Günter Grass in seinem Atelier

Was will uns der Dichter eigentlich sagen?

WDR-Beiträge zu Günter Grass

Stand: 06.04.2012, 11:41 Uhr

Ein Schriftsteller verfasst Texte, gute Schriftsteller steuern neue Sichtweisen und Ideen zur Gesellschaft bei. Beides kann Günter Grass. Doch mit "Was gesagt werden muss" wurde er zur Skandalfigur der Woche. Analysen und Stellungnahmen aus dem WDR-Hörfunk.

Was bisher geschah

Literaturnobelpreisträger Günter Grass veröffentlichte am 04.04.2012 in der Süddeutschen Zeitung sein Gedicht "Was gesagt werden muss". Es handelt in Prosaform vom Konflikt Israels mit dem Iran. Grass erklärt, er sei die Heuchelei des Westens überdrüssig und Israel gefährde den Weltfrieden. Denn: das Land beanspruche ein Recht auf einen Erstschlag, um das iranische Volk auszulöschen, das von einem Maulhelden unterjocht werde. Denn die Existenz eines iranischen Atomprogramms hält Grass für zweifelhaft.

"Was gesagt werden muss" - das Gedicht im Wortlaut

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er missachtet wird;
das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.

"Grass ist politisch naiv"

Rudolf Dressler

"Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden", schreibt Grass. Das sei zwar nicht unbedingt antisemitisch, aber in hohem Maße politisch naiv, meint der ehemalige Israel-Botschafter Rudolf Dreßler. Grass nehme die politischen Realitäten in der Region nicht zu Kenntnis. Dreßler sprach am 05.04.2012 im WDR5-Morgenecho.

"Dumpfer Stammtisch"

Hellmuth Karasek (14.10.2011)

Hellmuth Karasek (14.10.2011)

Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek hat Günter Grass im WDR 2 Gespräch vorgeworfen, ein Antisemit zu sein. Das gehe aus jeder Zeile des Gedichts "Was gesagt werden muss", hervor.

"Nicht das Gedicht ist empörend, sondern die Reaktionen darauf"

Thomas Nehls

Den meisten der Stimmen, die Günter Grass kritisieren, fehlt es an Fachkenntnis - darüber, wie die politischen Verhältnisse im Nahen Osten wirklich sind. Grass habe keine Kritik, sondern einen Friedenspreis verdient, das meint WDR-Journalist Thomas Nehls im Kommentar.

"Der Dichter in der Tinte"

Grass habe ein Problem mit sich selbst. Zu dieser Einschätzung kommt WDR 4- Kolumnist Hubert Maessen. Denn: Grass fühle sich viel zu sehr als Nationaldichter, Mahner und Vordenker der Deutschen.

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