämpfen. Abgehobenheit wäre gerade in der Grünen Partei tödlich. Das heißt aber nicht, dass wir auf politische Führung verzichten könnten.

WDR.de: Hätten Sie 1979 die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition in NRW auch nur im Ansatz in Erwägung gezogen?

Vesper: Offen gestanden haben wir in den ersten Jahren wenig über Bündnisse nachgedacht, sondern eher darüber, wie wir wachsen und in die Parlamente kommen könnten. Es gibt heute eine ganze Reihe schwarz-grüner Koalitionen in den Kommunen, die sehr erfolgreich sind. Ebenso gibt es rot-grüne Koalitionen, die erfolgreich waren und sind - also warum da der politischen Phantasie Grenzen setzen?

WDR.de: Wird diese politische Phantasie auch nach der Landtagswahl im Mai 2010 keine Grenzen kennen?

Vesper: Ich bin ja kein aktiver Politiker mehr, deshalb widerstehe ich der Versuchung, von außen Ratschläge zu erteilen. Ich bringe mich in interne Diskussionen gerne ein, entscheiden sollen das aber die dafür zuständigen Gremien. Ich persönlich bin stets undogmatisch an solche Fragen heran gegangen. Es kommt immer darauf an, was hinten raus kommt.

Das Gespräch führte Rainer Striewski.