Entführer Hans-Jürgen Rösner sitzt zusammen mit einem Journalisten im Wagen und gibt ein Interview

"Tot sein ist schöner als wie ohne Geld"

Rückblick: Blutige Irrfahrt mit Geiseln

Stand: 12.08.2008, 16:41 Uhr

"Tot sein ist schöner als wie ohne Geld." So sprach es Hans-Jürgen Rösner in fast jedes Mikrofon, das ihm in der Kölner Fußgängerzone entgegengehalten wurde. Was am Morgen des 16. August 1988 als "normaler" Bankraub in Gladbeck begann, hatte sich in den folgenden Tagen schon längst zu einem spektakulären und blutigen Geiseldrama entwickelt.

Als am Morgen des 18. August der schwere BMW, umringt von Journalisten und Schaulustigen, in der Kölner City steht, kann die ganze Nation live teilhaben am Schicksal der beiden Geiseln: Fernsehkameras zoomen in die angsterfüllten Gesichter der beiden Frauen, die auf dem Rücksitz des Fluchtwagens kauern. Fotografen lassen die Auslöser im Sekundentakt klicken, als der mit Aufputschmitteln zugedröhnte Dieter Degowski dem blonden Mädchen die geladene Pistole an den Hals hält. Aus Verbrechern sind, fast unbehelligt von der Polizei, zu diesem Zeitpunkt Medienstars geworden.

Geiseldrama endet im blutigen Schusswechsel

Wenig später, nach insgesamt 54 Stunden krimineller Odyssee quer durch Deutschland, darunter die Kaperung eines vollbesetzten Linienbusses, wird das Geiseldrama endlich von der Polizei beendet. Ein Spezialeinsatzkommando rammt auf der Autobahn bei Bad Honnef das Fluchtfahrzeug der Geiselnehmer. Im anschließenden Schusswechsel stirbt jedoch eine der beiden Geiseln, die übrigen Insassen des Wagens werden verletzt. Das Fazit der dreitägigen Geiselnahme: drei Tote und zahlreiche Verletzte.

Diskussion um Fehler und Moral

Noch monatelang danach beschäftigt sich die Nation mit den Fehlern, die die Einsatzleitungen sowie die Beamten vor Ort begangen haben sollen. Falsch präparierte Fluchtwagen und ein dauerhaft gestörter Funkverkehr, der die Kommunikation erschwert, sind nur zwei von vielen Vorfällen, die im Nachhinein bekannt werden. Der Bremer Innensenator zieht die Konsequenz und tritt zurück. Auch der nordrhein-westfälische Innenminister, Herbert Schnoor, muss sich in einem Landtags-Untersuchungsausschuss vorwerfen lassen, er habe die Gefährlichkeit der Gangster unterschätzt. Falsche Entscheidungen habe es nicht gegeben, "nur einen Mangel an richtigen" windet sich Schnoor heraus und bleibt trotz Rücktrittsforderungen im Amt.

Presse in der Kritik

Doch neben Polizei und Politik gerät auch die deutsche Presse in das Kreuzfeuer der Kritik. Journalisten, die schamlos die unter Schock stehenden Geiseln interviewen ("Wie fühlen Sie sich mit der Waffe am Hals?") und Reporter, die ohne Rücksicht auf die Geiseln den entführten Linienbus verfolgen - Fragen nach Moral und Grenzen der Berichterstattung stürzen den deutschen Journalismus in eine Krise. In der aufflammenden Diskussion verpflichten sich die deutschen Medien in einer Art Ehrenkodex, in Zukunft mehr Zurückhaltung bei der Berichterstattung zu üben. Interviews mit Kriminellen oder deren Geiseln, so der Beschluss des deutschen Presserats, wird es nicht mehr geben. Neue Richtlinien sollen ähnliche Entgleisungen und Grenzüberschreitungen in Zukunft verhindern.

Antrag auf vorzeitige Entlassung abgelehnt

Nach ihrer Festnahme werden Degowski und Rösner vom Landgericht Essen zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Komplizin der beiden, Rösners Freundin Marion Löblich, bekommt neun Jahre Haft. Auf Antrag Degowskis prüft ein Gericht im Jahr 2001 eine mögliche Entlassung, kommt aber zu dem Schluss, dass die Haftzeit des Verurteilten wegen "besonderer Schwere der Schuld" auf insgesamt 24 Jahre festzulegen sei. Diese Frist läuft am 23.01.2013 ab. Beim Urteil "lebenslänglich" bedeute ein solcher Termin aber nicht automatisch das Ende der Haftzeit, erklärt Dorina Henkel, Sprecherin am Landgericht Arnsberg.

"Definitiv kein fester Zeitpunkt für die Entlassung"

Nach neuerlicher Prüfung kommt das Landgericht Arnsberg im August 2013 zu dem Schluss, dass eine Entlassung vorerst nicht möglich sei. Es bestehe erhöhte Gefahr, dass Degowski "ins soziale Randmilieu abrutschen könnte, in dem die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht", so ein Sachverständiger. Eine Entlassung des Verurteilten setze eine schrittweise Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit von etwa drei Jahren voraus. "Währenddessen muss immer wieder geprüft werden, ob die einzelnen Lockerungsschritte optimal verlaufen", sagt die Sprecherin. Wie lange der Vorbereitungszeitraum wirklich dauern wird, sei "völlig offen", es gebe "defintiv keinen festen Zeitpunkt für die Entlassung Degowskis". Der mittlerweile 57-jährige Degowski sitzt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Werl. Sein Komplize Rösner wird noch mindestens bis 2016 in Haft bleiben.