Streit um Kommunal-Soli
Özil und das Haushaltsloch von Essen
Stand: 12.09.2013, 00:00 Uhr
Essen kassiert Millionen durch den Kommunal-Soli. Gleichzeitig hat die Stadt aber Rot-Weiss Essen ein neues Stadion gebaut und bezuschusst den Betrieb. Dank Ex-Spieler Mesut Özil, bekommt der Verein jetzt zusätzliches Geld, könnte also bald mehr Miete bezahlen. Muss er aber nicht - oder doch?
Von Martin Teigeler
Politiker suchen gern und oft die Nähe des populären Volkssports Fußball. Dass der Fußball die Politik beeinflusst, ist dagegen eher selten. Ein Geschäft des englischen Premier-League-Clubs FC Arsenal zieht aber nun Kreise in Nordrhein-Westfalen. Anfang September kaufte der Champions-League-Teilnehmer aus London für rund 50 Millionen Euro den deutschen Nationalspieler Mesut Özil von Real Madrid. Zwar hängt nicht alles mit allem zusammen, aber der Özil-Transfer könnte tatsächlich Auswirkungen auf die Debatte um den sogenannten Kommunal-Soli in NRW haben.
Neues Stadion für Viertligisten
Und das kommt so: Da der gebürtige Gelsenkirchener Özil beim heutigen Viertligisten Rot-Weiss Essen (RWE) das Fußballspielen gelernt hat, steht dem Ausbildungsverein nach den Transfer-Regeln des Weltverbands FIFA ein Anteil an dem Millionen-Deal zu. Bei einer Ablösesumme von etwa 50 Millionen Euro kann sich RWE auf rund 700.000 bis 800.000 Euro freuen. RWE ist bislang arm wie eine Kirchenmaus. Der Traditionsverein erholt sich gerade erst von einer Insolvenz. Dennoch konnte der Club Anfang August 2013 feierlich ein neues Stadion eröffnen. Die Stadt Essen finanzierte über eine kommunale Tochtergesellschaft das 42,5-Millionen-Euro-Projekt - jene hochverschuldete Kommune also, die 55 Millionen Euro aus dem Kommunal-Soli erhalten soll. Insgesamt stehen der Stadt pro Jahr 90 Millionen Euro aus Mitteln des Landesprogramms "Stärkungspakt Stadtfinanzen" zu. Reiche Städte wie Düsseldorf oder Monheim müssen in den Soli einzahlen – und regen sich über den teuren Stadionbau in Essen auf.
FDP sieht kommunale "Zwietracht"
Im Landtag mehrt sich die Kritik am Finanzgebaren der Stadt Essen. "Diese Kommune muss einsehen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist", sagt der FDP-Kommunalexperte Kai Abruszat. Das Beispiel Essen zeige, dass die "Treffsicherheit" der Finanzhilfen des Landes grundsätzlich auf den Prüfstand gehöre. "Es ist nicht zu vermitteln, dass die Stadt Essen ein Fußballstadion für einen Viertligisten betreibt", sagt der Liberale. Dies sorge für "Zwietracht" bei den Gemeinden. Ende September wird der Landtag erneut über den Kommunal-Soli diskutieren. "Die Verbindung zwischen Kommunal-Soli und Özil-Transfer erschließt sich mir nicht", sagt der Essener Grünen-Landtagsabgeordnete Mehrdad Mostofizadeh. Zugleich erklärt der Finanzexperte aber: "Wenn, dann stellt sich durch den Transfer die Frage, ob Rot-Weiss Essen mehr Miete für das Stadion an die Stadt zahlen kann."
Der Bund der Steuerzahler in NRW fordert: "Essen sollte sich dringend von diesem Stadion trennen. Es passt einfach nicht zusammen, dass eine Kommune von anderen Kommunen Geld bekommt, während sie ein Stadion für einen Viertligisten betreibt", sagt Eberhard Kanski, Landesvize des Steuerzahlerbundes. Es könne nicht sein, dass die Bürger von Monheim ihre Grundsteuer entrichten, um indirekt ein Fußballstadion in Essen zu bezuschussen. Der Verein Rot-Weiss Essen oder andere sollten doch dann das Stadion betreiben, fordert Kanski.
RWE will Transferzahlung
RWE-Vorstandschef Michael Welling muss vor Gericht mit dem Insolvenzverwalter um das Özil-Geld kämpfen - einstweilen wird die Summe darum auf einem Treuhandkonto landen. Der Rechtsstreit mit dem Insolvenzverwalter über die Transferrechte könnte sich über Jahre hinziehen. Teilen oder ganz abtreten will der Vereinsboss den möglichen Geldsegen offensichtlich nicht, falls die Einnahmen tatsächlich irgendwann auf dem rot-weißen Konto landen sollten. "Es erschließt sich mir nicht ansatzweise, wie der Zusammenhang zwischen dem Özil-Solidaritätsbeitrag und den Stadion-Kosten besteht", sagt Welling. Da es um eine Verteilung nach dem Solidaritätssystem zwischen Fußballclubs gehe, wäre "jede andere Form der Verwendung zweckentfremdet".
Kämmerer: Stadion "vom Mund abgespart"
Bauherrin und Besitzerin des Stadions an der Hafenstraße ist die kommunale Grundstücksverwaltung Stadt Essen GmbH (GVE). Pro Jahr koste das Stadion "knapp eine Million" Betriebskosten, sagt GVE-Geschäftsführer Andreas Hillebrand. RWE müsse dazu - je nach Umsatz an Tickets und Werbeeinahmen 100.000 bis 200.000 Euro beitragen. Falls der Verein mal aufsteigt, steige dieser Betrag. Essens Kämmerer Lars Martin Klieve (CDU) verteidigt den Stadionbau. Die Kommune habe sich das Projekt "vom Mund abgespart", sagt der Kassenwart. Das neue Stadion dürfe im Unterhalt für die Kommune nicht teurer werden als das alte Georg-Melches-Stadion - unter dieser Vorgabe sei der Bau von der Kommunalaufsicht genehmigt worden. Doch das alte Stadion kostete nur etwa 500.000 Euro im Betrieb. Die Zahlen der GVE und Kämmerer Klieve passen also nicht zusammen.
Zum Özil-Geld sagt Klieve: "Wir wollen mit Rot-Weiss Essen kein Geld verdienen. Aber: Falls das Geld wirklich irgendwann bei RWE ankommt, wird der Verein ja weniger Probleme haben, seine finanziellen Verpflichtungen bei den Betriebskosten einzuhalten." Ein einflussreicher Essener Lokalpolitiker sagt hinter vorgehaltener Hand: "Falls das Özil-Geld wirklich bei RWE ankommt, ist völlig klar, dass der Verein auch mehr für das Stadion zahlen muss." So kurz vor der Bundestagswahl will der Politiker aber nicht öffentlich mit dieser bei RWE-Fans sicher unpopulären Forderung zitiert werden.